Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Rainer Oberthür: Der Seelensucher

Dieses Buch „beseelt“! Wer kennt sie nicht, die Wörter und Sprüche, die sich um den Begriff der Seele ranken – seelenruhig, glückselig, seelenlos, Seelenheil, in der Seele berührt, und, nicht zu vergessen, die Seligpreisungen als besondere Heilzusagen des Wirkens Jesu Christi.

Der Begriff „Seele“ ist derart abstrakt und vielschichtig, dass dieser im Verständnis nahezu ungreifbar erscheint, wäre da nicht Rainer Oberthür, der sich dieser Thematik in leicht verständlicher Form und unterlegter Bildsprache angenommen hat. Als Religionspädagoge gelingt es ihm immer wieder, komplexe Themen auf des Wesens Kern zu reduzieren; verwiesen sei nebenbei auf die durch Hubertus Halbfas` inspirierte Symboldidaktik, die Oberthür für die Konzeptionen „Philosophieren mit Kindern“ und „Theologisieren mit Kindern“ veranlasste.

Oberthürs Erzählkunst nimmt den Leser sofort mit auf eine Reise in die verwobene Sphäre der Seele, die letztlich der Frage nachgeht, was diesen Begriff ausmacht. Historisch betrachtet beschäftigen sich die Menschen damit schon seit Jahrtausenden – man denke an den Toten- und Seelenkult der Ägypter, Luthers Kritik im Umgang mit dem Seelenheil, Decartes‘ Denkanstöße der Renaissance bis hin zu jüngsten Nahtoderfahrungen. Oberthür schöpft bei seiner Erzählung aus dem Erfahrungsschatz gesammelter Antworten von Frauen und Männern aus Naturwissenschaft, Philosophie, Theologie und Literatur, nicht zu vergessen die Fragen und Antworten von Kindern und Jugendlichen.

Der Buchtitel eröffnet das erste Kapitel des Buches. Ein von Erfolg, Wohlstand und Sorglosigkeit gekrönter Mann beginnt im Zuge des Älterwerdens das Leben zu hinterfragen und neu zu justieren. Nachdem dieser sein altes Leben hinter sich gelassen hat, sammelt er auf seinen Reisen durch die Welt Fragen und Antworten der Menschheit, welche ihn als Seelensucher vorantreiben. Aus diesem Fundus konstruiert er eigene Vorstellungen, Weisheiten und die Begeisterung für den Begriff der Seele. Jene Sammlung von 99 Umschreibungen bilden den Hauptteil des Buches, gefolgt von dem Versuch, den fragmentarischen Erfahrungsbeispielen ein geschichtliches Konstrukt zu verleihen, dessen Entstehungsprozess sich gemäß Autor folgendermaßen beschreiben lässt: „Aus einem nicht sichtbaren Punkt entsteht das gigantische Universum und Milliarden Jahre später der Mensch mit einer einzigartigen Seele.“ Abschließend erhält der Leser noch einmal komprimierte Deutungsversuche im Hinblick auf die Differenzierung von Geist und Seele sowie der seelischen Unsterblichkeit.

Die wunderschönen Illustrationen sind ein Balsam für die Seele des Betrachters. Barbara Nascimbeni verleiht der Sprache des Autors haptischen Glanz und eröffnet damit einen ausgezeichneten bildlichen Zugang.

Rainer Oberthür versteht es, im interdisziplinären Zusammenspiel Zugänge zum Seelenbegriff zu ermöglichen, dessen Abstraktion die Menschheit seit jeher bewegt. Seelenvergnügt eröffnen Autor und Illustratorin perspektivische Sichtweisen und Denkanstöße. Gerade in einer Zeit wie dieser, die Freud und Leid sowie Wesentliches in den Blick rückt, lohnt es sich, auf Seelensuche zu gehen. Das Buch ist nicht nur ein wunderbares Geschenk für eine beseelte Mußestunde, sondern zugleich eine Unterstützungshilfe bei Fragen von Kindern und Jugendlichen.   

Eine Geschichte über das große Geheimnis des Menschen
München: Kösel Verlag. 2020
88 Seiten m. farb. Abb.
12,00 €
ISBN 978-3-466-37264-5

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