Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Rainer Oberthür: Jesus. Die Geschichte eines Mannes, der fragt

Noch ein Jesus-Buch!? Ist nicht schon alles gesagt, erzählt, analysiert, gedeutet, spekuliert, verklärt, diskutiert? – In der Tat: „Neue“ Geschichten liefert das Buch natürlich nicht. Es stellt die bekannten, die gemochten, die schönen Erzählungen dar, wobei der Blick auf Leid und Kreuz nicht vergessen wird und der Auferstehungsgedanke in vielen Kapiteln thematisiert wird.

Für manchen mag es der Wiedererkennungseffekt sein, der zufriedenstellend durch das Buch begleitet: die aus der Kindheit oder aus anderen Zusammenhängen bekannten Jesusgeschichten, die Gleichnisse, die Wundererzählungen, die Heilungsgeschichten, die Orientierung für das alltägliche Handeln und Hoffnung in einer fragwürdigen Welt anbieten. Ob die Emmausgeschichte, das Gleichnis vom barmherzigen Samariter, das Wunder von der Speisung der 5000 oder die Erzählung von der Heilung des Gelähmten – neben vielen weiteren biblischen Geschichten bilden sie die Grundlage für Oberthürs Ausführungen, die das Leben und Wirken Jesu „vom Ende her“ deuten.

Für manch andere dürften diese Deutungen Oberthürs die Essenz des Buches darstellen. Sie sind orientiert an den Fragen in den jeweiligen Episoden, die Jesus selbst stellt oder die er gestellt bekommt, und führen in Anlehnung an die Darstellungen der Evangelien durch das Leben Jesu. Deutlich erklärt Oberthür, dass das Verständnis jedoch zum einen nur vor dem Hintergrund der Auferstehung gelingen könne und dass zum anderen wahrzunehmen sei, dass es keine abschließenden Antworten gäbe. Aufgrund unterschiedlicher persönlicher Zugänge bliebe also ein weiteres offenes Fragen im Glauben.

Zu den jeweiligen Episoden bietet Oberthür Impulse, die in der Kinder- und Jugendarbeit, aber auch bei persönlicher Reflexion über die Botschaft Jesu genutzt werden können. Die reduzierte Bildgestaltung unterstützt die Idee des „auf dem Meer der Fragen Rudernden“, der sich durch unterschiedliche Wellenformen auf das Licht der Auferstehung hinzubewegt, das in Form einer immer weiter aufsteigenden Sonne symbolisiert wird.

Die Texte sind in angenehmer, verständlicher und bildhafter, bisweilen poetischer Sprache verfasst. Sie sind ermutigend und fördern ein hoffnungsvolles Verständnis. Dass Oberthür seinen Zugang mithilfe verschiedener existenzieller Fragen formuliert, die letztlich in „Was sucht ihr, wen sucht ihr und warum habt ihr mich gesucht?“ (95) kumulieren, ist eine Idee, die gut funktioniert, da das Fragenstellen zu den Grundbedürfnissen des Menschen gehört.

Oberthürs Jesus-Buch streichelt die Seele, die sich nach dem Guten und dem Hoffnungsvollen sehnt. Mit seinen Ausführungen zu den jeweiligen Erzählungen, Gleichnissen und Wundergeschichten führt er immer wieder den Fokus auf die heilbringende Botschaft Jesu. Er bietet konkrete Bezüge zu den existentiellen Fragen, die sich jeder Mensch und gerade Heranwachsende stellen dürften: die Fragen nach dem Anfang und dem Ende, dem eigenen Standpunkt und der eigenen Haltung. Dabei wird er – anders, als sein Plädoyer zu Beginn vermuten lässt – durchaus sehr konkret. Das Buch bietet die Möglichkeit, Orientierung zu finden, sich bewusst zu werden, was die Botschaft Jesu für das eigene Leben bedeuten und als Handlungsorientierung auslösen kann. Es werden keine utopischen, unerreichbaren Forderungen gestellt; wohl wird deutlich, wie konsequent man zu sein hat, wenn man Jesus, sein Leben, sein Wirken und seinen Auftrag an jeden Menschen ernst nimmt.

Interessant wäre gewesen, wenn auch unbequeme Episoden vorgestellt worden wären, die sich nicht klar lösen lassen und bei denen es, wie Oberthür in seinen Anfangserläuterungen ja darlegt, offensichtlich unterschiedliche Verständnis- und Deutungsmöglichkeiten gibt. In der Darstellung der Vertreibung der Händler aus dem Tempel (Joh 2,13-22) beispielsweise wäre die Frage nach der Legitimation für Jesu Handeln, die ihm von den Beobachtern gestellt wird, eine erläuterungswürdige Fragestellung gewesen. Vor dem Hintergrund, dass Jesus nicht gerade zimperlich mit den Händlern umgegangen ist und somit das Bild des immer friedfertigen und ruhig argumentierenden Rabbis gestört scheint, ließe sich hier ein Ausgangspunkt für kontroverse Diskussionen schaffen, die gerade von Jugendlichen dankbar aufgenommen werden könnte, da das Infragestellen von scheinbar klaren Bildern und Strukturen zur Entwicklung in diesem Alter hinzugehört: Provokation schafft Diskussion. Der in vordergründigen Vorstellungen „immer gechillte Jesus“ (Schülerzitat), der auch die zweite Wange hinhält und seine Feinde liebt, scheint aber ebenso in der Lage zu sein, Ärger und Wut rauszulassen und handgreiflich zu werden. Die Frage zuzulassen, was das für ein Jesusbild ist und wie wir damit umgehen können, wäre bereichernd gewesen. Dann hätte auch die kritisch-anfragende Perspektive Raum bekommen.

Das Buch „Jesus. Die Geschichte eines Menschen, der fragt“ kann einen Beitrag leisten, sich Jesus zu nähern oder sich erneut mit ihm zu beschäftigen. Vor allem diejenigen, die den Erstkontakt suchen, werden die Besonderheit dieses Jesus aufgrund der aktuellen und allgemeingültigen Kontextbezüge, die der Autor anbietet, verstehen. Aber auch die Lesenden, die vermeintlich alle Geschichten schon kennen, mögen Anregungen finden, fragend weiterzudenken und sich somit auf „den Weg durch die Bibel als ein Geschichtenhaus mit vielen Türen“ (13) zu machen.

München: Kösel Verlag. 2021
103 Seiten m. Abb.
18,00 €
ISBN 978-3-466-37282-9

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