Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Reiner Sörries: Ein letzter Gruß

Nach „Alternative Bestattungen“ im Fachhochschulverlag Frankfurt, nach „Ruhe sanft. Eine Kulturgeschichte des Friedhofs“, ebenfalls im Verlag Butzon & Bercker erschienen, und wie in zahlreichen weiteren Schriften rund um die Sepulkralkultur verabschiedet Reiner Sörries mit „Ein letzter Gruß“ Friedhof und Grab in ihrer überkommenen Gestalt bzw. Verbindlichkeit und interpretiert die „neue Vielfalt der Bestattungs- und Trauerkultur“ in zwölf Kapiteln.

In seinem neuesten Sachbuch ist hierbei die These leitend, dass die gesellschaftlichen Megatrends auch die Sterbe- und Trauerkultur fundamental beeinflussen und insbesondere das Konzept der Diversity dazu geeignet erscheint, den rasanten Wandel der Abschiedskultur in den vergangenen dreieinhalb Jahrzehnten zu erklären. Nicht mehr der Gedanke einer Gleichheit aller Menschen im Tode und ein einheitliches Lebensmodell würden demnach das Bestattungs- und Trauerverhalten prägen (in Form von Reihen- oder Familiengrab), sondern der Gedanke der Individualität und des individuellen Gedenkens. Ausdruck dieser Individualität sei jedoch nicht, dass jeder anders trauert, so Sörries, „sondern wir trauern im Kontext unserer Verschiedenheit, die uns von vielen unterscheidet, aber mit manchen ähnlich sein lässt“ (8, Hervorhebung im Original). Das heißt, Menschen fügen sich heute nicht mehr in ein gesamtgesellschaftlich vorgegebenes, weitgehend einheitliches und eindimensionales Trauerverhalten ein, sondern entwickeln gruppenspezifische Trauerrituale bzw. übernehmen die Praxis jener Gruppe, der sie sich zugehörig fühlen. Diese diversifizieren sich nach Gender, Alter, Handicap, Status, Religion bzw. Weltanschauung, sexueller Orientierung und/oder Herkunft, so dass es nun Grabstätten für Fußballfans, Waldbegräbnisse für Naturfreunde, Gemeinschaftsgräber für Frauen, Grabfelder für Alewiten, Gedenkorte der Digital Natives im World Wide Web, den bewussten Verzicht auf ein Grab bei Alleinstehenden etc. gibt. Grab und Trauer hätten so, wenn auch in neuer Gestalt, an Bedeutung eher gewonnen. Dabei seien wesentliche Impulse für die Entwicklung eigener, gruppenspezifischer Rituale bzw. Formen und das Aufbrechen der für viele Menschen nicht mehr tragfähigen überlieferten Praxis von den (einstigen) Rändern der Gesellschaft, von diskriminierten Gruppen oder ausgeblendeten Schicksalsgemeinschaften wie AIDS-Patienten, Homosexuellen, verwaisten Eltern etc. ausgegangen. Die Gefahr, durch das Diversity-Konzept als Folie Stereotypen bzw. Klischees zu (re-)produzieren (z.B. 41: „Weil [Frauen] etwas vom Lebensanfang wissen, ist ihnen auch das Lebensende vertrauter.“), deutet Sörries hierbei zumindest an.

Insgesamt ist „Ein letzter Gruß“ flüssig geschrieben und gut zu lesen. Überschaubar bleiben die (Einzel-)Belege für die Ausführungen und Thesen, denn der Verfasser schöpft aus seinen langjährigen Beobachtungen und seinem Wissensschatz als Direktor des Museums für Sepulkralkultur in Kassel, dessen Leitung er nach fast 25 Jahren Ende 2015 abgegeben hat. Das Buch ist professionell lektoriert, allein der Schutzumschlag trägt einen anderen Buchuntertitel als das Titelblatt.

Die Besprechung des Buches ist im „Eulenfisch“ insofern gut aufgehoben, als die Lektüre vor allem auch kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sehr zu empfehlen ist. Wie Sörries eingangs nachzeichnet, haben die deutschen Bischöfe mit ihren Hirtenschreiben 1994, 2005 und 2011 den Wandel in der Bestattungskultur zeitnah beschrieben, aber doch eher auf diesen reagiert, als ihn zu gestalten bzw. noch gestalten zu können. Das Buch und dessen Analyse fordern die Kirche hier implizit zum Weiterdenken auf: Soll sie ihre Bestattungspraxis und vor allem auch ihre konfessionellen Friedhöfe milieuspezifisch konturieren und/oder will sie ihre Angebote noch viel deutlicher als bisher differenzieren und diversifizieren? Und wie kann es ihr ggf. noch gelingen, die „neue Vielfalt“ prägend zu umfassen („katholikós“), oder muss sie sich vielmehr realistisch eingestehen, längst nur noch ein bescheidener Akteur unter vielen innerhalb einer mittlerweile sehr bunten Trauer- und Abschiedskultur zu sein?

 

Kevelaer: Butzon & Bercker Verlag. 2016

200 Seiten m. s-w Abb.

17,95 €

ISBN 978-3-7666-4286-8

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