Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Rudolf Steinberg: Zwischen Grundgesetz und Scharia

Inzwischen muss man von einer Flut von Literatur über den Islam sprechen. Das mit guten Gründen viel diskutierte, in seiner Bewertung und Deutung umkämpfte Thema zieht eine Unzahl echter und selbsternannter Expertinnen und Experten an. Dazu kommt, dass es neben der religionswissenschaftlichen, soziologischen und sicherheitspolitischen nicht zuletzt eine juristische Dimension gibt, die getrennt, aber in ihrem komplexen Zueinander zu betrachten ist.

Rudolf Steinberg, der Autor des hier zu besprechenden Buches, ist bereits von seiner Profession und seiner Lebensleistung unzweifelhaft in seiner Expertise. Als emeritierter Professor für öffentliches Recht und verdienter Universitätspräsident der J. W. Goethe-Universität Frankfurt bringt er die notwendigen Kenntnisse für die im Buch behandelten juristischen Themen mit, die in aktuellen Debatten um Terror und Frauenunterdrückung sowie die Lage in den Herkunftsländern unter den Tisch fallen. Und so liest man nach einer sehr informativen „Einleitung“ über Muslime in Deutschland und Europa gerne in den gut recherchierten und lösungsorientierten Kapiteln über „Scharia-konnotiertes Verhalten im freiheitlichen Gemeinwesen“, den „Schutz vor Scharia-konnotiertem Verhalten durch die Verfassung“, das Verhältnis von Grundgesetz und Salafismus, den „Ort des Islam im freiheitlichen Gemeinwesen“, „Gemeinsame Werte – Multikulturalismus – Tradition“ und folgt dem Verfasser schließlich bei seinen Antworten auf die Schlussfrage nach angeblich „Unüberwindliche[n] Unvereinbarkeiten“.

Steinberg ist nicht nur in verfassungsrechtlichen Fragen bestens bewandert, die sich in der Regel um Art. 4.1 Grundgesetz ranken, der in diversen BverfG-Urteilen zu Kruzifixen, Schulgebet und Kopftuch tragenden Lehrerinnen in den letzten 20 Jahren eine bedauerliche Wandlung von einem Schutzrecht für religiöse Minderheiten hin zu einem Gefahrenabwehrrecht hinter sich hat. Der Autor hat zudem alle verfügbaren Studien über die Haltung und Lebensweise von Muslimen und die Reaktion der Mehrheitsgesellschaft gelesen und verständlich verarbeitet. Als eifriger Zeitungsleser hat er nahezu sämtliche gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen um den Islam seit 09/11 verfolgt, kundig kommentiert und eingeordnet. Manchmal erhält man fast zu viel Information, denn der Autor plaudert gerne und kommt dabei auch einmal „von Hölzken auf Stöcksken“. Dabei wird er nie redundant, langweilig oder ungenau.

Lehrerinnen und Lehrern seien vor allem die Seiten 113-137 empfohlen, wo sich zu vielen unklaren Fragen des Alltags im Umgang miteinander jenseits des in seiner Bedeutung überschätzten Kopftuchs – etwa zum verweigerten Handschlag zwischen den Geschlechtern, zum Burqini oder zum gemeinsamem Schwimmunterricht – gut reflektierte Ratschläge finden, die meist von den öffentlich diskutierten Extrempositionen abweichen. Zwei Beispiele seien abschließend zitiert.

„Unannehmbar ist das Verhalten eines Angeklagten, der sich beim Eintreten des Gerichtes weigert, sich zu erheben. Hierbei handelt es sich um eine Geste des Respekts vor einer unabhängigen Justiz. Sie wird auch durch eine Rechtsnorm, nämlich Nummer 124 der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren, angeordnet. Das Gericht kann bei Verweigerung eine Ordnungsstrafe nach Paragraph 178 Gerichtsverfassungsgesetz verhängen.“ (136)

„Kann […] eine Frau, die im Krankenhaus behandelt wird, verlangen, von einer Ärztin oder einer Hebamme betreut zu werden? Grundsätzlich ist diese Frage zu bejahen, gilt doch auch im Krankenhaus – bei der Behandlung durch niedergelassene Ärztinnen ohnehin – der Grundsatz der freien Arztwahl. Die Grenze stellt jedoch die tatsächliche Verfügbarkeit dar: Wenn in der fraglichen Zeit keine Ärztin oder Hebamme verfügbar ist und die Behandlung sich nicht verschieben lässt, […] kann auch ein Mann die Behandlung vornehmen – es sei denn die Patientin verzichtet auf eine Behandlung.“ (137)

Der lange Weg des Islam nach Deutschland
Frankfurt / New York: Campus Verlag. 2018
310 Seiten
39, 95 €
ISBN 978-3-593-50989-1

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