Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Sandra Kostner / Elham Manea (Hg.): Lehren aus 9/11

„Historia magistra vitae“ – dieses perenne Diktum aus der Feder Ciceros mahnt uns, aus der Geschichte Lehren zu ziehen, zumindest um alte Fehler zu vermeiden und dies in gesellschaftspolitisches Handeln einzubeziehen. Zwei Jahrzehnte nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 von vier koordinierten Flugzeugentführungen mit anschließenden Selbstmordattentaten auf symbolträchtige Gebäude der westlichen Welt und tausenden unschuldigen Opfern nimmt sich ein Sammelband mit international renommierten Gelehrten und Politikern vor, sich diesem Schreckensereignis bilanzierend zu nähern. Der Fokus der Ausführungen zielt dabei vor allem auf folgende Fragen: Wie reagiert(e) der Westen auf die moslemisch motivierten Anschläge? Was hat der Dschihadismus mit dem Islam, mit dem Koran zu tun – werden Glaubensgrundsätze nur „gekapert“ (Präsident G.W. Bush) oder besteht zwischen jenen und Gewalt eine substantielle, nachvollziehbare Verbindung? Gibt es blinde Flecken im Umgang mit dem politischen Islam? Welchen gesellschaftspolitischen Einfluss haben moslemische Strömungen, vor allem in unserem Land?

Zwei Bewegungen sind, insgesamt gesehen, zu unterscheiden: Der offen gewalttätige Dschihadismus, der sich mit hohen Opferzahlen vor allem in Afrika wie ein Flächenbrand ausbreitet, und ein gewaltfreier legalistischer Islam, der allerdings mit jenem zentrale Ziele gemeinsam hat: ein koranischer Fundamentalismus theokratischer Form mit Alleinherrschaft der Scharia, die sich mit westlichen Grundwerten (Religions-, Meinungsfreiheit, Geschlechtergleichberechtigung, Gewaltenteilung u.a.m.) nicht verträgt. Die legalistische Strömung stellt der Sammelband in den Mittelpunkt, da die Autoren die Grundthese vertreten, dass die westlichen Regierungen und Medien auch zwei Jahrzehnte nach „9/11“ das islamistische Gefahrenpotential nicht annähernd erkannt haben, bzw. sogar verharmlosen oder ganz ausblenden. Der Legalismus zielt darauf ab, mit einem Gang durch – besser: in – die Institutionen die gesellschaftlichen Strukturen sukzessive in Richtung islamische Weltordnung zu verändern. Geschickt hängen sich deren Vertreter ein liberales Mäntelchen um, indem sie glauben machen wollen, dass ihr Bestreben im Einklang mit freiheitlich-demokratischen Grundprinzipien stehe und im Trend angestrebte Vielfalt fördere. Sachlich fundierte Kritik wird entweder mit dem immunisierenden Pauschalvorwurf der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit, des Rassismus und der religiösen Diskriminierung diffamiert. Oder man strickt am Opfermythos der Islamophobie alter weißer Männer, die eine – natürlich bedauerliche – Überreaktion glaubenstreuer Moslems erzeugt hätten. Belastbares statistisches Zahlenmaterial belegt jedoch vielmehr, dass von einer galoppierenden Islamophobie in Europa nicht die Rede sein kann. Die häufigsten islamisch motivierten Anschläge ereignen sich ja außer in Afrika im Nahen und Mittleren Osten, die meisten der abertausend Opfer sind Muslime. Soll für die Gräueltaten etwa in Pakistan, Afghanistan, Libyen, Ägypten oder Mali tatsächlich ein aus Europa dorthin exportierter Islamhass verantwortlich sein?

Eine weitere Ablenkungsstrategie des legalistischen Islam, die sich westliche Meinungsführer gerne verharmlosend zu eigen machen, besteht im Narrativ vom materiell ausgebeuteten, radikalisierten Außenseiter ohne genuin religiöse Motivation. Prinzipiell handelt es sich hierbei um einen unredlichen Täter-Opfer-Tausch, zudem zeigen gerade die konkreten Lebensumstände der September-Attentäter: Es handelt sich vielmehr um eine Gruppe von gebildeten, wohlhabenden und tiefgläubigen Studenten aus streng religiösen Familienhäusern der Oberschicht. Die Terror-Aktionen der moslemischen Glaubenskrieger waren vorbereitet und eingebettet in spirituelle Anleitungen und auch liturgische Rituale wie Waschungen, Rasuren, Parfümieren etc. nach dem traditionellen Vorbild frühislamischer Schlachtreden. Pikanter- und bezeichnenderweise kamen die Massenmörder nicht aus einer fernabliegenden Taliban-Hochburg etwa des Hindukusch, sondern aus unserer Mitte: Die Todespiloten wurden an der TH Hamburg-Harburg stipendiumsgefördert technisch effizient ausgebildet und galten zudem im dortigen Kiez als nette Jungs von nebenan. Dass sie in eine radikalisierende Infrastruktur von Moscheen mit Hasspredigern und dubiosen islamischen Vereinigungen eingebunden waren, wollte keiner sehen.

Demgegenüber raten die Autoren ausblickhaft zu einem neuen realistischen Blick auf diese Phänomene, es werden dazu konkrete Handlungsempfehlungen skizziert wie beispielsweise: keine Zusammenarbeit mit legalistischen Islamgruppierungen eingehen, um Dschihadisten einzuhegen – besser keine Gesprächspartner als die falschen; keine Gremien-Berufungen und Fördergelder; Finanzierung islamistischer Netzwerke aus dem Ausland unterbinden; strikte staatliche Neutralität, z.B. in der Justiz und in der Erziehung (Kopftuch-Problematik) wahren; genau hinschauen: welche Vielfalt soll gefördert werden; dabei stets: keine pauschalisierende Kritik gegenüber „den“ Moslems üben. Im schulischen Bereich ist übrigens laut neusten Studien sich mehrenden konfrontativen Religionsbekundungen durch strenggläubige Schüler und Eltern gegen moderate Mitschüler –  etwa in Sachen Kleiderordnung, Essenspraxis in der Schulmensa, Ramadan-Regeln, Sport-, Schwimm- und Sexualunterricht, Gebetspraxis, Tanz- bzw. Spiel-Musikverbot oder Nichtakzeptanz weiblicher Lehrkräfte – entgegenzuarbeiten. Ob die Autoren einsame Rufer in der Wüste bleiben werden oder „9/11“ ein Weckruf bezüglich des radikalen Islam sein wird, ist nicht nur von akademischer Bedeutung.

Zum Umgang des Westens mit Islamismus
Stuttgart: ibidem Verlag. 2021
413 Seiten
22,00 Euro
ISBN 978-3-8382-1583-9

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