Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Thomas Kaufmann / Martin Keßler (Hg.): Luther und die Deutschen

Stimmen aus fünf Jahrhunderten

Schon wieder ein Luther-Buch – werden manche seufzen. Thomas Kaufmann, renommierter Reformationshistoriker aus Göttingen, hat zusammen mit dem ebenfalls in Göttingen wirkenden Kirchengeschichtler Martin Keßler eine lesenswerte Anthologie mit Aussagen zu Martin Luther zusammengestellt. Sie reichen von den Zeitgenossen bis zum Ende des 20. Jahrhunderts. Leider fehlen Luther-Deutungen aus den letzten 30 Jahren und damit die aktuellen Luther-Bilder.

Das Spektrum ist weit. Es reicht von der ersten Generation der Reformatoren (Friedrich Myconius und Philipp Melanchthon) über Repräsentanten der Luther-Orthodoxie, des Pietismus und der Luther-Interpretation in Aufklärung und im Revolutionszeitalter bis zu den nationalprotestantischen Theologen des 19. und 20. Jahrhunderts. Klangvolle Namen finden sich darunter, wie Lessing, Hegel, Heine und Engels. Wie unterschiedlich und dennoch immer konfessionalistisch ausgerichtet das Luther-Bild sein kann, zeigen die Ausschnitte aus Werken von Ranke, Treitschke, Harnack und Holl. Desillusioniert zeigt sich Thomas Mann, dem Luther zu deutsch und zu wenig europäisch erscheint. Neubewertungen des Reformators werden durch Bernd Moeller, der Luther in der mittelalterlichen Frömmigkeit verwurzelt sieht, und Heiko A. Oberman, der Luther in seiner Zerrissenheit beurteilt, vorgetragen. Auch zwei katholische Autoren sind vertreten: Johannes Cochläus prägte über Jahrhunderte ein negatives Luther-Bild, während Joseph Lortz sich um ein ausgewogenes, quellenfundiertes Bild bemühte und so der katholischen Reformationsforschung bis heute wirkende Impulse gab.

Es wird deutlich, dass sich jede Zeit ihren eigenen „Luther“ schuf. So sind die Ausschnitte aus den Werken, die sich auch gut für den Unterricht oder für Seminare als Quellengrundlage eignen, weniger als Aussagen über den Ablauf der Reformation geeignet. Sie geben vielmehr Einblick in Interpretationen des Reformators zu bestimmten Zeiten. Häufig sind sie mit einer antikatholischen Spitze versehen, Konfessionalität steht im Vordergrund. Luther ist für die meisten Autoren der große Prophet einer neuen Kirche, während die katholische Bewertung ihn meist als Häretiker abqualifizierte. Die Deutungen des 20. Jahrhunderts, selbst aus der Luther-Renaissance (Karl Holl), sind da vorsichtiger und um ein gerechtes Urteil bemüht.

Apropos Autoren: Es fällt auf, dass unter den zitierten Werken keines aus der Feder einer Frau stammt. Und selbst die vier Seiten umfassenden Literaturhinweise am Ende zählen nur drei Frauen als Autorinnen auf. Luther-Deutung und Reformationsforschung scheinen über fünf Jahrhunderte hin Aufgaben von Männern gewesen zu sein. Ob da nicht noch etwas zurechtzurücken ist?

Stuttgart: Reclam Verlag. 2017
269 Seiten
14,95 €
ISBN 978-3-15-020474-0

 

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