Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Thomas Menges / Martin W. Ramb / Holger Zaborowski (Hg.): Horst Sakulowski

Im Angesicht des gefolterten Jesus von Nazareth soll ausgerechnet der Statthalter Pontius Pilatus, ein Funktionär der römischen Besatzungsmacht in Jerusalem – damals Teil der Provinz Syria – „Siehe da, der Mensch!“ ausgerufen haben, bevor er ihn zur Kreuzigung verurteilte. Der hellsichtige Erkenntnismoment des Römers verhinderte die staatlich exekutierte Gewalttat nicht – und stimmte nicht einmal die Basis, die jüdische Menschenmenge, zur angebotenen Begnadigung um. Dennoch begründete der Blick auf das menschliche Leiden einen Perspektivwechsel, der die christliche und humanistische Sicht auf den Menschen initiierte.

Mit dem Titel „ECCE HOMO“ umreißen die drei Herausgeber das malerische, graphische und zeichnerische Werk des 1943 in Saalfeld/Thüringen geborenen Künstlers Horst Sakulowski – ein Oeuvre, das zugleich hochsensibel und beißend kritisch eben diesen Moment der klaren Sicht auf Verletzbarkeit und Selbstentfremdung des Menschen umkreist. Insgesamt 25 Autoren und Autorinnen – unter ihnen neben den Herausgebern Gerd Lindner, der Leiter des Panoramamuseums Bad Frankenhausen, der Sammler Dieter Brandt, Nele van Wieringen, die Leiterin des Keramikmuseums Westerwald, und die Ministerpräsidentin a.D. Christine Lieberknecht – äußern sich zu jeweils einem der in hervorragender Qualität reproduzierten Bilder. So entsteht ein Kaleidoskop nicht nur fachlich-kunsthistorischer, sondern auch subjektiver Zugangsweisen zu einem komplexen Werk, das seine Genese schon zu DDR-Zeiten einer inneren Unabhängigkeit vom kunstpolitisch-ideologischen und nach der Wende vom kommerziellen Zeitgeist verdankt. Diese vielfältigen Ansätze machen die Lektüre kurzweilig wie ertragreich und senken die Hemmschwelle zu einer individuellen Deutung und Verbindung mit den diffizilen Werken, führen aber nur in wenigen Fällen zu „Besinnungstexten“, die sich von einer genauen Werkbetrachtung weit entfernen.

45 Werk-Abbildungen (leider ohne Abbildungsverzeichnis), davon nur vier wiederholende Detailaufnahmen, machen dieses ungewöhnliche Buch zu einem künstlerischen Brevier, das seinen Wert im wiederholten Anschauen steigert. Subtil sind die feinstrichigen Gestaltungsnuancen der Motive, die neben dem Gekreuzigten, der Pietà, den Heiligen Christophorus und Sebastian, einer als Reliquie verstandenen Sträflingsjacke eines KZ-Häftlings auch verzerrte, alptraumhafte Porträts und verstörende Deformationen zerfallender Wesen sowie wunderbar transzendente Gesichter eines Auferstehenden oder eines Engels zeigen. Die technische Brillanz des Künstlers, einem Schüler Bernhard Heisigs, der seit 1956 (s. ausgewählte Ausstellungen: 136-139) mit Einzelausstellungen aufwartet, entspricht altmeisterlicher Kunstfertigkeit, ohne in der Motivgestaltung nur annähernd eklektizistisch zu werden. Seine Arbeiten entziehen sich einer Einordnung, selbst wenn sie Momente der Renaissancekunst (etwa von Rembrandt van Rijn und Albrecht Dürer) wie des Sozialistischen Realismus aufgreifen und starke Einflüsse des Surrealismus verarbeiten. Sakulowskis Bilder erzeugen fast ausnahmslos einen eigentümlichen Sog, der dazu zwingt, sich das Erschreckende und Verstörende, das Ekelerregende und Schockierende immer wieder ansehen zu müssen, weil es hier so anders, so wenig als Sensation und so sehr als Spiegel unseres eigenen vorbewussten Empfindens bei Grenzerfahrungen erscheint.

Dieses tief Subjektive entfaltet in seiner Detailintensität und eigenwilligen Authentizität eine scharfsichtige Kritik, die die Obsessionen der eigenen Psyche (vgl. das „Selbstporträt“ von 2008, 121) ebenso entlarvt wie politische oder kirchlich-institutionelle Machtmechanismen und Zerfallsprozesse (vgl. etwa „Der Alptraum des Diktators“ von 1979, 113 sowie „Tod und Papst“ von 1983, 53). Das großformatige Ölbild „Christophorus“ von 1987 reicht in tiefenpsychologische Ebenen, wenn es in einer Nachtszene einen Häftling den ihm physiognomisch höchst ähnlichen Leichnam des Gekreuzigten – dem einzig beleuchtetet Motiv – durchs dunkle Wasser ziehen lässt, gleichsam als die andere Seite seiner eigenen Person, die im Schatten nahezu verschwindet.

Ein Interview mit Sakulowski, eine tabellarische Biographie und drei Schwarz-Weiß Fotografien mit einem Porträt und Atelieraufnahmen erlauben eine Annäherung an dessen Persönlichkeit, ohne das kreative Geheimnis des Meisters letztendlich aufdecken zu können. Auf einem weiteren Foto mit den Herausgebern lächeln diese wie erwartet in die Kamera, während der Künstler verschmitzt gen Himmel blickt – und damit vielleicht die Quelle seiner Inspiration andeutet.

Bilder vom Menschen
Sankt Ottilien: EOS Verlag. 2021
144 Seiten m. farb. Abb.
19,95 Euro
ISBN 978-3-8306-8066-6

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