Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Thomas Söding: Die Bibel für alle

Ziemlich unbemerkt von einer größeren Öffentlichkeit ist Ende letzten Jahres die revidierte Einheitsübersetzung (EÜ) erschienen. Fast 40 Jahre nach der Erstausgabe liegt nun eine auf Fehler hin überprüfte und neuere exegetische Erkenntnisse berücksichtigende Neuübertragung beider Testamente vor, eine katholische Übersetzung, die gleichwohl überkonfessionelle Bedeutung beanspruchen darf. Das Büchlein des renommierten Neutestamentlers Thomas Söding bietet eine hervorragende Einführung in die Besonderheiten der Übersetzung und macht zugleich mit den Eigenheiten von Bibelübersetzungen im Allgemeinen vertraut. In neun Abschnitten erfährt man alles Wichtige zur Geschichte, den Anliegen, Schwierigkeiten, Schwächen und Stärken der neuen Einheitsübersetzung, auch wie die Bibel aufgebaut ist, welche Hilfen sie bereitstellt und wie sie gelesen werden kann.

Auch wenn, wie wenig bekannt, im 17. Jahrhundert Bibeln in den katholischen Gegenden Deutschlands stärker als in evangelischen verbreitet waren (10), herrschte im katholischen Lehramt bis zum II. Vatikanum durchaus Skepsis gegenüber einer Bibellektüre von Laien. Erst die „Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung“ (Dei verbum) hob den Zugang zur Heiligen Schrift und die Wichtigkeit guter Bibelübersetzungen hervor. Die alte EÜ war allerdings schon Ende der 1950er-Jahre vom Katholischen Bibelwerk Stuttgart angeregt worden. In einer Denkschrift an die deutschen Bischöfe war eine gemeinsame Bibelübersetzung für den gesamten deutschen Sprachraum angeregt worden. Das Projekt, das 1962 alsbald begann, verfolgte eine Wiedergabe, die einerseits verständlich, andererseits in gehobenem Gegenwartsdeutsch verfasst und exakt am Urtext orientiert sein sollte (13f). Weiter sollte sie der offizielle Text in Liturgie, Katechese und Unterricht sein, aber auch der Kirche Fernstehenden einen wissenschaftlich gesicherten Zugang zur biblischen Botschaft ermöglichen. Die hohe millionenfache Auflage und intensive Verwendung bezeugen ihren großen Erfolg. 

Der Fortgang von Kultur, Gesellschaft und Theologie ließen eine Neubearbeitung sinnvoll erscheinen. 2001 erschien die „Fünfte Instruktion zur ordnungsgemäßen Ausführung der Konstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils über die heilige Liturgie“ (Liturgiam authenticam), die im Wesentlichen die bisherigen Übersetzungskriterien wie die Orientierung an den Urtexten und die liturgische Verwendbarkeit festschrieb (33-35). In Deutschland wurde die Instruktion jedoch wegen der Vielzahl an Regulierungen kritisiert, u.a. die Mahnung, im Sprachgebrauch die katholische Tradition zu wahren und nicht an ökumenische Partner anzupassen. Die EKD, die zunächst eine Kooperation und gemeinsame Übersetzung der Psalmen und des NT zugesagt hatte, stieg daraufhin aus dem Projekt aus, eine damals verständliche Entscheidung, die mit Blick auf den nun vorliegenden Text jedoch vorschnell erscheint, da eine Annäherung an die Lutherübersetzung ohnehin nicht geplant war und die Befürchtungen der Evangelischen Kirche sich wohl nicht bestätigt haben (35-37). 

Die Neuerungen der Übersetzung sind beträchtlich. Erfreulich ist, dass die größere Nähe zum Urtext zur Tilgung zahlreicher unnötiger Ergänzungen und Veränderungen der bisherigen Übersetzung geführt hat. Statt „Gott ist die Liebe“ (1 Joh 4,8.16), heißt es nun „einfach und tief wie der griechische Urtext“ (44) „Gott ist Liebe“. Auch ist Judas nicht derjenige, „der ihn [Jesus] verraten hat“ (Mk 3,14 u.ö.), sondern „der ihn ausgeliefert hat“. In Anknüpfung an die jüdische Tradition wird der Gottesname nicht mehr als „Jahwe“ notiert, sondern wie schon bei Luther als HERR. Das Ziel einer geschlechtersensiblen Sprache ist weitgehend geglückt, selbst wenn sich einige Inkonsequenzen zeigen, so etwa bei der beibehaltenen Anrede „Brüder“ im AT in Zusammenhängen, die wie in neutestamentlichen Briefen den Einbezug von Frauen voraussetzen. Nichtsdestotrotz berücksichtigt die revidierte EÜ stärker die jüdische Verwurzelung des NT im AT, ohne dass problematische Stellen durch Abweichungen vom Urtext geschönt wurden (57). Die schon von der alten EÜ praktizierte Hervorhebung alttestamentlicher Zitate im NT durch Kursivdruck ist glücklicherweise beibehalten worden. Dies unterscheidet sich wohltuend von der Eigenart der Lutherbibel, die auch in ihrer neuen Fassung Kernaussagen im laufenden Text fett druckt. Söding moniert dies zu Recht, da damit eine suggestive Leserlenkung verbunden ist, die für viele Evangelische zwar eine liebgewordene Tradition darstellt, aber theologisch doch reichlich willkürlich wirkt (98f).

Das theologische Profil der neuen EÜ im Vergleich mit der neuen Lutherbibel und der Zürcher Bibel verdeutlicht Söding mittels einiger markanter Synopsen einzelner Bibelverse aus den Themen „Rechtfertigung und Glaube“ sowie „Kirche und Gemeinde“ (83-93). Während beispielsweise die EÜ zwischen „Kirche“ als Gottesvolk in seiner weltweiten Dimension und „Gemeinde“ als aktueller und lokaler Versammlung unterscheidet, übersetzt die Lutherbibel durchgängig mit „Gemeinde“. Söding hält es für „misslich, dass ein zentrales Wort des Credos, Kirche, um das sich auch die ökumenische Debatte dreht, in der Lutherbibel nach wie vor nicht zu finden ist“ (92). Hier wie im Ganzen urteilt der Bochumer Neutestamentler freilich stets ausgewogen, so dass seiner Stimme im interreligiösen und ökumenischen Dialog zweifellos Gewicht zukommt: „Die revidierte Einheitsübersetzung zeigt beispielhaft, was katholisch ist: eine Offenheit für das Christentum auf der ganzen Welt, das nicht durch Konfessionsgrenzen eingepfercht wird; eine Zugehörigkeit zur Kirche, die nicht stumm vor dem Papst und den Bischöfen in die Knie sinken lässt, sondern gemeinsam auf Gottes Wort lauscht; eine Verankerung des Evangeliums vor Ort, jenseits von Nationalismus und Provinzialismus, in Freundschaft mit den Juden, die ihren eigenen Weg zu Gott gehen“ (79).

Das Büchlein kann allen, die sich die neue EÜ zulegen möchten, nur wärmstens empfohlen werden.

Freiburg: Herder Verlag. 2017
143 Seiten
9,99 €
ISBN 978-3-451-37813-3

 

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