Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Tilmann Seidensticker: Islamismus

Geschichte, Vordenker, Organisationen

Der Begriff Islamismus begegnet uns nahezu täglich in den Massenmedien. Doch was heißt eigentlich Islamismus? Und welches Phänomen beschreibt er? Eine Begriffsklärung gibt Tilman Seidensticker, Professor für Islamwissenschaft an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena in seinem Buch „Islamismus“ aus der Reihe Beck Wissen.

Um die Ursachen und das Wesen des Islamismus zu verstehen, nennt Seidensticker seine wichtigsten Vordenker und ordnet sie historisch ein. Er beschreibt Herkunft und Kernanliegen von Al-Afghani und Rashid Rida sowie Hasan al-Banna, dem Gründer der Muslimbrüderschaft. Ebenso erwähnt werden Sayyid Qutb, Ideologe des radikalisierten Islamismus, Ruhollah Khomeini, Gründer der Islamischen Republik Iran, Hasan at-Turabi, Pate des islamischen Sudan und schließlich Nasir ad-Din al-Albani, Vordenker des Salafismus. Außerdem zeigt er die Entwicklung verschiedener Organisationen und islamistischer Strömungen auf und erklärt, mit welchen Mitteln al-Qaida, Salafisten, Muslimbrüder und die Hisbollah operieren, um ihre Ziele zu erreichen.

Seidensticker definiert Islamismus als „Bestrebungen zur Umgestaltung von Gesellschaft, Kultur, Staat oder Politik anhand von Werten und Normen, die als islamisch angesehen werden“. Der Autor zeigt, wie spätestens seit der Iranischen Revolution von 1979 islamische Werte und Normen zur Erreichung der eigenen Ziele genutzt werden. Neue und moderne Elemente kämen zwangsläufig hinzu. Am Beispiel Ägyptens zeigt Seidensticker, wie historische Entwicklungen die Entstehung des Islamismus beförderten. Mit der Besetzung durch britische Truppen wurde das Land 1882 faktisch zu einem britischen Protektorat, obwohl es rechtlich bis 1914 eine Provinz des Osmanischen Reichs blieb. In den folgenden vierzig Jahren wurde die ägyptische Wirtschaft etwa durch die Steigerung der Baumwollmonokultur auf die besonderen Interessen Englands ausgerichtet. Die Entstehung und Entwicklung einer lokalen Industrie wurde damit verhindert. Die Ausgaben im Schulwesen wurden reduziert, um 1905 gab es lediglich drei staatliche Oberschulen, der Gründung einer Universität widersetzten sich die Engländer bis 1908. „Der Kolonialismus", resümiert Seidensticker, „ist nicht die alleinige Ursache für die Entstehung des Islamismus, genauso wenig wie er für alle Probleme der dekolonisierten arabischen und sonstigen islamischen Staaten verantwortlich ist. Zu seinen Wesensmerkmalen gehört aber, dass externe politische und ökonomische Interessen Vorrang haben, indem etwa die Kolonien zu Rohstofflieferanten gemacht wurden. Direkt oder indirekt wurden auch kulturelle Selbstverständlichkeiten massiv in Frage gestellt.“ Der Gedanke des Islamismus, so Seidensticker, sei gleichzeitig mit der Blüte totalitärer Ideen, besonders in Europa entstanden. Statt der westlichen Volkssouveränität wurde gefordert, die Souveränität Gottes ins Werk zu setzen. Damit werden von Parlamenten verabschiedete Gesetze abgelehnt, gelten sie doch als menschengemacht. Im letzten Teil des Buches erklärt Seidensticker das Konzept des Jihads, das von Islamisten zur Rechtfertigung von Gewalttaten herangezogen wird. 

Seidensticker vermittelt dem Leser einen fundierten Überblick über die verschiedenen Ausformungen islamistischer Strömungen, ihrer Leitmotive und Zielsetzungen. Er trägt mit seinem Buch dazu bei, ein aktuelles Phänomen zu verstehen und einzuordnen.

München: C.H. Beck Verlag. 2014
C.H. Beck Wissen
128 Seiten
8,95 €
ISBN 978-3-406-66069-6

 

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