Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Tomáš Halík: Die Zeit der leeren Kirchen

Die Abwendung von der Kirche ist nicht nur in Westeuropa ein bekanntes Phänomen. Der Prozess lief und läuft auch in den ehemals kommunistischen Ländern des Ostens ab. Zu beklagen ist damit nicht in erster Linie ein Verlust an Einfluss und Macht, sondern, viel tragischer, eine intellektuelle Auszehrung der Institution. Es sind ja gerade die redlich auf der Höhe der Zeit fragenden und suchenden Menschen, die sich mit den verfassten Kirchen Osteuropas, ihren mit der modernen Kultur fremdelnden Hierarchen, deren politischer Positionierung und letztlich deren Art zu denken und zu sprechen nicht mehr anfreunden können.

Der tschechische Theologe Tomáš Halík bemüht sich in seiner an der Touristenmeile gelegenen Prager Akademischen Pfarrgemeinde darum, gerade dieser Gruppe von Menschen ein spirituelles Angebot zu unterbreiten. Seine Schriften sind mittlerweile über seine Heimat hinaus eine Institution, weil die Grundfrage, wie Leben und Glauben jenseits von geistlosem Fundamentalismus einerseits und liberal-pragmatischem Säkularismus andererseits gelingen kann, eine ganz Europa gestellte ist. Halíks „Werkstatt eines bestimmten Stils des Durchdenkens und Durchlebens des Glaubens“ (194) hat eingängige Vokabeln hervorgebracht, etwa den „Zachäus-Menschen“, den „Etwasismus“ oder das „Zeitalter des Karfreitags“. Sie sind Früchte der Überzeugung, dass eine Suche nach der Quelle des Lebens lohnt. Wahrheitsbesitzer links und rechts des Weges werden sich mit dem theologischen Grenzgängertum Halíks freilich nicht anfreunden können.

Im Vorwort seines neuen Buches sind noch einmal einige der schon in anderen Veröffentlichungen niedergelegten zeitdiagnostischen Grundeinsichten in knappster Form abgebildet. Die anschließend abgedruckten Predigten und Betrachtungen des Osterfestkreises stehen dann zunächst unter dem Eindruck der Pandemie. Die „leeren Kirchen“ des Buchtitels verdanken sich dieser Situation, nämlich der Ansprache des Priesters in eine aufzeichnende Kamera hinein. Die leeren Kirchen, in Tschechien ja nicht eine wirklich neue Erfahrung, sind Halík zufolge Signum einer neuen Epoche. Die Pandemie deckt nur auf, was ohnehin längst Faktum und Notwendigkeit ist: Eine bestimmte überkommene Gestalt von Kirche muss sterben, damit die Gemeinschaft der Glaubenden in erneuerter Gestalt auferstehen kann.

In Halíks Büchern wird man vergebens nach konkreten Reformvorschlägen suchen. Seinem Verständnis zufolge dienen die Reformdiskussionen nämlich zumeist ohnehin dazu, den alten Betrieb irgendwie weiterlaufen zu lassen. Nur bisweilen ist ein Randkommentar zu aktuellen Streitthemen zu vernehmen, etwa wenn das Verständnis der Eucharistie als panis viatorum herausgestellt und damit abgegrenzt wird von der impliziten lehramtlichen Auffassung, der Kommunionempfang sei eine „Torte für den Klassenbesten in der Schule Gottes“ (165). Zentral ist für Halík vielmehr die Einsicht, dass eine neue Gestalt von Kirche nur dort entstehen kann, wo der Glaube selbst sich erneuern lässt, wo er von der Oberfläche des Katechismuswissens zu einer Tiefe durchdringt, in welcher die Existenz des Menschen berührt ist. Die leeren Kirchen sind für Halík letztlich eine Botschaft Gottes, ein Wüstenaufenthalt, ein deutlicher Schubser des Herrn, um der Einkehr den Weg zu bereiten.

Insofern überrascht es nicht, wenn die Themen der geistlichen Betrachtungen sich nicht nur von der ekklesiologischen Problematik schnell lösen, sondern der Pandemieanlass der Veröffentlichung in den Hintergrund rückt. Im Zentrum stehen nun Reflexionen über die Bedeutung von Leid und Kreuz, von Auferweckung und Verwandlung sowie dem Wegcharakter des glaubenden Daseins. Halíks Begleiter bei der Aufschlüsselung der Symbole des Lebens, der Heiligen Schrift und des Glaubens sind die christlichen Mystiker und Existenzialisten, aber auch Psychologen sowie mancher gelehrte Rabbiner.

Meditationen sind nicht darauf gerichtet, Informationen zu transportieren, sondern tief im Innern Gewusstes, durch Alltagssorgen, kulturelle Oberflächlichkeit, häufig niveauarmes Kirchensprech Verdecktes ins Bewusstsein zu heben. Das leistet das Büchlein hervorragend. Wer Halíks Schriften kennt, lebt mittlerweile mit den Wiederholungen. Es lohnt, die 200 Seiten abschnittsweise zu studieren.

Von der Krise zur Vertiefung des Glaubens
Aus dem Tschechischen von Markéta Barth unter Mitarbeit von Benedikt Barth
Freiburg: Herder Verlag. 2021
207 Seiten
20,00 €
ISBN 978-3-451-38994-8

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