Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Ulrich Nersinger: Päpste

Mit Büchern zum Papsttum und zur Geschichte der Oberhäupter der ältesten Institution der Welt ließen sich ganze Bibliotheken füllen. Trotzdem ist die Faszination für die Päpste noch heute weit über die katholische Kirche hinaus ungebrochen. Auch in der Sachbuchreihe „100 Seiten“ des Reclam Verlags darf daher das Thema nicht fehlen.

Der Journalist, Vatikan-Experte und profunde Kenner des päpstlichen Zeremoniells Ulrich Nersinger hat nun einen Band zu den Päpsten veröffentlicht. Ganz im Stil der Reihe, die auf unterhaltsame und kurzweilige Weise in die unterschiedlichsten Sachthemen einführt, widmet er sich der fast 2000-jährigen Geschichte dieses Amtes an der Spitze der Kirche. Die wechselvolle Geschichte der Nachfolger des Apostels Petrus auf engstem Raum darzustellen, ist sicher eine Herausforderung. Nersinger konzentriert sich in seinem Überblickswerk auf die archäologischen Befunde zum Petrusgrab unter dem Petersdom, die Entfaltung des Papstamtes in den ersten Jahrhunderten der Kirche und bietet einen historischen Überblick zu den Päpsten als Kirchenoberhäupter, Kriegsherren und Fürsten des Kirchenstaats. Dem schließen sich Kapitel zur Neuausrichtung von Papsttum und Kirche im 20. Jahrhundert, zum Verhältnis zu Kunst und Wissenschaft, zur Papstwahl sowie medialen Inszenierung und Wahrnehmung der Päpste an.

Er schafft es dabei, durch eine unterhaltsame Erzählweise und anschauliche Sprache die Welt hinter den Mauern des Apostolischen Palasts greifbar zu machen. Besonders gelungen sind die Ausführungen zum Kenntnisstand über das Petrusgrab und das päpstliche Zeremoniell, das aus demjenigen der römischen Kaiserzeit hervorging, und dem Selbstverständnis der Päpste als Herren der Kirche Ausdruck verleihen sollte. Auf prägnante Weise erklärt Nersinger, was es beispielsweise mit dem Konklave, päpstlichen Insignien wie der Tiara oder dem Päpstlichen Haus auf sich hat. Ein detailliertes Glossar im Anhang hilft zudem beim Verständnis verschiedener Begriffe aus dem Mikrokosmos Vatikan. Durch Anekdoten, wörtliche Zitate aus den unterschiedlichen Zeugnissen der Papstgeschichte, Graphiken und Bilder erhält der Leser zudem einen lebendigen und anschaulichen Eindruck.

Gerade im historischen Überblickskapitel werden einzelne dunkle Stellen der Papstgeschichte wie die Kreuzzüge, das Renaissance-Papsttum und die Römische Inquisition angesprochen. Umso erstaunlicher ist aber, dass der Verfasser in den Ausführungen zur Neuzeit einige kontroverse Themenfelder ausspart, die das breite Interesse am Papsttum jedoch ausmachen: vom Fall Galileo Galilei zu Beginn des 17. Jahrhunderts, von der über 150-jährigen Antihaltung der Päpste gegenüber dem liberalen Staatswesen, der Demokratie und den Menschenrechten hört man genauso wenig wie von den Kulturkämpfen der 1870er Jahre. Die Kontroverse um Pius XII. (1939-1958) und der Vorwurf des Schweigens während des Zweiten Weltkriegs werden als mediale Kampagne abgetan – und das, obwohl die (kirchen-)historische Forschung noch gar nicht zu einem verlässlichen Urteil gekommen ist. Schließlich werden die Bestände der Vatikanischen Archive erst in diesem Jahr der Forschung zugänglich gemacht. Es ist vollkommen klar, dass eine Einführung nicht zu sehr ins Detail gehen kann. Gerade deshalb sollte sie aber ausgewogen und nicht einseitig auf Probleme und Konflikte aufmerksam machen. Ebenso verwundert es, dass Nersingers spürbare Begeisterung für seinen Untersuchungsgegenstand punktuell zu einer harmonisierenden Darstellung der historischen Prozesse führt. Die Ausführungen zum Übergang der Sonderstellung des Apostels Petrus auf die Päpste erinnern beispielsweise stärker an Passagen der Dogmatischen Konstitution „Pastor aeternus“ von 1870, mit der die päpstliche Unfehlbarkeit und der Jurisdiktionsprimat beschlossen wurden, als an das, was sich historisch sicher über die Frühphase der römischen Christengemeinde sagen lässt. Ähnliches gilt für die Darstellung des mittelalterlichen Papsttums: Nur weil die Päpste ein bestimmtes Selbstbild propagierten und durch Normen durchzusetzen versuchten, bedeutet es nicht, dass dieses zwangsläufig der Realität entsprach.

Insgesamt ist Ulrich Nersinger aber eine solide Einführung gelungen, die einer interessierten Leserschaft verlässlich Auskunft über das Phänomen „Papsttum“, sein Selbstverständnis, seine Insignien, das politisch-diplomatische Engagement der Päpste der jüngsten Vergangenheit sowie die Lebenswelten „Vatikan“ und „Römische Kurie“ geben kann.

Reclam 100 Seiten
Stuttgart: Reclam Verlag. 2019
101 Seiten m. s-w Abb.
10,00 €
ISBN 978-3-15-020539-6

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