Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Ulrich Riegel: Wie Religion in Zukunft unterrichten?

Die Kernfrage, die Ulrich Riegel umtreibt, ist auf jeden Fall aktuell. Und es ist sicher klug, sich „bereits heute mit Alternativen zum vorfindlichen Modell konfessionellen Religionsunterrichts zu beschäftigen, um für den Fall der Fälle gewappnet zu sein“ (6). Ziel des vorliegenden Buches ist es, einen Religionsunterricht ins Spiel zu bringen für die Zeit, in der ein konfessioneller RU gesellschaftlich nicht mehr legitimierbar (156) ist. Der Autor stellt für diesen Fall zwei Modelle vor: den „religions-kooperativen RU in konfessorisch-dialogischer Perspektive“ und den „kooperativen Weltanschauungsunterricht“. Nach einer Klärung der aktuellen Situation hinsichtlich religiöser Pluralität und der Darstellung der derzeitigen rechtlichen Situation des RU stellt er drei schon existierende Organisationsformen jenseits des konfessionellen RU vor, das konfessorische, das religionskundliche und das dialogische Modell. Auf dieser Grundlage entstehen die beiden für die Zukunft gedachten Modelle.

Zur Zielgruppe des Bandes macht Riegel keine konkreten Angaben. Beim Lesen des Buches wird aber deutlich, dass die Adressaten nicht (primär) die Religionslehrkräfte sind, sondern Entscheider/innen auf kirchlicher, hochschulpolitischer, juristischer und politisch-staatlicher Ebene. Auch die wenigen fachdidaktischen Ausführungen weisen darauf hin, dass sich das Buch weniger an Lehrkräfte als an in der Wissenschaft arbeitende Theologen richtet.

Wer etwas zu den bisher schon praktizierten Varianten und Organisationsformen jenseits des konfessionellen RU erfahren will, wird fündig. Solide und auf knappem Raum erfahren die Lesenden etwas über die Struktur sowie die Vor- und Nachteile der verschiedenen Modelle. Interessant ist auch die Darstellung der beiden von Riegel als visionär bezeichneten Modelle eines zukünftigen RU bzw. Weltanschauungsunterrichts, die im Klassenverband unterrichtet werden sollten und in je unterschiedlicher Weise religiöse Pluralität und säkulare Weltanschauungen „mit ins Boot“ holen will. Die Rezensentin möchte diese Ansätze nicht referieren, aber einige Anfragen formulieren, die ihr beim Lesen gekommen sind:

„Religiöse Bildung / religiöses Lernen“ sind sehr häufig verwendete Begriffe in diesem Buch, allerdings wird nie definiert, was das genau ist. Ausgesagt wird lediglich, dass dies etwas anderes sei als Lernprozesse, die sich auf säkulare Gegenstände beziehen (197). Gleichzeitig werden die Begriffe „Religiosität“, „Religion“, „religiös“ synonym verwendet, „Glaube“ und „glauben“ dagegen kommt gar nicht vor.

Bei den schon existierenden alternativen RU-Modellen sowie Riegels Varianten dreht sich (fast) alles um die Frage, wie die Pluralität der Überzeugungen auf Seiten der Lernenden (religiöse, stark-religiöse, säkulare etc.) in Beziehung zu den Inhalten der Religionsgemeinschaften treten kann. Korrelation und „exemplarische Positionalität“ der Lehrpersonen sind die Stichworte. Es geht also darum, wie sich Schülerinnen und Schüler mit den Inhalten der Religionen auseinandersetzen sollen und welche Funktion dabei Lehrkräfte spielen (sollen). Dabei steht der Diskurs im Mittelpunkt, weniger bzw. gar nicht die Frage des Prozesses, also WIE sich (religiöses) Lernen bei Menschen ereignet. Riegel zitiert Tatjana Schnell, die sich auch mit Prozessen des Glaubens (Processes of believing) beschäftigt. Doch die Frage, wie Glaubensprozesse stattfinden, verfolgt der Autor bei seinen Begründungszusammenhängen nicht weiter.

Die um den Grazer Religionspädagogen Hans Ferdinand Angel entwickelte und interdisziplinär angelegte Creditionenforschung könnte manches zur Frage beitragen, wie säkulare und religiöse Bildung, wenn man in dem Sprachjargon bleiben will, nicht als getrennte Welten gesehen werden müssen. Mir scheint dies ein Ansatz zu sein, mit dem sich in der Praxis angesichts der gesellschaftlichen Entwicklungen arbeiten lässt. Schon 2006 wurden dazu die Anfänge gelegt – nachzulesen in dem Band „Religiosität. Anthropologische, theologische und sozialwissenschaftliche Klärungen.“ Manche der „Probleme“, auf die Riegel versucht, eine Antwort zu finden, würden damit weitgehend obsolet.

Zum Konfessionsbezug des Religionsunterrichts von (über-)morgen
Stuttgart: W. Kohlhammer Verlag. 2018
233 Seiten
29,90 €
ISBN 978-3-17-034463-1

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