Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Walter Homolka: Übergänge

Beobachtungen eines Rabbiners
Mit einem Vorwort von Margot Käßmann

Dieses Buch lässt uns Einblick haben in die jüdische Zeitgeschichte, die hier mit den Augen eines Rabbiners betrachtet wird. An dieser Geschichte der jüngeren Gegenwart hat Walter Homolka großen Anteil, denn er ist ein Visionär, der seinen großen Gedanken auch Taten folgen lässt. Neben vielen Ämtern ist er der Mitbegründer und Rektor des 1999 errichteten Abraham Geiger Kollegs an der Universität Potsdam. Diese Einrichtung war für die liberale jüdische Welt ein Markenstein, denn nun konnten – erstmals nach dem Holocaust – in Deutschland wieder Rabbiner ausgebildet werden. Mit deren Hilfe konnte nun in Deutschland wieder jüdisches Leben neu entstehen. Eine weitere große Errungenschaft, die auch nur durch sein Engagement zustande kam, ist die Errichtung der School of Jewish Theology ebenfalls an der Universität Potsdam, an der er als Professor und geschäftsführender Direktor wirkt. Diese beiden Einrichtungen sind wichtig für den Übergang in eine Zukunft, in der jüdische Theologie und Rabbinerausbildung nun auf Augenhöhe mit den jeweiligen christlichen Institutionen stehen. Rabbiner Homolka hat diese Übergänge initiiert, und so ist es nicht verwunderlich, dass der Titel seines Buches „Übergänge“ lautet.

Wer ist Walter Homolka, was treibt ihn an und warum ist er so erfolgreich? Einiges wird deutlich in dem Kapitel „Statt Einleitung: Zehn Fragen an den Autor“. Man erfährt von einem vielfältigen Lebensweg. Nach einem Studium der Theologie, Philosophie und Judaistik gelangte er durch Zufall zunächst ins Bankwesen (Investment Banking), in die Welt der Medien (Vorstandsassistent bei Bertelsmann) und war Geschäftsführer bei Greenpeace – vielfältige Erfahrungen, die bei der Gründung des Abraham Geiger Kollegs und der School of Jewish Theology sehr nützlich waren.

Im Kapitel „Plurales Judentum“ betont er, dass Religion immer wieder neu einen „Brückenschlag“ bewerkstelligen muss, und zwar zwischen dem „Althergebrachten“ und dem „notwendigen Wandel“. Er vertritt, wie Abraham Geiger, den Grundsatz „durch Wissen zum Glauben“. Häufig wird den Juden vorgeworfen, dass nur sie sich für auserwählt halten. Seine Erklärung ist, dass die Auswahl Israels „eine Auswahl für eine bestimmte Aufgabe und Funktion im Verhältnis mit Gott“ ist. Im Kapitel „Religion und Moderne“ betont er, dass Pluralismus heute bedeute, „mit der Koexistenz unterschiedlicher Lesarten fertig zu werden: innerhalb des Judentums und im Wettstreit unterschiedlicher Weltanschauungen“. Denn die Frage „Wer bin ich?“ kann nur im Zusammenhang mit der Frage „Wer ist der Andere“ beantwortet werden. Auch gilt für ihn: „keine Identität ohne Begegnung, keine Begegnung ohne Identität“.

Seine Stellungnahmen zur Stammzellenforschung, Homosexualität, der Frau im rabbinischen Amt und zur Mischehe sind, gerade für Juden von heute, von großem Interesse. Im Kapitel „Juden – Christen – Muslime“ wird ganz besonders deutlich, wie gut sich der Autor in der Kirchengeschichte auskennt. Zunächst spricht er das neue Verhältnis zwischen Juden und Christen an, dessen Ausgangspunkt das Zweite Vatikanische Konzil ist. Hier wurde erstmals die pauschale Schuldzuweisung für Jesu Tod an das jüdische Volk zurückgewiesen. Wir erfahren mehr über weitere große Gesten der Annäherung, wie z.B. das bekannte, kurz vor seinem Tod verfasste Bußgebet von Papst Johannes XXIII., der Besuch Papst Johannes Pauls II. 1986 in der Großen Synagoge von Rom sowie der 1993 geschlossene Grundlagenvertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Staat Israel. Die Tatsache, dass im Mai 2000 der Papst und leitende Kardinäle eine umfassende Vergebungsbitte ausgesprochen haben für all das, was in der Vergangenheit dem jüdischen Volk angetan wurde, nennt der Autor eine „atemberaubende Veränderung“. Diese sollte gewürdigt werden, trotz des irritierenden Verhaltens von Papst Benedikt XVI. in Bezug auf die Rehabilitation der Piusbruderschaft und der Neuformulierung der Karfreitagsfürbitte.

Im Abschnitt „Gespräch mit Protestanten“ wird an der Person Martin Luther deutlich gemacht, wie sehr die Beziehung zwischen Juden und Christen ihre Höhen und Tiefen hatte. Luther, der zunächst auf den Ursprung des Christentums im Judentum hinweist, wird am Ende seiner Tage zum Judenhasser. Und im Abschnitt „Gemeinsamkeiten betonen – Unterschiede respektieren: Im Gespräch mit Muslimen“ betont der Autor, dass es ein Jude war, nämlich Abraham Geiger, der 1833 mit seiner Dissertation „Was hat Mohammed aus dem Judenthume aufgenommen?“ zum Wegbereiter der modernen Koranwissenschaft wurde. Gerade im Hinblick auf den Holocaust gehe es nicht um die Frage nach dem „rechten Glauben“, sondern um das „richtige ethische Verhalten“. Daher seien Begegnungen untereinander von großer Notwendigkeit. Im Kapitel „Land und Staat Israel“ erwähnt der Autor, wie wichtig es für die jüdische Theologie ist, sich auf Israel „zurückzubeziehen“, denn dort „hat sich die Erwählung Israels konkretisiert“. Bis in die Gegenwart und in künftigen Zeiten fühlen sich Juden, auch wenn sie in der Diaspora leben, mit Israel verbunden. Es ist nach Leo Baeck „eine schicksalhafte Verknüpfung“. 

Im letzten Kapitel „Gerechtigkeit und Frieden“ betont der Autor, dass sich die Gesetze im Judentum in einem immerwährenden „Interpretationsprozess“ entwickelt haben, um ihre Gültigkeit in der Neuzeit weiterwirken zu lassen. Wichtig ist es ihm auch, zu betonen, dass Juden und Nichtjuden nach Gottes Ebenbild erschaffen wurden und allen der Erkenntnisweg zu Gott offensteht.

Dieses Buch sollte eine Pflichtlektüre sein für alle, die am interreligiösen Dialog interessiert sind. Der Leser erfährt, wie sich antijüdische Anschauungen im Laufe der Zeit verändert haben und so „Übergänge“ geschaffen wurden, die ein respektvolles Nebeneinander zwischen den Religionen ermöglichen.

Ostfildern: Patmos Verlag. 2017
207 Seiten
18,00 €
ISBN 978-3-8436-0924-1

 

Zurück