Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Werner Schüßler: Warum die Welt nicht alles ist

 

Der Titel des Buches verweist auf die Sinnfrage, auf das, was unser Leben trägt. Der Autor stellt die Frage nach dem guten, erfüllten Leben im Kontext der von Wissenschaft und Technik geprägten Gegenwart und in Auseinandersetzung mit der immer weiter verbreiteten naturalistischen bzw. reduktionistischen Weltsicht. Dabei bezieht er Einsichten der philosophischen Tradition von der Antike bis zur Gegenwart ein und ist der Existenzphilosophie besonders verpflichtet.

Die Einleitung „Worum es hier geht“ kennzeichnet pointiert Schüßlers Anliegen, dass die Wirklichkeit mehr ist als das, was sich wissenschaftlich beweisen lässt. Es folgen drei etwa gleich lange Kapitel.

Das erste, grundlegende „Warum Philosophie kein überflüssiger geistiger Luxus ist“ thematisiert die metaphysischen, letzten bzw. ersten Fragen, die den Menschen wesentlich und unbedingt angehen: Was ist das Wirkliche, die Materie, das Leben, der Geist? Damit ist zugleich die anthropologische Frage nach unserem Selbst- und Weltverständnis gestellt. Auch wenn diese nie endgültig beantwortet werden kann und Gegenstand unterschiedlicher Philosophien ist, bleiben das Fragen nach und das Staunen über das Alltägliche unverzichtbarer Ausgangspunkt. Um der Klarheit ihrer spezifischen Aufgaben willen ist die Philosophie auf die Wissenschaft angewiesen. Diese kann und will weder Auskunft über die Ziele des Lebens noch über das richtige Handeln geben. Bei der notwendigen Suche nach dem Mehr bietet die Philosophie die Möglichkeit, das Dasein und den Lebensgrund zu erhellen: Das Denken von Karl Jaspers bildet den roten Faden dieser und vieler anderer Ausführungen.

Im zweiten Kapitel „Warum Freiheit keine bloße Illusion ist“ steht das Problem der Willensfreiheit im Vordergrund. Die im neurobiologischen Forschungsbereich berechtigten und plausiblen Einsichten in die Gebundenheit des menschlichen Willens müssen als Verabsolutierung zurückgewiesen werden, wenn sie sich als Weltanschauung verstehen. Sie gehen dann über den Bereich der Einzelwissenschaft hinaus. Die Verabsolutierung einer naturalistischen – und damit reduktionistischen – Sicht führt zu Vorurteilen. Demgegenüber ist ontologisch der Blick auf das Ganze des Menschen gerichtet: Seine existentiell verstandene Freiheit besteht in der Fähigkeit zur Selbst-Distanzierung und Selbsttranszendenz. Letztere wird vor allem in der Liebe, dem entscheidenden Akt der Freiheit, konkret. Mit der Liebe als Agape bringt der Autor das entscheidende christliche Grundwort ins Gespräch: In der vorbehaltlosen Hingabe an den anderen erscheint ein Mehr, das wissenschaftlich nicht erklärt werden kann. Das gibt den Naturalisten zu denken. Außerdem kann dieses Plus philosophisch mit Karl Jaspers und Paul Tillich, dem zweiten Gewährsmann für die Ausführungen des Verfassers, als philosophischer Hinweis auf die Unsterblichkeit verstanden werden. Es kann nämlich als die Erfahrung des unzerstörbaren, ewigen Lebens im Hier und Jetzt betrachtet werden.

Im Schlusskapitel „Warum Gott keine Projektion ist“ geht es um die Plausibilität des Gottesglaubens. Dieser ist nicht zu bewiesen, aber durch Vernunftgründe aufzuweisen. Auch der Glaube kann erhellt werden. Die Projektion auf etwas ist nicht mit der Leinwand gleichzusetzen. Die Projektionsthese sagt also nichts darüber, ob es Gott gibt oder nicht. Der Glaube besteht in der personalen Hingabe. Er bedeutet ein existentielles Ergriffensein, ein Wagnis, das sich im Zweifel immer neu bewahrheiten muss. Die Bewährung spitzt sich in der Situation des Übels zu. Verschiedene Antwortversuche auf die Theodizeefrage münden in die Einsicht, Gott grundlos, um seiner selbst willen, zu lieben. Zugleich hält die Klage über das Leid, gegen das der Mensch aufbegehrt, die Frage nach dem Warum offen.

Die klaren, lehrreichen Ausführungen bieten vielfältige Impulse zum Gespräch und zum Fragen. Der skizzierte philosophische Glaube ermöglicht den Dialog zwischen Skeptikern und Religiösen jenseits von Offenbarungspositivismus und Fundamentalismus. Die These, ohne einen letzten Sinn gehe jeder einzelne Sinn verloren, provoziert kritische Einwände mit Bezug auf Albert Camus‘ „Sisyphos“.

Was wir von der Philosophie lernen können
Würzburg: Echter Verlag. 2020
128 Seiten
29,90 €
ISBN 978-3-429-05616-2

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