Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Werner Zager (Hg.): Der neue Atheismus

Das Buch macht richtig etwas her. Edler Preis, knalliger Umschlag, interessantes Thema, große Ankündigung: „Ein neuer Atheismus übt Kritik an jeglichem Gottglauben und beansprucht die Position der Vernunft und Humanität für sich allein. Aber ist dieser Anspruch selbst vernünftig begründbar? Und treffen die Kritikpunkte der neuen Atheisten das aufgeklärte Christentum der Gegenwart überhaupt? Fundierte Antworten gibt der vorliegende Band.“ Dazu die Evangelische Sonntags-Zeitung: „Für Theologinnen und Theologen lohnt sich die Lektüre des Sammelbandes. ... Für alle, die theologisches Interesse und Vorkenntnisse mitbringen, werden einzelne Aufsätze zum Genuss.“

In einem einleitenden Aufsatz stellt Werner Zager die Weichen: Unter Theologie versteht er liberale protestantische Theologie als undogmatisches Christentum, der Atheismus wird verstanden in seiner evolutionär-szientistischen Variante, Ziel sei dialogisch ein Kampf um aufgeklärte humane Verhältnisse.

Martin Schmuck plädiert für die Vereinbarkeit von liberalem Protestantismus und evolutionärem Humanismus. Ergebnis der Vereinigung sei eine naturalistische Theologie, in der alle – auch die theologischen – Wirklichkeitsbehauptungen nach den gleichen wissenschaftlichen  Maßstäben als Beschreibungen der einen Natur zu erfolgen hätten; Religion wäre darin das lebensweltliche Bewusstsein des Gegründetseins in unbedingter Einheit (mit Ulrich Barth formuliert) und realisiere sich in „alltagsweltlich-existenzial-heuristischer Wirklichkeitsdeutung“. Um zu dieser Einsicht zu kommen, geht Schmuck verschlungene Wege durch Wissenschaftstheorien und führt theologische Gewährsleute zwischen Schleiermacher und Bultmann an. Dem verblüfften Leser brummt der Schädel: Plädiert der Autor für rohen Kreationismus mit strikter Sprachregelung nach wissenschaftstheoretischer Dogmatik? Oder doch eher für postmoderne Zurechtlegung der Theologie, bis sie zur augenblicklichen Weltanschauung passt? Und was hat das mit der giftigen Häme aktueller atheistischer Bestseller zu tun?

Hans-Georg Wittig sucht nach Kriterien humaner Religion. Er findet sie in Anlehnung an Albert Schweizer in Toleranz und gelebter Mitmenschlichkeit, der goldenen Regel und Ehrfurcht vor dem Leben, Gelassenheit und Liebe, sowie in dankbarem Vertrauen und Hoffnung. Der kurze Artikel liefert einen religionsphilosophischen Rohbau, er argumentiert geordnet und vermag Anregungen für eine christliche Auseinandersetzung mit atheistischen Positionen zu geben; beispielsweise könnte man über die Grenzen der Kriteriensammlung (Mitleid, Ehrfurcht, Liebe) nachdenken.

Michael Großmann zeigt die Zähne: Er zitiert die Plattitüden und Schlachtrufe der Religionskritiker, doch auch seine eigene Kritik ist harsch und manchmal sarkastisch. Seine Position ist: „Gott ist kein Ding hinter der Welt, sondern die Art der Welt zu sein“ und identifiziert intersubjektive Vernunft mit Gott. Ganz verstanden habe ich das nicht. Bisher dachte ich eher, er sei Aufgabe der Geschaffenen, sie selbst zu sein und zur Theosis würde erst erlöst. Nun denn. Großmann wird es schon recht gemeint haben. Was allerdings stutzig macht, ist die Inflation an innertheologischer Entrümpelung: keine Wunder mehr, kein Bittgebet, etc. Aber das ist wohl nur eine Verfeinerung, und die sei nach seiner Auffassung dem frommen Rest an liberalen Christen überlassen.

Zwischen die genannten sind Artikel gemischt, in denen einzelne Autoren vorgestellt und gelegentlich ordentlich durchgerauft werden: Atheistische Kirchenamtsträger, der Musiker Eisler, die Atheisten Wuketis und Schnädelbach und schließlich Paulus in einer Predigt. In dem Meer von Modellen, Positionen und Schlagworten finden sich hier geruhsamere Gangarten und bedächtige Wertungen.

Das eher selten besprochene Thema „Ethik und neuer Atheismus“ greift Knut Berner auf und weist auf einen Grundzug vieler aktueller Statements hin: die vermeintlich witzige Verheißung von „Leichtigkeit des Seins“. Er verdeutlicht, dass der gewünschte wachstumsfördernde und anstrengungsfreie easy going flow durch die Verdrängung unangenehmer Realitäten entsteht, und dass die vermeintlich befreiende Leugnung der Willensfreiheit keine Unschuld schafft, sondern depotenziert. Betroffen macht mich die Beobachtung, wie sehr die naiv-optimistischen Optionen bereits in die durchschnittliche offiziöse Begutachtungspraxis eingezogen sind, trotz warnender (auch liberaler) Stimmen. An dieser Stelle sollte weiterhin nachgehakt werden.

Wie man mit Argumenten einer modernen Wissenschaft deren radikalen „Fachphilosophen“ eine Menge hochpeinlicher Fragen stellen und trotzdem gänzlich selbstkritisch bleiben kann, demonstriert Michael Blume am „atheistischen Gehirn“.

Das Buch, Werk eines Vereins liberaler Protestanten, sammelt einzelne Statements unterschiedlicher Komplexität. Wenn die besondere Interessenlage der Autoren im Blick bleibt, vermittelt die Lektüre für gut vorbereitete Spezialisten der Sachfrage „moderner Atheismus“ neue Durchblicke. Gelegentliche Ausflüge in pädagogische Vereinfachungen gelingen selten. Eine größere Verbreitung dürfte bereits am Preis scheitern.

Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. 2017
256 Seiten
79,95 €
ISBN 978-3-534-26878-8

 

Zurück