Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Wolfgang Baum: Negativität als Denkform

Der Ausdruck „negative Theologie“ ist gängig. Bei einer Offenbarungsreligion, als welche der biblische Monotheismus gerne bezeichnet wird, wirkt er oft irritierend, so, als sei damit die Offenbarung, die doch als etwas Großartiges, Schönes und Positives empfunden wird, wieder ein­kassiert worden. Wer Wolfgang Baums bemerkenswerte und luzide Studie zur „Negativität als Denkform“ durchgearbei­tet hat, muss allerdings zu der Überzeugung kommen, dass mit der negativen Theologie das eigentliche Wesen dieses Monotheismus getroffen ist.

Baum rekonstruiert zunächst die Religionsgeschichte des biblischen Gottesglaubens, die sich als „se­kundäre Religion“ (Jan Assmann) aus dem polytheistischen Umfeld herausarbeitet. „Dies sind die Worte“, so beginnt im hebräischen Original das Buch Deuteronomium. In ihm laufen einzelne monotheistische Traditionslinien zusammen, die in der späten Königszeit die Vo­raussetzungen für den eigentlichen Durchbruch schaffen. Das Wort ist, so Baum, der „pri­märe Ort göttlicher Selbstoffenbarung“. Gott „wohnt in seinem Wort“ (1 Könige 6,19). Für es sei, damit er in ihm wohnen kann, der Tempel in Jerusalem gebaut worden. Noch wichtiger wird es wohl gewesen sein, dass man es aufgeschrieben hat. In der folgenden Zeit des babylonischen Exils haben die aus Jerusalem verschleppten Judäer den polytheistischen Bilderkult der Babylonier vor Au­gen, und an ihm schärft sich die Kritik. Von JHWH darf und kann es dagegen kein Kultbild geben.

Darum geht es: Baums „negative Theologie“ ist nicht einfach negativ, sondern sie geht von einem ontologischen Sonderfall aus. Der neue Gott des alten Israel ist, anders als die Götter der anderen Völker, kein Teil der Welt, vielmehr ihr Gegenüber. Und er ist nicht selbstge­macht, wie die Kultbilder der Babylonier.

Im bloßen „Ich bin da“(JHWH), jenem „Namen“, der eigentlich kein Name ist, kommt die Einzigkeit Gottes zum Ausdruck. So kann nur einer heißen. Die Wirklichkeit Gottes ist eine, die gleichzeitig behaup­tet und in dieser Behauptung vorenthalten wird. Negative Theologie ist also eine Theologie der Vorenthaltung. Diese Simultaneität von Offen­barung und Bestreitung macht den besonderen Charakter des biblischen Monotheismus aus. Obwohl Baum die Dialektik zwischen Position und Negation in ihrer religionsgeschichtlichen Genese sorgfältig herausarbeitet, bleibt er bei der gängigen Begrifflichkeit und nennt das Proprium des Monotheismus weiterhin „negative Theologie“. Besser wäre es sicher, von einer Theologie der Vorenthaltung oder einer privativen Theolo­gie zu sprechen.

In der Begriffslogik kennt man die Unterscheidung zwischen einer privativen und einer limitativen Negation. Bei einer limitativen Negation wird etwas Umgrenztes (lat. limes = Grenze), empirisch Fass­bares negiert. Daher kommt dieser Typus von Negation für den biblischen Gottesbegriff nicht in Frage. Eine privative Theologie dagegen hat von dem Ausdruck JHWH alles weggenommen, bis auf sein pures Dasein. Dass er Da ist, macht ihn zum Widerlager der Welt.

Bei einer privativen Negation (lat. privatio = Wegnahme) geht es genau um diese Denkopera­tion der Vorenthaltung. Nur mit diesem Begriff kann der Gott bezeichnet werden, der kein Ding in der Welt, keine empirische Größe ist, sondern als ihr Schöpfer wie ein Vorzeichen vor der Klammer steht, die die Welt bedeutet.

Schon Jan Assmann hat die Außerweltlichkeit des biblischen Gottes als etwas wirklich Neues in der Religionsgeschichte erkannt. Die Sonne des Pharaos Echnaton (ca. 1351-1334 v.Chr.), die dieser zum einzigen Gott erwählt hatte, war zwar die spektakulärste Singularität, aber doch ein Teil des Kos­mos.

Der Gott, der als Schöpfer der Welt gegenübersteht, ist in der Tat etwas Einziges und Einzig­artiges. Baum verfolgt die Entwicklung des Monotheismus von der Königszeit bis in die Zeit nach dem babylonischen Exil und weiter bis in die Zeit Jesu. Soweit bewegt er sich auf dem Forschungsstand der alttestamentlichen Wissenschaft.

Eine völlig neue Etappe in der Geschichte des Monotheismus ergibt sich durch den Christus­glauben. In den Quellen des ersten Jahrhunderts erscheint Jesus von Nazaret noch nicht als der, der im Prolog des Johannesevangeliums als „das Wort, das Fleisch geworden ist“ (1,14), verkündet wird. In diesem Quelltext des Inkarnationsglaubens heißt es schon ganz am Anfang: „…und das Wort war Gott“.

Die frühen Gemeinden mussten nun klären, ob der überkommene Monotheismus Israels und eine göttliche Inkarnation kompa­tibel sind. Diese Klärung erfolgte mit Hilfe der platonischen Philosophie, die schon Philo von Alexandrien inspiriert hatte und wohl auch den Johannesprolog. In der Mitte des 2. Jahrhunderts macht sich dieser mittelplatonische Einfluss besonders be­merkbar. In der evangelischen Exegese und Religionsgeschichte, die bis hin zu Ernst Käse­mann noch im Wirkungsschatten von Adolf von Harnacks „Wesen des Christentums“ stand, galt der Topos, dass das reine Urchristentum vom „Hellenismus“ in eine „frühkatholische“ und damit ungute Richtung gedrängt worden sei.

Es ist am Vorabend des Reformationsjubiläums ein ökumenisches Hoffnungszeichen, dass der derzeit führende evangelische Theologe und Kirchengeschichtler Christoph Markschies hinter dieser Sicht, wonach das „Urchristentum“ durch griechische, insbesondere platonische Philosophie in eine ungute Richtung verbogen worden sei, ein Fragezeichen macht. Wolfgang Baum kann sich auf diesen Sinneswandel beziehen. In sei­nem Hauptteil verstärkt er diesen Ansatz und rehabilitiert die nun folgende Zeit des sog. Hellenismus und der Kirchenväter und die folgende Entwicklung hin zu einer Theologie der Trinität, die den Kern des Monotheismus nicht nur nicht beschädigt, sondern erst richtig auf den Punkt bringt. Die große Frage der Inkarnation: „Wie kann der Geist Gottes im Menschenfleisch wirken?“ ist nun erst voll entfaltet.

Es ist kein Zufall, dass Baums Ideengeschichte der „negativen Theologie“ sich der Bilderfrage intensiv widmet. Der Abschied vom Kultbild markierte den Abschied vom Polytheismus. Von Anfang an war klar, dass das sogenannte „Bilderverbot“ nicht alle Bilder, sondern nur ein Gottesbild zu verfertigen untersagte. Auch nach der reichen Wiederkehr der Bilder im Christentum, besonders nach der konstantinischen Wende, geht er den Spuren der Negation in Gestalt des Ikonoklasmus nach, der sich nicht nur in der Zerstörung der Bilder, sondern auch in den Vorkehrungen zeigt, die Bilder vor einem falschen Blick zu bewahren. Am Ende berührt er auch ein starkes Motiv gegenwärtiger Kunsttheorie (Gottfried Böhm), die innerhalb der klassischen Moderne und Gegenwartskunst ikonoklastische Grundzüge ent­deckt hat.

Wolfgang Baums Arbeit stellt einen Markstein in der gegenwärtigen Debatte um den Mono­theismus dar. Die Habilitationsschrift ist gewiss keine leichte Bettlektüre, aber sie belohnt den Leser mit intellektueller Anregung und legt ein glänzendes Zeugnis für die Verträglichkeit von Glauben und Vernunft ab.

 

Paderborn: Ferdinand Schöningh Verlag. 2014

302 Seiten

39,90 €

ISBN 978-3-506-77775-1

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