Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Wolfgang Beinert / Rosemarie Egger (Hg.): So viel Leid und Gott?

 

Große Fragen sind meist dadurch gekennzeichnet, dass es keine einfachen Antworten gibt. Oder wie es im Vorwort zum Buch heißt: „Fragen, die das Leben immer wieder Glaubenden, Suchenden, Zweifelnden stellt, Glaubensfragen, die uns existenziell bewegen. Darum geht es in diesem Buch.“ (5) Konkret geht es um die Frage nach der Vereinbarkeit von Leid und Gottes Existenz, dem großen Warum des Glaubens. Viel ist bereits dazu geschrieben worden – Traktate in der Philosophie und Theologie, literarische Umsetzungen, die biblische Hiobserzählung und ihre Auslegung.

Die beiden Herausgeber – die Schriftstellerin und Lyrikerin Rosemarie Egger (*1938) sowie Wolfgang Beinert (*1933), ehemaliger Professor für Dogmatik und Priester – wählen einen zweifachen methodischen Zugang mit einem reichen Angebot von Anknüpfungspunkten für eigene Überlegungen. Mag die Form zunächst etwas verwundern, so wächst bei der Lektüre zunehmend die Einsicht, dass diese die Komplexität der Thematik angemessen widerspiegelt und zugleich die Frage nach dem Zugang wachhält.

Im ersten, größeren Teil des Buches kommen persönliche Antworten zu insgesamt zwölf Fragen zu Wort. Der zweite Teil ist ein Aufsatz von Wolfgang Beinert über 50 Seiten mit dem Titel „Ist Gott noch von der Welt zu retten?“ Die zwölf Fragen, die Rosemarie Egger im ersten Teil stellt, werden von verschiedenen Personen, Männern wie Frauen, in unterschiedlicher Ausführlichkeit beantwortet. Die Auswahl der Autoren bildet die konfessionelle und professionelle Vielfalt der Kirche ab, unter ihnen bekannte Namen wie Anselm Grün, Wunibald Müller und Jan-Heiner Tück. Die zwölf Fragen finden sich im Inhaltsverzeichnis in einer Kurzversion; in der Langfassung zu Beginn eines jeden Kapitels, die auch Grundlage für die schriftliche Beantwortung der Autorinnen und Autoren war, sind die Fragen um Thesen und persönliche Gedanken erweitert. Die Antworten mäandern um die Themen Leid, Böses und Übel, Liebe, Gnade und Barmherzigkeit, freier Willen und Schöpfung, Hoffnung und Glaube. Die Auseinandersetzung mit der Vater-unser-Bitte „Und führe uns nicht in Versuchung“ hat ebenso Raum wie die Frage der Allversöhnung (Apokatastasis). Dabei stellen die Autoren – im gesamten Buch – immer wieder Bezüge zu verschiedenen Bibelstellen, jüdischen Erzählungen oder den Kirchenvätern her, ergänzt um literarische Zeugnisse von Dante, Goethe, Dostojewskij oder Borchert. Die Ausführungen sind aus christlicher bzw. theistischer Perspektive geschrieben und setzen eine grundlegende Kenntnis biblischer und theologischer Themen voraus, scheuen sich aber nicht, auch grundlegende Anfragen an die je eigene Position zu formulieren. Dabei setzen die Autoren angesichts der großen Fragen nicht auf einfache Antworten, aber gut lesbare und verständliche Sprache.

Der Aufsatz von Wolfgang Beinert markiert den zweiten Teil des Buches und ist im Stil eines Zwiegesprächs bzw. Prozessberichts gehalten. In 50 kurzen, nummerierten Absätzen wird Gott angesichts der Ambivalenz der Schöpfung zwischen Schönheit und Grausamkeit der Prozess gemacht: „Der Prozess läuft unter dem Namen Theodizee: Es ist der Versuch, Gott (theos) Gerechtigkeit (dike) widerfahren zu lassen. Im Endeffekt entscheidet dieser Prozess über Sinnhaftigkeit oder Sinnlosigkeit unserer Erde. Menschen inklusive.“ (144) Der Autor wählt einen philosophischen Zugang mit einer Systematik des Übels (malum physicum, malum morale, malum metaphysicum) und einer Analyse der Urteilsmöglichkeiten zur Existenz und Natur Gottes angesichts des Leids in der Welt. Er weist zudem daraufhin, dass sich in allen monotheistischen Religionen die Theodizee-Frage (in unterschiedlicher Weise) stelle.

Dem philosophischen Angang folgt eine Perspektive des Glaubens, im Sinne von Vertrauen und freier Zustimmung zur Gnade Gottes unter Wahrung der Freiheit des Einzelnen zur Annahme und Ablehnung eines solches Zugangs (vgl. 167). Wolfgang Beinert zeigt christologisch auf, wie Inkarnation und Soteriologie die scheinbare Unüberbrückbarkeit von Gott und Welt aufhebe und so quasi, so die These, Gott und das Leid eins werden. Das Leid offenbare das Heil (vgl. 176f). Allerdings blieben bei begründeter Hoffnung im Glauben das Faktum des Leids und die Ratlosigkeit bestehen. Diese werde sich endgültig erst in der Vollendung der Welt klären. So konstatiert der Autor selbst: „Das Buch entlässt nach der Lektüre den Leser und die Leserin mitnichten zum nächsten Punkt der Tagesordnung. Weil das Problem sie auch nicht freigibt.“ (135)

Das Buch ist eine lohnende Lektüre mit einer interessanten Herangehensweise an die großen Fragen des Glaubens, ohne der Versuchung einfacher Antworten zu erliegen und dabei trotzdem gut verständlich zu bleiben – und eine Anregung, die Fragen des Buches einmal selbst für sich zu beantworten.

Ein Lesebuch zu existenziellen Glaubensfragen
Mit einem Essay von Wolfgang Beinert: „Ist Gott noch von der Welt zu retten?“

München/Zürich/Wien: Verlag Neue Stadt. 2022
183 Seiten
20,00 €
ISBN 978-3-7346-1300-5

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