Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung
Enzyklika "Spe salvi" von Papst Benedikt XVI

„Auf Hoffnung hin gerettet“

Zur neuen Enzyklika Papst Benedikts XVI.

Die erste Enzyklika Benedikts stellte sich dem Thema Liebe. Nun geht es um die Hoffnung, auf die hin wir gerettet sind. Die Trias der theologischen Tugenden läßt ein weiteres Schreiben über einen Verständnis des Glaubens erwarten, das sich in Liebe und Hoffnung bewegt. Auch der Tag, an dem sie unterzeichnet wurde, hat programmatische Bedeutung, denn der 30. November ist das Fest des Hl. Andreas, den die Ostkirche als ihren Apostel feiert. Sie ist also irgendwie als Adressatin mitgemeint und muß bei der Lektüre im Blick bleiben.

Struktur, Ansatz und Schwerpunkte der Enzyklika

Die erste Enzyklika Benedikts über die Liebe verband einen theologisch theoretischen mit einem praktischen Teil (I „Die Einheit der Liebe in Schöpfung und Heilsgeschichte“, II „Caritas: Das Liebestun der Kirche als einer Gemeinschaft der Liebe). Die Struktur der neuen Enzyklika erschließt sich eher auf den zweiten Blick. Die kurze Einleitung stellt die Frage nach Art und Gewißheit der Hoffnung, von der der Glaube spricht (Abschnitt 1). Der thesenartige Abschnitt „Glaube ist Hoffnung“ (Abschnitte 2/3) setzt neutestamentlich Glaube und Hoffnung gleich, denn dieser Glaube antwortet einer Botschaft, die nicht lediglich „informativ“ etwas zu wissen gibt, sondern vor allem „performativ“ dem Leben ein Ziel setzt. Der Lebensweg der schwarzen Sklavin Giuseppina Bakhita in die Freiheit des Glaubens zeigt ad personam, wie diese Hoffnung nicht nur das eigene, sondern auch das Leben anderer verändert.

Dieser These folgt eine Spurensicherung im Neuen Testament und in der frühen Kirche (Abschnitte 49). Der Umgang des Paulus mit dem Sklaven Philemon zeigt, dass der Glaube zwar „keine sozialrevolutionäre Botschaft“ bringt (9), aber die „gegenwärtige Gesellschaft [...] als uneigentliche Gesellschaft“ definiert (10). Der Glaube sagt nicht, wie die Gesellschaft verfasst sein soll, die ihm gemäß ist, oder ob sie überhaupt ein Planungsziel sein kann. Aber dieser Glaube wendet sich von einer anonymen kosmischen Ordnung ab und antworte einem persönlichen, namentlichen Gott. Benedikt liest Bilder als Quellen, wenn er die Leit-Bilder vom Philosophen und Hirten auf den frühchristlichen Sarkophagen auf Christus auslegt. Das zentrale und titelgebende Wort der Enzyklika aus Röm 8,24 („Spe salvi“ – auf Hoffnung hin gerettet) findet in Hebr 11,1 zu einer regelrechten Definition. Aber bereits die Übersetzung zeigt, wie wenig hier mit Luther und (auf seiner Fährte) mit der Einheitsübersetzung diese Glaubenshoffnung auf eine subjektive Haltung eingegrenzt werden darf. Es geht nicht um persönliche Hoffnung und den Verzicht auf persönlichen Zweifel (Luther), auch nicht um ein „Feststehen“ oder „Überzeugtsein“ (Einheitsübersetzung). Der Text spricht eine objektive Sprache, wenn er den Glauben als „hypostasis“ oder „Substanz“ der Hoffnung bezeichnet. Es geht um gegebene Wirklichkeit und damit um eine objektive Grundlage des Lebens, nicht um subjektive Festigkeit; diese Grundlage ist keine subjektive Meinung, sondern ein „Beweis“ von etwas, was (noch!) nicht sichtbar ist. Erst diese objektive Grundlage macht eine subjektive Grundhaltung möglich. Kurz: Ohne die objektive Wirklichkeit dessen, was der Glaube annimmt, hängt eine bloß subjektive Hoffnung geradezu in der Luft. Eine solche Meinung wäre noch kein Glaube im Sinne des Neuen Testaments. Glaube ist „Substanz der Hoffnung“ (18), nämlich der objektiv tragende Grund, ohne den solche Hoffnung wertlos wäre.

Dieses akribische Herangehen lässt aufhorchen: Das, was vom Neuen Testament her als Hoffnung bezeichnet wird, ist offenbar erst mühsam freizulegen. Dazu benutzt Papst Benedikt nicht nur exegetisches Werkzeug, sondern die Auskünfte der Kirchenväter (vor allem Augustinus) und der Heiligen, vielfach den Katechismus der Katholischen Kirche, außerdem die genannten Bildquellen und das Taufritual des älteren Ritus. Wie in der vorhergehenden Enzyklika sucht er das Gespräch mit den Philosophen (Platon, Kant, Adorno). Auch dies hat Tradition, denn Melchior Cano bezog im 16. Jh. die Philosophie ausdrücklich als einen wichtigen Ort in die theologische Erkenntnislehre ein (locus theologicus). Der Papst spricht also weder als „Biblizist“ noch als reiner Dogmatiker, sondern vernetzt die verschiedenen Erkenntnisorte und ihre Quellen.

In der Mitte der Enzyklika stehen zwei Fragezeichen, wenn sie vom „ewigen Leben“ und dem scheinbaren Heilsindividualismus der Hoffnung handelt (Abschn. 10-15). Auch hier ist, vor allem angesichts der „Umwandlung des christlichen Hoffnungsglaubens in der Neuzeit“ (Abschn. 16-23), die „wahre Gestalt der christlichen Hoffnung“ (Abschn. 24-31) erst einmal freizulegen. Dann erst können auch die „Lern- und Übungsorte der christlichen Hoffnung“, nämlich das Gebet, das menschliche Tun und Leiden sowie das Gericht Christi zur Sprache kommen (Abschn. 32-48). Über allem strahlt schließlich in Maria, der Urperson und dem Urbild der Kirche, der „Stern der Hoffnung“ (Abschn. 4950), die nicht abstrakt ist, sondern ein menschliches Gesicht hat.

Der Papst lässt es sich also nicht nehmen, die Grundworte Glaube und Hoffnung modernitätskritisch zu reformulieren. Ihm liegt offensichtlich nicht an einer vordergründigen Abrechnung mit theologischen Typen und Diskursen, die diese Grundworte vielleicht falsch buchstabieren. Er will vielmehr positiv diese Worte wieder zum Sprechen bringen und die Stimmen der Traditionen wieder hörbar machen, in denen sie bis heute nachklingen. Darum finden sich keine ausdrücklichen Verweise auf Theologien, mit denen er sich als Hochschullehrer und Präfekt der Glaubenskongregation auseinander gesetzt hat. Es geht um mehr.

Das Sachproblem: Ewiges Leben – individualistische Hoffnung oder der „Schrecken des Evangeliums“ (Augustinus)?

„Und was gibt dir der Glaube? Das ewige Leben“– so heißt es im Eröffnungsdialog des alten Taufrituals. Ewiges Leben heißt nicht „ewig leben“, nämlich „immerfort und ohne Ende“, denn das wäre für die von Erbsünde und persönlicher Schuld verbogene und verzerrte menschliche Natur nichts anderes als die gnadenlose Last, nicht aufhören zu dürfen, wie der Papst im Anschluß an die Gradrede des Ambrosius für seinen Bruder Satyrus ausführt (18). Es geht also nicht um „die Abschaffung des Todes oder auch sein praktisch unbegrenztes Hinausschieben“: Der tiefe Wunsch, nicht sterben zu wollen, will gerade nicht durch ein bloß endloses Existieren erfüllt sein. Aber wie Augustinus in seinem Brief an die Witwe Proba schreibt, wissen wir nicht, was wir erbitten sollen (19). Dieses Ziel, das wir nicht wissen, aber ersehnen, bezeichnet das Wort „ewiges Leben“ als Mitsein mit Christus.

Die Bilder für ein solches Mitsein und seinen Himmel scheinen arg individualistische Wunschvorstellungen zu transportieren, auf die der Papst nicht im einzelnen eingeht. Aber der Hebräerbrief hat eher „städtische“ Vorstellungen von einem gemeinsamen Heil, und der erwähnte Augustinus-Brief macht deutlich, dass ewiges seliges Leben bedeutet, im Volk des Herrn zu leben – Vorstellungen, die über die gegenwärtige Welt zwar hinaus zielen, aber zugleich „mit Weltgestaltung zu tun“ haben, wie die weltzugewandte klösterliche „Weltflucht“ des Früh- und Hochmittelalters besonders deutlich zeigt (23/24). Umgekehrt gefragt: Wie sollte eine positive Weltgestaltung möglich sein, „wo die Seelen verwildern“ (24), d. h. nicht an ein Ziel gebunden sind, das über die bloße Gegenwart hinausführt?

Der neuzeitliche Vorwurf des Heilsindividualismus trifft also die christliche Glaubenshoffnung nicht. Dafür verrät sie allerdings viel über eine Vernunft, die ihre Hoffnung vom Glauben abkoppelt und eigenmächtig ohne Bindung an ein Ziel zu verwirklichen sucht, das über die Welt hinausführt. Die Wissenschaftspraxis eines Francis Bacon will der Technik zum Sieg über die Natur verhelfen. Sie kann auf ihrem Feld keine Konkurrenz dulden und verbannt den Glauben darum in die Sphäre „des bloß Privaten und Jenseitigen“ (25): Verdrängung statt Leugnung, Agnostizismus (oder doch nur „Desinteresse“?) statt Atheismus. Die vom Glauben befreite neuzeitliche Vernunft tritt faktisch aber doch gegen die im Glauben befreite Vernunft des Christlichen an; sie wird gegenüber ihrer Trägerin, der Kirche, ihr „revolutionäres Potential“ zu entfalten (27) und ihre Vernunft politisch durchzusetzen suchen. Kant legt diese Ambivalenz der Moderne und ihrer revolutionären (wörtlich: „umstürzenden“) Vernunft wenig konsequent und zugleich etwas widerwillig offen. Einerseits werde, wie er 1793 in seiner Religionsschrift schreibt, sich der Kirchenglaube in die „Alleinherrschaft des reinen Religionsglaubens“ auflösen. Eben diese Umwälzung (=Revolution) ist jenseits juristischer Kategorien mit dem strapazierten Begriff der Säkularisation gemeint. Das „jenseits“ aller Welt liegende Ziel der Welt, nämlich Gott selbst und sein ewiges Leben, wird „säkularisiert“ und im strikten Wortsinn „verweltlicht“. „Gott“ wird Welt (und nichts als Welt), sagt die säkulare Moderne, während der Glaube daran festhält, dieser Gott werde wahrer Mensch und bleibe zugleich wahrer Gott. Kant weiß 1795 mit wachsender zeitlicher und ideeller Distanz zur französischen Revolution aber auch, dass ein Christentum, das seine Bestimmung zur Weltreligion nicht „liebenswürdig“ erfüllte, „das (verkehrte) Ende aller Dinge in moralischer Hinsicht“ einleiten würde.

Diese Ambivalenz prägt auch die Erben des idealistischen Fortschrittsglaubens, die sein Weltkonzept vom transzendentalen Kopf auf die ökonomischen Füße stellen wollen. „Die Kritik des Himmels wandelt sich in die Kritik der Erde, die Kritik der Theologie in die Kritik der Politik“, wie der Papst mit Blick auf Karl Marx und Friedrich Engels urteilt (29). Aber nun bricht die Ambivalenz des Konzepts in der Krise der Modernität auf, denn was geschieht nach der Revolution? Deren Theorie gibt keine Antwort, weil sie davon ausgeht, mit dem Umsturz falle eben alles fort, was eine gute und gerechte Weltordnung bedrohe. Die geschichtliche Erfahrung zeigt, dass eben dann der nackte Mensch übrig bleibt, den die Schuldgeschichte bleibend prägt und deformiert – ganz abgesehen davon, dass ihm die Freiheit zum Bösen weiterhin bleibt und leider auch ausgiebig genutzt wird. Die Revolution heilt ihn nicht. Was aber dann?

Der Papst trifft sich in seiner Modernitätskritik, die zugleich eine Kritik der Aufklärung und ihres naiven Vernunftglaubens ist, mit Theodor W. Adorno. Die Aufklärung bedarf einer Aufklärung über sich selbst, über ihre stillschweigenden und gar nicht selbstverständlichen Voraussetzungen sowie über ihre geschichtlichen Pathologien. Zur „Dialektik der Aufklärung“ und zu einer Modernitätskritik, die nicht aus schlichter Modernitätsverweigerung formuliert wird, gehört aber gerade eine Vernunft, die ihrer vermeintlichen Autonomie und Freiheit nicht unvernünftig traut. Für den Papst ist der theologische Vernunftoptimismus des I. Vatikanischen Konzils deswegen plausibel und keine quasiphilosophische Naivität, weil diese Vernunft „als die große Gottesgabe an den Menschen [...] und der Sieg der Vernunft über die Unvernunft [...] auch ein Ziel des christlichen Glaubens“ ist (31). Eine von Gott geschaffene und auf ihn bezogene Vernunft kann im Kern nicht gottlos oder widergöttlich sein; sie ist von sich her offen „für die rettenden Kräfte des Glaubens“, der seinerseits nicht unvernünftig, sondern die wirkliche Erkenntnis Gottes durch ihn selbst ist. In gewisser Weise wird hier das Münchner Akademiegespräch des Kardinals Ratzinger mit Jürgen Habermas, dem Repräsentanten einer aufgeklärten Aufklärung und darum prädestinierten Gesprächspartner, wiederum aufgenommen, auch wenn dessen Name nicht fällt. Es geht um eine Hoffnung, deren Sache der Vernunft durchaus nicht fremd ist, die aber weder durch Technik und „Wissenschaft“ machbar oder durch kommunikatives Handeln zu erzeugen ist.

Mit dieser aufgeklärten Aufklärung, die sich ihren neomarxistischen Einschlag bewahrt hat – was den Papst nicht zu stören scheint – weiß sich der Glaube einig: Nicht die technische Vernunft und auch nicht die revolutionäre Vernunft kann den neuen Menschen bringen. Dieser neue Mensch, das ist die Antwort des christlichen Glaubens auf die Hoffnungsfrage, kommt nie, wenn er nicht von Gott her kommt. Die notwendigen humanen Strukturen allein befreien den Menschen nicht dazu, zum Guten frei zu sein. Vor diesem Hintergrund läßt sich verstehen, warum sich Menschen angesichts der unabschließbaren Aufgabe, Mensch zu sein, aus der Geschichte und der Gesellschaft eher ins Private der individuellen Überzeugung zurückziehen. Verständlich wird auch, dass von Luther bis zur Einheitsübersetzung die objektive Glaubenshoffnung in ein privates Standhalten umgedeutet und damit letztlich verfälscht wird. Es kann nur einen tragenden Grund geben: Jesus Christus (vgl. Joh 17,3). Die Brücke über die tödlichen Brüche der großen Geschichte und der privaten Lebensgeschichten läßt sich nur beschreiten, wenn sie von Gott her aufgebaut wird. Alle anderen Bauversuche führen ins Leere und in den Absturz. Dieser tragende Grund trägt das einzelne Subjekt, aber er ist gerade nicht subjektiv, damit er tragen kann. Schon deswegen führt ein Heilsindividualismus oder –subjektivismus in die Irre: Eine private Hoffnung ist keine wirkliche Hoffnung. Im Gegenteil beraubt sie die anderen, denen sie nicht zugesprochen wird, der Hoffnung und führt sich so selbst ad absurdum. Der Papst greift hier allerdings nicht das naheliegende Argument auf, das Johann Baptist Metz für den Synodenbeschluss „Unsere Hoffnung“ entwickelt hatte – möglicherweise deswegen, weil es nur negativ eine privatisierte Hoffnung ihrer Hoffnungslosigkeit (und ihres Zynismus) überführt: Eine Zukunft, die nicht für alle erhofft werden kann und muss, halbiert den Sinn dieser Hoffnung und
kündigt die solidarische Sinngemeinschaft mit den Toten der Geschichte. Tatsächlich kommt der Papst später auf dieses Argument zu sprechen, das ja eigentlich von Adorno stammt und von Ratzinger auch schon 1977 aufgegriffen wird, „daß Gerechtigkeit nicht sein kann ohne Auferweckung der Toten“ (53). Aber dieses Argument, dessen sich Metz und seiner Schüler bedienen, ist im Horizont einer „negativen Dialektik“ formuliert, die sich das Bild eines liebendes und versöhnenden Gottes, ja überhaupt des wirklich kommenden Messias verbietet. Genau genommen führt gerade von dieser negativen Dialektik her kein Weg zum wirklichen und geschichtlichen Grund der christlichen Hoffnung. Sie ist nicht konstruierbar, genau genommen nicht einmal erwartbar, außer wenn sie verheißen und in einer solchen Verheißung schon vorweg offenbart wird. „Das Postulat ergibt sich in der Tat aus der Anthropologie; die Erfüllung ist aus deren eigenen Prinzipien heraus undenkbar“, wie es im schatologischen Entwurf Ratzingers von 1977 deutlich genug heißt. Das bedeutet: Das Argument ist genau genommen nicht theologisch tauglich, denn es kann wohl den menschlichen Bedarf an Hoffnung bezeichnen, aber keinen Grund dieser Hoffnung nennen, im Gegenteil: Es schließt eine solche Nennung oder einen Begriff sogar ausdrücklich aus.

Christus also: der tragende Grund der Hoffnung. Auf diesem Grund zu stehen, heißt mit ihm zu sein. „Das Mitsein mit Jesus Christus nimmt uns in sein ‚Für alle’ hinein, macht es zu unserer Seinsweise“ und lässt uns so an seiner Gerechtigkeit teilhaben (36). Mit Maximus Confessor, dem Bekennerbischof und Theologen des 7. Jahrhunderts, und vor allem mit Augustinus erschließt der Papst den Schrecken dieses ewigen Lebens, das mit einer privaten Tröstung nichts mehr gemeinsam hat. „Es ist das Evangelium, das mir Schrecken einjagt“, wie Augustinus gesteht (Sermo 339, hier 37). Der Trost dieser Hoffnung, die vor der letzten Verzweiflung bewahrt, ist kein Tröster einer bürgerlichen Religion, den man diskret und privat schlückchenweise genießen könnte. Diese Hoffnung ist eine Herausforderung, ein Performativ: Sie fordert den Einzelnen heraus aus dem Privaten und hinein in die Lebensform Christi, der „für alle“ gestorben ist – ein etwas ungemütlicher Trost für diejenigen Hoffnungssucher, die eher an ein religiöses Beruhigungsmittel denken.

Ist eine solche Hoffnung, die auf das Paradox der menschlichen Sehnsucht nach ewigem Leben wirklich und nicht nur theoretisch antwortet, überhaupt „operationalisierbar“? Falls eine Technik des Heilserwerbs gemeint sein sollte, muss die Antwort entschieden Nein lauten. Wenn nun Hoffnung nicht hergestellt und verordnet werden kann, muss sie aber doch irgendwie konkret werden. Sie lässt sich, so das vorletzte Kapitel der Enzyklika, lernen und üben. Nicht eine Technik der Hoffnung, sondern ihre christliche Pädagogik macht den Menschen frei.

Lernorte der Hoffnung

Die Antworten des Papstes sind klassisch, aber (nicht dennoch, sondern deswegen) brisant. „Gebet als Schule der Hoffnung“ (Abschn. 3224), „Tun und Leiden als Lernorte der Hoffnung“ (Abschn. 35-40) und „das Gericht als Lern- und Übungsort der Hoffnung: ein harte Schule, wie es nicht nur auf den ersten Blick scheint.

Gebet

Wer betet, ist nie ganz allein, wie der Papst an den „Gebeten der Hoffnung“ des Kardinals Nguyen Van Thuan zeigt. Gebet befreit zu Gott und macht offen für andere. Die betende Begegnung mit Gott weckt das Gewissen und klärt der Unschuldswahn des in sich verschlossenen Menschen auf. Es führt nicht nur aus dem Privaten hinaus, sondern es steht von vornherein auch, als Beten der Kirche, jenseits des Privaten. Beten ist aktive Hoffnung. Wo die Hoffnung stürbe, hätte das Gebet nichts mehr zu sagen.

Tun und Leiden

Bloßes Tun ermüdet und führt, je nach Temperament, zur Resignation oder in den Fanatismus – das Reich Gottes ist Geschenk (eben weil es das Reich Gottes ist). Dieser „Mehrwert des Himmels“ (44) macht das Tun nicht gleichgültig, nimmt ihm aber das Gewicht, unter dem der Mensch sonst zusammenbrechen müsste.

Leiden ist Folge der Endlichkeit, aber auch Folge der Schuld. Hier zeigen sich die Grenzen des Tuns noch deutlicher, denn das Leiden ist zwar unbedingt zu überwinden, aber dennoch nicht aus der Welt zu schaffen. Die schmerzlichen Erfahrungen der Endlichkeit und die Macht der Schuld kann kein Mensch letztlich aushalten. „Das könnte nur Gott: Nur ein Gott, der selbst in die Geschichte eintritt, Mensch wird und in ihr leidet“ (45). Bloße Leidvermeidung bleibt nicht nur vorläufig, sie führt auch in ein leeres Leben, das sich auch vor dem Leid anderer verschließt. Die christliche Annahme des Leidens dagegen entprivatisiert, weil sie mit Christus und durch ihn mit anderen solidarisch zusammenführt. Diese Aussage ist kein Postulat, sondern beschreibt nüchtern das Martyrium des vietnamesischen Seminaristen Paulus Le-Bao-Tinh, der 1857 in Hanoi umgebracht wurde. Dessen „Brief aus der ‚Hölle’“ lässt das „ganze Grauen eines Konzentrationslagers [...] sichtbar“ werden (47), aber auch den Satz des Glaubensbekenntnisses aufleuchten, Christus sei in die Hölle hinabgestiegen (descendit ad inferos).

Humanität hat ihr Maß im Verhältnis zum Leid und zum Leidenden. Es geht um Solidarität in Tun und Leiden. Eine mitleidlose Gesellschaft ist inhuman; sie kann aber Leidende nicht tragen, „wenn die Einzelnen dies nicht können, und wiederum der Einzelne kann das Leid des anderen nicht annehmen, wenn er nicht selbst im Leiden Sinn, einen Weg der Reinigung und der Reifung, einen Weg der Hoffnung zu finden vermag“ (48). Diese Sätze sind um Lichtjahre von einer christentümlichen „wellnessReligion“ entfernt, mit der so manche angejahrte Institution sich den Bedürfnissen möglicher Klienten andienen möchte. Der Lernort einer solchen Hoffnung kann die Hölle sein. Es ist keine Sache der Sozial- oder Verbalkosmetik mehr, das Leid des Anderen wirklich zu teilen und sich mit ihm zu belasten. MitLeiden ist Trost und etwas völlig anderes als alle Tröstung oder gar Vertröstung auf anderes und andere hin. Der Papst erschließt hier zunächst das lateinische Wort neu: „con-solatio“, Trost, bedeutet, die Einsamkeit anderer zu teilen. Wer so tröstet, ist verwundbar, weil er sich aus der privaten Leidvermeidung herauswagt – und er wird verwundet werden. Wie groß muss eine Verheißung sein, die ein solches Wagnis nicht nur motiviert, sondern auch legitimiert! Bernhard von Clairvaux verweist auf den Gott, der tröstet, in dem er Mitleidender und Mittragender wird. Dies ist der wahre und tragende Grund der Hoffnung.

Läßt sich das praktizieren? Die großen Martyrien führen den Schrecken und den Trost des Evangeliums vor Augen. Die klassische Praxis der Frömmigkeit hat mit dem Stichwort „Aufopferung“ das Martyrium in seiner banalen Alltagsform gemeint; es hat die Fähigkeit geübt, die „kleinen Mühen in das große Mitleiden Christi hineinlegen“ zu können (50). Im Kontext der hier entfalteten Theologie der Hoffnung kann eine solche Aufopferung nicht als „Quietismus“ oder gar „Masochismus“ abgetan werden. Sie sollte neu als alltagspraktische Leidensfähigkeit entdeckt werden, die ein überzeugender Ausdruck christlicher Hoffnung ist – und nicht ein Rest von frömmelnder Resignation oder religiösem Fanatismus.

Gericht

Der dritte Lern- und Übungsort versammelt alle klassischen Reizworte der Eschatologie in einer kunstvollen Provokation. Der Ausblick auf das Gericht des wiederkehrenden Christus ist keine Schreckensvision, sondern das Trostbild der Hoffnung überhaupt. Das Ende bleibt nicht bildlos, die Menschen gehen nicht anonym im Tod oder in der Ewigkeit unter (was dann dasselbe wäre). Am Ende steht das zerbrochene Bild, das er sich selbst „im menschgewordenen Christus“ gegeben und endgültig in der Auferstehung authentifiziert hat (53). Dieses Bild (vgl. Kol 1,15 ) übergreift das alttestamentliche (sogenannte) „Bilderverbot“, weil es authentisch ist: Christus zeigt wirklich den Vater, und er weist gerade darin, dass er von Menschen und für Menschen zerbrochen wird, noch im Bild über dieses Bild hinaus. Dieses wirkliche und wahre Bild ist die Antwort Gottes auf das Leiden (und also auch die eigentliche theologische Antwort auf die Theodizeefrage). An ihm und vor ihm, von Angesicht zu Angesicht, entscheidet sich alles. Dieses Christus-Bild des unsichtbaren Gottes richtet in Gerechtigkeit – und richtet auf in Gnade.

Dieser Prozess ist wiederum schmerzhaft. Die frühjüdische Lehre vom Zwischenstand zwischen Tod und Auferstehung und die christliche Lehre vom „Fegefeuer“ (oder Reinigungszustand) meint allerdings ein seligen, weil hoffnungsvollen Schmerz. Es ist der Schmerz der Heilung, der vom Heilenden ausgeht und das Unheil „ausbrennt“. Erst so kann die gereinigte, von allem Trennenden frei gebrannte Seele Christus gegenübertreten. Eine Gnade, die achtlos auswischen wollte, was durch Schuld in die Geschichte eingeschrieben worden ist, wäre nicht nur eine billige Gnade, sondern eine bloße Wundkosmetik. Die Gerechtigkeit der Gnade fordert, die tiefen Wunden fremder und eigener Schuld ernst zu nehmen und zu wirklich zu heilen. Dieses rettende Feuer sei, wie „einige neuere Theologen“ (zu denen sich der Papst mit seinem Lehrer Hans Urs von Balthasar zählen mag) meinen, „Christus [...], der Richter und Retter“ (58). Diese schmerzhafte vorletzte Begegnung des „Fegefeuers“ befreit uns zu uns selbst, indem sie uns so ernstnimmt, wie wir am Ende sind – und noch weiter ernster, weil diese Begegnung damit eben noch nicht am Ende ist. Der reine Schmerz der Begegnung, ohne Aussicht auf Heilung, wäre die Hölle und damit das Ende. Das „Fegefeuer“ ist ein Durchgang zur Vollendung.

Auch in diesem Durchgang steht keiner allein, sondern, weil im Mitsein mit Christus, im Mitleiden mit anderen und im Mitgetragenwerden durch andere. Über die Grenze des Todes hinweg können Menschen, die mit Christus sind, füreinander eintreten – im solidarischen Gebet. In der Sache ist hier auch und besonders die Praxis des Ablasses gemeint, die nicht nur den Nachlass von zeitlichen Sündenstrafen (Bußleistungen), sondern auch das stellvertretende Übernehmen solcher Strafen und Leistungen auf die Gnade Christi und seiner Heiligen hin umfasst. Diese Solidarität, auch im Ablass, ist wahre „con-solatio“, Mittragen fremder Einsamkeit, und so auch tröstende Hoffnung für andere.

Am Ende steht keine theologische Abrechnung und auch kein kirchliches Hoffnungsprogramm, das nun abzuarbeiten wäre. So ist nicht Hoffnung zu haben, sondern wohl eher der vielen kirchlichen PlanerInnen vertraute Langzeit„Frust“, weil ein bloß gemachte oder inszenierte Hoffnung eben „frustra“, vergebens ist. Wenn der christliche Glaube wirklich und nicht nur rhetorisch auf Christus baut, sind ihm zwei Dinge völlig fremd: der programmatische Zynismus, der alles zu lösen verspricht, aber niemanden erlösen kann, und die nicht weniger zynische Vertröstung auf Utopisches, ob es nun fromm oder weltlich gemeint ist. Der Glaubensgrund ist eine tragende objektive Wirklichkeit und keine subjektive Haltung, die das zum aufrechten Gang gezwungene Subjekt schnell und hoffnungslos überfordert („Kopf hoch und Zähne zusammenbeißen“...). Darum endet die Enzyklika nicht nur mit dem Blick auf Maria, die Urperson und das Urbild der Kirche und des Glaubens, sondern ruft sie direkt an – als Leitstern der Hoffnung. Der Papst empfiehlt nicht nur die Schule des Betens, sondern übt sie einfach selbst. Wer hier die Lektüre abbricht („zu fromm“, „das Übliche“), dürfte das, was über die Hoffnung gesagt worden ist, eben doch mehr „informativ“ als „performativ“ verstanden haben (und also gerade noch nicht verstanden haben). Aber auch hier gibt es Trost: erneute Lektüre und die Aussicht, vom eigenen Glauben mehr als bisher zu verstehen und einzuüben.