Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung
Kruzifix Foyer Haus am Dom, Frankfurt am Main Foto: Werner Enders

Durch Wunden geheilt

Woran glaubt, wer an den Gekreuzigten glaubt?

Die Hinrichtung Jesu am Kreuz gilt als die am stärksten gesicherte Tatsache seiner Geschichte. Gleichzeitig ist gerade das Kreuz in den letzten Jahrzehnten als Symbol des Christentums immer wieder ins Gerede gekommen. Ob in Klassenzimmern oder gut sichtbar am Halskettchen, vor allem aber aus der Perspektive der Nichtchristen.

Streit ums Kreuz gibt es auch in unserer angeblich säkularisierten Gesellschaft immer wieder. So fällt es auch heute noch leicht, mit Paulus das Kreuz als eigentlichen Skandal der christlichen Religion und den christlichen Glauben an den fleischgewordenen und nach Art des Fleisches gestorbenen Gott als Ärgernis und Torheit für Nichtchristen zu begreifen (1 Kor 1, 18-31). Oder wie es der römische Staatsmann und Rhetoriker Cicero formulierte: „Der Begriff Kreuz muss nicht nur dem Leibe römischer Bürger, sondern ihren Gedanken, ihren Augen, ihren Ohren fern sein.“ Denn das Kreuz, an dem der Messias und Gottessohn gestorben ist, galt schon im römischen Reich als entwürdigendste Hinrichtungsform – nur Aufwieglern und Unwürdigen, auf jeden Fall keinem römischen Bürger wurde sie zuteil.

Heute spricht man gerne von „typisch christlichem Masochismus“, wenn man sein Unbehagen am ja tatsächlich keineswegs beruhigenden Anblick des leidenden Körpers Jesu Christi am Kruzifix zum Ausdruck bringen will. Goethe und Nietzsche haben ihrem Unverständnis gegenüber dem Kreuz prägnant Ausdruck verliehen. Dabei könnte gerade von dieser Irritation für Christen wie für Nichtchristen ein echter Erkenntnisgewinn ausgehen, wenn sie denn neben der Erklärung, das Kreuz verherrliche das Leiden und sei Sinnbild der Leib- und Glücksfeindlichkeit des Christentums, einmal die Alternative zuließen, dass in der Verehrung dieses Leidenden am Kreuz ein Akt der Selbsterniedrigung (und also Selbstentmächtigung) Gottes verehrt wird und damit gerade eine Annahme von Leiblichkeit mit allen Schattenseiten irdischer Realität durch Gott. „Er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz.“ (Phil 2, 7f). Eine solche göttliche Bewegung auf den Menschen hin ist in der gesamten Religionsgeschichte beispiellos, sie ist eine Glücks- und eben keine Unglücksverheißung und auf den verschiedensten Ebenen im Wortsinne heilsam.

Doch auch ad intra tut kreuzestheologische Reflexion not. Allzu oft wird ein Einschwören auf das Kreuz zum status confessionis, als sei dies das einzige Symbol für das Christentum. Ein solcher Absolutheitsanspruch führt zu Konflikten, die ins Leere laufen, wenn nicht mehr ge- und erklärt wird, wofür das Kreuz eigentlich steht. Am Kreuz geschieht Hingabe, lateinisch traditio, und so kann letztlich nur als „Tradition“ eingeklagt werden, was erkennbar mit diesem Hingabegeschehen am Kreuz verbunden ist.

Aber der Reihe nach: Jesus wurde vermutlich nicht ohne Mitwirkung des jüdischen Rates in Jerusalem an das römische Holz geliefert. Das lässt neben vielen Übereinstimmungen – Jesus war gläubiger Jude – auch auf deutliche Spannungen zwischen seinem Wirken und seiner Lehre einerseits und dem vor allem pharisäischen Judentum andererseits schließen: Jesus bricht die Sabbatgebote und die Reinheitsvorschriften nicht zuletzt im Umgang mit Sündern und kritisiert die herrschende Gesetzesobservanz. Aber vor allem dem römischen Statthalter, in Rom schlecht angesehen, konnte jener Rädelsführer, der zu Unruhe und Menschenansammlungen Anlass gab, nur ein Dorn im Auge sein.

Die Evangelien, denen wir das Zeugnis vom Sterben Jesu verdanken, werden gerne und zu Recht in ihrer Urform als „Passionserzählungen mit Vorgeschichte“ bezeichnet. Die Passionen gehören zu den ältesten und damit zu den historisch am besten gesicherten Bestandteilen des Neuen Testaments. Die Übereinstimmungen zwischen den Evangelien sind in den Passionsberichten deutlich höher als in anderen Passagen. Mit solchen historischen Fakten ist zwar den notorischen Leugnern von Jesu Existenz und Tod wirksam widersprochen, für die Heilsbedeutsamkeit seines Leidens und Sterbens ist mit dem Erweis der Historizität seiner Kreuzigung und ihrer Ursachen jedoch noch wenig gewonnen.

Bekanntermaßen legte die jüdische Auslegungstradition, in der auch die ersten Apostel, die Evangelisten und Paulus unweigerlich standen, eine völlig andere Deutung des Kreuzes als die seiner Heilswirksamkeit nahe: Es ist wieder Paulus, der uns im Galaterbrief (3,13f) daran erinnert, dass eine Interpretation des Kreuzesleidens Jesu als Heilstat sich weder aus der jüdischen noch aus der griechischen Tradition notwendig ergab. Nach Deuteronomium 21,23 „soll die Leiche nicht über Nacht am Pfahl hängen bleiben, sondern Du sollst sie noch am gleichen Tag begraben; denn ein Gehenkter ist ein von Gott Verfluchter.“ Und die griechische Tradition kennt ein Leben nach dem Tod nur für einen heldischen Halbgott wie Herakles, als allgemeine, philosophisch eingesehene Unsterblichkeit der Seele, nicht aber die Erlösung der Menschheit durch einen schmählich Hingerichteten.

War der Wanderprediger und Messias-Prätendent Jeschua aus Nazareth, der nicht zuerst eine Lehre verkündet hatte, die man einfach hätte weitergeben können, sondern der das Kommen des Reiches Gottes unlöslich mit seiner Person verbunden hatte, also ein für alle Mal gescheitert? Das Verhalten der (männlichen) Jünger angesichts von Verrat, Geißelung, Kreuzweg und Gericht scheint tatsächlich vor allem Unverständnis und Furcht auszudrücken. Der biblischen Tradition nach sind sie erst nach 50 Tagen, zum jüdischen Fest der Erstlingsfrüchte (Schawuot), nach sich verdichtenden Grabes- und Emmauserfahrungen, in der Lage, vor der in Jerusalem versammelten jüdischen Welt Leben, Sterben und Auferstehung Jesu als Heilstat zu verkünden. Sie werden auf Anhieb verstanden – 3000 lassen sich an diesem Tag in Jerusalem taufen (Apg 2). Die sich hier durchsetzende Erkenntnis, dass der am Kreuz schmählich Hingerichtete eben doch und gerade der Erlöser, dass er lebt und nicht gescheitert sei, braucht das kraftvolle Wirken des Heiligen Geistes, um sich endgültig öffentlich durchzusetzen.

Dabei hat Jesus selbst mit seinem gewaltsamen Tod gerechnet und – auch wenn in den Evangelien das Unverständnis der Jünger, allen voran Petrus, immer wieder betont wird – bereits eine heilsgeschichtliche, ja eschatologische Deutung damit verknüpft. Fangfragen, heftige Vorwürfe ja „Todfeindschaft“ der Pharisäer sprechen schon früh eine deutliche Sprache (Mk 2,7; 12,13ff par u.ö.), das grausame Schicksal Johannes des Täufers (Mk 6,14) stellt Jesus zusätzlich die Möglichkeit seines eigenen gewaltsamen Todes vor Augen. Es wird aber in seinen Augen kein vergeblicher Tod sein, sondern er markiert in der endzeitlichen Grundierung, die Jesu und des Paulus Lehren verbindet, den Wendepunkt zwischen dem todverfallenen gegenwärtigen Äon und der kommenden Welt, dem Königreich Gottes. Für alle, die umkehren und sich taufen lassen, hält sie ewiges Heil, für die anderen „Heulen und Zähneknirschen“ (Mt 8,12) bereit.

Walter Kardinal Kasper formuliert prägnant: „Jesu Botschaft vom Kommen der Herrschaft Gottes als des neuen Äons schließt die Erwartung des eschatologischen Peirasmos [Prüfung] ein. Seine Botschaft fordert den radikalen Bruch mit dem gegenwärtigen Äon, was die Annahme des Todes als äußerster Konsequenz einschließt. Insofern ist Jesu Sterben am Kreuz nicht nur die äußerste Konsequenz seines mutigen Auftretens, sondern Zusammenfassung und Summe seiner Botschaft. Der Tod Jesu am Kreuz ist die letzte Verdeutlichung dessen, um was es ihm allein ging: das Kommen der eschatologischen Herrschaft Gottes. Dieser Tod ist die Verwirklichungsgestalt der Gottesherrschaft unter den Bedingungen diese Äons, der Herrschaft Gottes in menschlicher Ohnmacht, des Reichtums in der Armut, der Liebe in Verlassenheit, der Fülle in der Leere, des Lebens im Tod.“ (Jesus der Christus, 140).

Das Kreuz wurde zum Zeichen des Heils und darf bis heute nicht als bloße Durchgangsstation zur glorreichen Auferstehung gelesen werden, soll es in seiner ganzen Tiefe und Abgründigkeit ausgelotet werden. Jesus war wirklich Mensch und ist wirklich qualvoll am Kreuz gestorben, ja seine anstößigen letzten Worte im Markusevangelium, „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich im Stich gelassen“ (Mk 15,34), können – auch wenn man in ihnen den Anfang des Hoffnungspsalms 22 erkennt – durchaus als Aufschrei der völligen Gottverlassenheit und damit als vielleicht deutlichster Hinweis auf seine Menschennatur gelesen werden. Wie aber aus diesem Abgrund wieder aufsteigen, ohne durch einen wundersamen Eingriff „von oben“ das Kreuz in der Auferstehung einfachhin ungeschehen zu machen und ihm damit seine Heils-Bedeutsamkeit, wie sie offenbar von Jesus selbst gesehen und vorherbestimmt wurde, zu nehmen? Zu Recht trägt Jesus in einer Mehrzahl von Auferstehungsdarstellungen die Wunden des Kreuzes, er ist also durch das Kreuz (hindurch) auferstanden und nicht an ihm vorbei. Sein Tod ist konstitutiver Teil des Heilsgeschehens und nicht vernachlässigbare Nebensache.

Den Nukleus einer Kreuzestheologie stellt bis heute das sogenannte Gottesknechtslied aus Jes 53, 1-12 dar, das es der judenchristlichen Urgemeinde erlaubt haben dürfte, seinen Tod zu begreifen: „Er hatte weder Gestalt noch Schönheit, […] verachtet war er und verlassen von den Menschen, ein Mann der Schmerzen […]. Doch wahrlich, unsere Krankheit hat er getragen und unsere Schmerzen auf sich geladen […] er war durchbohrt um unserer Sünden, zerschlagen um unserer Verschuldungen willen; die Strafe lag auf ihm zu unserem Heil und durch seine Wunden sind wir genesen […]. Wenn er sein Leben zum Schuldopfer einsetzte, sollte er Nachkommen sehen und lange leben […]. Dafür, dass er sein Leben in den Tod dahingab und unter die Übeltäter gezählt ward, da er doch die Sünden der Vielen trug und für die Schuldigen eintrat.“

Karl Rahner hat einmal in einem Interview gesagt „um aus meinem Schlamassel herauszukommen, da nutzt es mir doch nichts, wenn es Gott genau so dreckig ergeht“. Wie soll also Erlösung von einem machtlos am Kreuz Gestorbenen ausgehen? Dokumentiert er nicht gerade seine eigene Unfähigkeit, auch nur sich selbst zu retten? Wie viel weniger für die Vielen, die Vergebung ihrer Sünden und in Konsequenz die Teilhabe am ewigen Leben? Verschiedene Erklärungsmodelle legen sich hier nahe, die – teilweise eng miteinander verflochten – weit über eine bloße Kreuzestheologie hinausragen, christologische, soteriologische und trinitätstheologische Dimensionen aufweisen.

Die Theologie der Kirchenväter bevorzugt eine Theologie des „Platztausches“. „Jener, der Gott war, wird Mensch, damit der Mensch an den Platz Gottes versetzt wird“ (Hans Urs von Balthasar; Theodramatik III, Die Handlung, 224f). Nach dem Modell einer Waage wird analog die Last der Sünde vom Menschen auf die Seite des sündlos leidenden Christus übertragen und von ihm im Tod vernichtet. Es war ein wunderlicher Krieg – da Tod und Leben rungen, das Leben behielt den Sieg – es hat den Tod verschlungen. Die Schrift hat verkündet das – wie ein Tod den andern fraß, ein Spott aus dem Tod ist worden. – Halleluja. Wie Martin Luther, nach Paulus vielleicht der wirkmächtigste Theologe des Kreuzes, die entsprechende Strophe der tausendjährigen Ostersequenz übersetzt. Dabei spielt die Sündlosigkeit Jesu und seine Menschennatur eine konstitutive Rolle: Nur weil er selbst ohne Sünde war, schon seine Mutter ohne Erbsünde empfangen, kam er als Erlöser für uns infrage. Er ist im Wortsinne souverän gegenüber der Last, unter der die Menschen leiden. „Da er den Tod als nicht gefallener Mensch nicht zu fürchten braucht, erfährt er die Todesfurcht freiwillig, nicht als die seine, sondern als die unsere“ (Balthasar, Theodramatik III, 231). Von der Tradition vergessen findet in der Väterzeit das paulinische Bild von Christus als Haupt der Kirche seine tiefere Bedeutung: Die Erlösungstat geht als gratia capitis, Gnade vom Haupt Christus her sozusagen organisch auf alle Glieder über.

Anselm von Canterbury hat ausgehend von dieser Tradition des Platztauschs das Kreuz in den Ort eines wundersamen Handels oder admirabile commerciums transformiert: In der ersten systematischen Erlösungslehre sammelt er im 11. Jahrhundert die Elemente der Heiligen Schrift und der Väterlehre und gruppiert sie um den Begriff der satisfactio, der Genugtuung. Jesu Tod ist die konsequente Folge eines Lebens in absoluter Gerechtigkeit, dem Eintreten für die Armen und Schwachen und kann nur so in einem in völliger Freiheit angenommenen Leiden und Sterben die endgültige Befreiung des Menschen bewirken. Damit ist nicht – wie heute gerne verkürzt formuliert wird – ein vom Vater erzwungenes stellvertretendes Sühneleiden gemeint, ein Opfern des Sohnes auf dem Altar des göttlichen Zorns, sondern die notwendige und zugleich freie Wiederherstellung der durch ungerechtes Handeln der Menschen aus der Balance geratenen Schöpfungsordnung durch Jesus Christus

» Der Tod am Kreuz ist die notwendige und zugleich freie Wiederherstellung der durch ungerechtes Handeln der Menschen aus der Balance geratenen Schöpfungsordnung durch Jesus Christus.«

Joachim Valentin

Papst Benedikt XVI. schreibt in seinem apostolischen Schreiben Sacramentum Caritatis 2007 (Abs. 9): „In seinem Tod am Kreuz vollzieht sich jene Wende Gottes gegen sich selbst, in der er sich verschenkt, um den Menschen wieder aufzuheben und zu retten – Liebe in ihrer radikalsten Form. Im PaschaMysterium ist unsere Befreiung vom Bösen und vom Tod tatsächlich Wirklichkeit geworden. Bei der Einsetzung des Altarsakramentes hatte Jesus selbst vom ‚neuen und ewigen Bund‘ gesprochen, der in dem von ihm vergossenen Blut geschlossen wurde (vgl. Mt 26,28; Mk 14,24; Lk 22,20).

Hans Urs von Balthasar zeigt, dass gleichwohl die beiden neuzeitlichen Erklärungsmodelle für die erlösende Wirkweise des Kreuzestodes „Solidarität“ und „Stellvertretung“ nicht wirklich durchtragen: Was Jesus für die Menschen tut, ist mehr als Solidarität, die willkürlich gewählt oder nicht gewählt werden kann und die stets auch eine gewisse Unbetroffenheit des Agierenden beinhaltet, es ist vielmehr radikales „Sein für“, „Proexistenz“, die sich notwendig aus der innertrinitarischen Liebe zwischen Vater, Sohn und Geist ergibt. Substitution oder Stellvertretung bildet die zentrale Metapher protestantischer Erlösungslehre, theologisch vielleicht am tiefgründigsten in Jürgen Moltmanns „Der gekreuzigte Gott“, doch wirklich verstehbar wurde sie erst durch die faszinierende Theorie des Literaturwissenschaftlers René Girard (Das Heilige und die Gewalt, 1972/1987). Sein Ansatz ist von dem Innsbrucker Theologen Raymund Schwager und seiner Schule im Sinne einer „Dramatischen Erlösungslehre“ (J. Niewiadomsky, 1992) fortgeschrieben worden.

Kurz gefasst analysiert Girard in einer Vielfalt von Mythen und heiligen Text der Religions- und Literaturgeschichte mimetische Gewalt als ein leidvolles Urphänomen der Menschheit. Immer wieder richtet sich das Begehren erwachsener Männer auf dasselbe Objekt und erzeugt so die bekannten (Bruder-) Zwiste wie etwa zwischen Kain und Abel, Romulus und Remus, Eteokles und Polyneikes etc. Um die so immer wieder neu entstehende Gewalt in den Griff zu bekommen, kristallisiert sich mit der Zeit ein bestimmtes Gruppenverhalten heraus: Die aus der mimesis unverstanden hervorgehende Gewalt wird als „Sünde“ oder „Schuld“ einem Sündenbock aufgebürdet, der dann aus der Gemeinschaft ausgestoßen, einem angeblich rachsüchtigen, Opfer fordernden Gott geopfert wird. Das Menschenopfer wurde historisch zum Tieropfer und findet seine prägnanteste, bereits halb bewusste Form im vom Hohen Priester vollzogenen Sündenbock-Ritual am jüdischen Versöhnungstag, Yom Kippur. Erlösung meint für Girard nun Bewusstmachung dieses Mechanismus: Bereits im Gottesknechtslied und im Hiobbuch wird die Schuldlosigkeit des Opfers betont und damit die mimetische Gewalt bewusst gemacht. Endgültig gebrochen wird der Bann im Kreuzestod Jesu Christi: Dieser sollte – entgegen einer nicht ganz klaren Terminologie in der katholischen Tradition – gerade nicht als Opfer im herkömmlichen Sinn begriffen werden, da er 1. freiwillig geschieht und 2. die Unschuld des Opfers Jesus Christus nie in Zweifel steht. Es wäre vielmehr von Selbsthingabe zu sprechen. Dass die Weltgeschichte nach Christus immer noch und gar von immer unermesslicher werdender Gewalt gekennzeichnet wird, erklärt Girard damit, dass seine Hingabe eben zwar verstanden, aber nicht angenommen wurde. Der Wegfall der mythischen Versöhnung, der Wegfall auch der Verehrung der Opfer steigert die nackte Gewalt. Es entbehrt nicht der Ironie, dass ausgerechnet ein Literaturwissenschaftler auf neue Weise die innere Logik und Universalität der Erlösung durch das Sterben Jesu Christi am Kreuz plausibel machen konnte. Sie feiern wir jeden Sonntag in der Eucharistie. Sie ist kein Opfer, was wir Gott darbringen, sondern Feier der freien Selbsthingabe des sündlosen Gottmenschen Jesus Christus.

„Die Möglichkeit der Kirche, die Eucharistie zu ‚verwirklichen‘, ist ganz und gar verwurzelt in der Selbsthingabe Christi an sie. […] ‚Er hat uns zuerst geliebt‘ (vgl. 1 Joh 4,19). So bekennen auch wir in jeder Feier den Vorrang der Gabe Christi […] So entsteht im Umfeld des eucharistischen Mysteriums der Dienst der Nächstenliebe, die darin besteht, dass ich auch den Mitmenschen, den ich zunächst gar nicht mag oder nicht einmal kenne, von Gott her liebe. Das ist nur möglich aus der inneren Begegnung mit Gott heraus, die Willensgemeinschaft geworden ist und bis ins Gefühl hineinreicht. Dann lerne ich, diesen anderen nicht mehr nur mit meinen Augen und Gefühlen anzusehen, sondern aus der Perspektive Jesu Christi heraus.“ (Benedikt XVI., Sacramentum caritatis, 88)

Die Botschaft vom Kreuz, 1 Kor 1, 18-31 18

Denn das Wort vom Kreuz ist denen, die verloren gehen, Torheit; uns aber, die gerettet werden, ist es Gottes Kraft. 19 Es heißt nämlich in der Schrift: Ich lasse die Weisheit der Weisen vergehen / und die Klugheit der Klugen verschwinden. 20 Wo ist ein Weiser? Wo ein Schriftgelehrter? Wo ein Wortführer in dieser Welt? Hat Gott nicht die Weisheit der Welt als Torheit entlarvt? 21 Denn da die Welt angesichts der Weisheit Gottes auf dem Weg ihrer Weisheit Gott nicht erkannte, beschloss Gott, alle, die glauben, durch die Torheit der Verkündigung zu retten. 22 Die Juden fordern Zeichen, die Griechen suchen Weisheit. 23 Wir dagegen verkündigen Christus als den Gekreuzigten: für Juden ein empörendes Ärgernis, für Heiden eine Torheit, 24 für die Berufenen aber, Juden wie Griechen, Christus, Gottes Kraft und Gottes Weisheit. 25 Denn das Törichte an Gott ist weiser als die Menschen und das Schwache an Gott ist stärker als die Menschen. 26 Seht doch auf eure Berufung, Brüder! Da sind nicht viele Weise im irdischen Sinn, nicht viele Mächtige, nicht viele Vornehme, 27 sondern das Törichte in der Welt hat Gott erwählt, um die Weisen zuschanden zu machen, und das Schwache in der Welt hat Gott erwählt, um das Starke zuschanden zu machen. 28 Und das Niedrige in der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt: das, was nichts ist, um das, was etwas ist, zu vernichten, 29 damit kein Mensch sich rühmen kann vor Gott. 30 Von ihm her seid ihr in Christus Jesus, den Gott für uns zur Weisheit gemacht hat, zur Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung. 31 Wer sich also rühmen will, der rühme sich des Herrn; so heißt es schon in der Schrift.