Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung
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»Ihr habt noch nicht widerstanden bis aufs Blut«

Kreativer Widerstand gegen Gewalt und Unrecht ist eine christliche Haltung und hat – überraschend – mit Demut zu tun.

Selbst auf den zweiten Blick haben die im Titel
angesprochenen Haltungen nicht nur nichts
miteinander zu tun, sondern schließen sich
aus wie Feuer und Wasser. Demut wird mit Bescheidenheit
und Nachgiebigkeit assoziiert, mit mangelndem
Selbstwertgefühl bis hin zu Unterwürfigkeit
und Selbstabwertung, jedenfalls mit Defensive oder
gar Kapitulation und Niederlage. Mit Widerstand
dagegen ist Kraft und Konfliktfähigkeit verbunden,
Eigenmacht und Aufstand. Da lässt man sich nichts
gefallen und geht am besten in die Offensive, Angriff
als beste Verteidigung; jedenfalls wehrt man sich,
zur Not mit Händen und bis zum Äußersten. Hier
der Kniefall, der gebeugte Rücken und der gesenkte
Blick, dort der aufgerichtete Körper, der gestreckte
Rumpf, gespannte Präsenz, die Anderen offensiv im
Visier. Immerhin zeigt schon die Redewendung von
der „falschen Demut“, dass es auch eine produktive,
schöpferische „Dienstwilligkeit“ gibt (so die wörtliche
Übersetzung von „diomuoti“ von dionon = dienen,
und das heißt „zur Verfügung stehen“ in und für
einen größeren Lebenszusammenhang). Und klar ist
auch, dass Widerspruch und Widerstand elementare
Haltungen der Auseinander-Setzung sind, die eine
bestimmte Gesinnung voraussetzen, mindestens die
der Selbstbehauptung und des Überlebens. Entsprechend
ist Widerstand keineswegs nur eine Kategorie
sozialen und politischen Verhaltens, sondern existentiell
wichtig. Widerstandskraft ist mehr als das halbe
Leben und Resilienz eine kostbare Ressource. Nicht
zufällig arbeiten verschiedene Therapiekonzepte mit
Vorliebe an jenen unbewussten Widerständen, in denen
sich psychische Energie meist blockierend verknotet
hat und die es durch Seelenarbeit zu lösen und
damit kreativ freizusetzen gilt. Soll also theologisch
auf Widerstand, Bekenntnis und gar Martyrium geschaut
werden, ist der ganze Zusammenhang in den
Blick zu nehmen.

Unter dem Stichwort „Demut“ geht es um die christlich
gebotene Grundhaltung und Grundgesinnung für
aufrechten Gang und widerständige Präsenz. Das
lateinische Wort „humilitas“ hat bekanntlich mit
„humus“ zu tun (und auch mit „humor“): gemeint ist
also ein realistisches „Geerdet-Sein“, „Auf-den-Boden-
Kommen“, „Auf-dem-Teppich-Bleiben “, sich und
anderen nichts vormachen müssen. Derartiger Realismus
ist das Gegenteil inflatorischen Verhalten,
nämlich die illusionsfreie Anerkennung dessen, was ist, und der Verzicht auf jede Form von Gotteskomplex.
Angesichts der realen Verhältnisse jenseits von
Eden gehört zu solch einer Akzeptanz der Endlichkeit
wirklich Mut und Widerstandskraft, eben Demut. Bevor
das systematischer entfaltet wird, sei es an einem
konkreten Lebenswerk kurz veranschaulicht.

Einer für alle

Wie aus seinem Tagebuch ersichtlich, sah Dag Hammarskjöld
immer klarer, wie sehr er in der imperialen
Machtpolitik der Großmächte zerrieben werden wird.
Seit seinem Amtsantritt als UNO-Generalsekretär
1953 verstand er sich programmatisch als Anwalt der
Menschenrechte und betrieb eine Weltinnenpolitik
zugunsten der kleinen und armen Nationen. Immer
um produktive Kompromisse bemüht, blieb er doch
unerbittlich auf diesem Kurs (und dies aus realpolitischen,
aber eben auch aus ethischen und religiösen
Gründen). Das machte ihn verhaltensauffällig und für
die „Großen“ unbequem, das machte ihn zum Vorbild
unbestechlicher Politik. Eines der Schlüsselworte für
die dazu notwendige Grundhaltung war für den evangelisch
geprägten Globalprayer die Demut (und darin
spiegelt sich auch der lange innere Kampf des hochbegabten
Überfliegers, der immer schon als „besonders“
galt und diesen geerbten Elitarismus in schöpferische
Selbstlosigkeit zu verwandeln vermochte).
„Demut ist in gleichem Grade der Gegensatz zur
Selbstdemütigung wie zur Selbstüberhebung. Demut
heißt sich nicht vergleichen.“ Dieser Tagebuch-Eintrag
vom 29.7.1959 zielt auf ein tiefstes Selbst- und
auch Sendungsbewusstsein, dessen Gütezeichen völlige
Selbstlosigkeit ist und schöpferische Präsenz.
„Lob und Tadel, die Winde von Erfolg und Misserfolg
blasen spurlos über dieses Leben hinweg und ohne
sein Gleichgewicht zu erschüttern.“ Nicht zufällig
endet diese Notiz wie so viele andere im Gebet. Die
selbstgewisse Entschiedenheit gründet „woanders“
und bezieht vom großen Gegen-Über her seine Kraft.
„Einfachheit heißt, die Wirklichkeit nicht in Beziehung
auf uns zu erleben, sondern in ihrer heiligen
Unabhängigkeit …“, notiert Hammarskjöld weiter.
Diese schöpferische Selbstlosigkeit macht ihn frei zu
kreativer Politik und zu unermüdlichem Engagement.
Gerade weil nichts von ihm abhängt, hängt alles von
ihm ab. Diese typisch christliche Freiheit macht Hammarskjöld
fähig, sich völlig für die Friedensarbeit zu
verausgaben und sogar dem geahnten Lebensopfer zuzustimmen, ohne sich selbst wichtig zu
machen oder produzieren zu müssen. Diese
innere Unbestechlichkeit und die daraus resultierende
Flexibilität machten ihn schon
zu Lebzeiten hochgeschätzt – und zugleich
auch gefährlich, weil er nicht kompromittierbar
war. Hammarskjölds innere Widerstandskraft,
seine „epistemische Resilienz“
hängt zentral mit seiner Gottesorientierung
und seiner Christusbindung zusammen. Sein
geistliches Vermächtnis bringt es Pfingsten
1961 testamentarisch auf den Punkt:
„Von dieser Stunde her rührt die Gewissheit,
dass das Dasein sinnvoll ist und dass darum
mein Leben, in Unterwerfung, ein Ziel hat ...
Seither hat das Wort Mut seinen Sinn verloren,
da ja nichts mir genommen werden
konnte.“

Unschwer lassen sich die Gedanken Hammarskjölds
ähnlich im Wirken und Zeugnis
vieler anderer durchbuchstabieren, zumal
er selbst den Reichtum christlicher Spiritualitäten
und anderer Weltreligionen hungrig
aufgesogen hat. Nicht zufällig ist Demut im
Gründungsdokument europäischer Spiritualität
die zentrale Leitkategorie authentischer
Selbst- und Weltveränderung – in
der Benediktsregel nämlich und in deren
7. Kapitel. Da geht es um den Widerstand
gegen die ständigen Versuchungen, sich zu
überschätzen und Gott zu spielen. Verbunden
damit sind entsprechende Strategien,
endlich (!) auf den Boden und zur Welt zu
kommen. Neben dem einen Straßengraben
angstgetriebener Selbstüberschätzung aber
gibt es den anderen einer ebenfalls angstgetriebenen
Selbstablehnung – und beides
bedeutet die Weigerung, endlich (!) Mensch
zu werden, Mitmensch und Mitgeschöpf.
Statt gottgemäßer Selbstwerdung kommt es
dann zu jener masochistischen Selbstverleugnung,
die zur Schattengeschichte christlicher
Demut gehört und ebenfalls zum Widerstand
nötigt und zur Unterscheidung der
Geister. Denn beim Stichwort „Demut und Widerstand“ geht es immer darum, das zu
werden, was wir sind: Gottes Partnerinnen
und Partner. Wir können gar nicht groß genug
von uns denken und handeln – wenn
und in dem Maße wir ihn zur Welt kommen
lassen, über den hinaus nichts Größeres geschehen
kann. Das sei nun grundsätzlicher
kurz entfaltet.

Widerstand gegen das Nichts

Was für alle Dinge gilt, wird besonders
deutlich am Lebendigen: Es zielt auf Selbsterhaltung.
Man könnte diese grundsätzliche
Widerständigkeit gar das Grundmuster der
Welt nennen. Ob das dann im evolutionären
Kampf um das fitteste Exemplar der Art
und Gattung ausgefochten wird, ob im freien
Wettbewerb der Kräfte oder im brutalen
Selbsterhalt auf Kosten anderer – so unterschiedlich
die kulturellen Strategien auch
sind, ohne Resistenz gegen das Nichts entsteht
und besteht nichts. Zur Welt kommen
heißt sich durchsetzen und behaupten – und
das gegen „äußere“ und „innere“ Feinde. Die entscheidende Frage dabei ist, ob die Matrix
wirklichen Lebens die egoistische Durchsetzung
seiner selbst auf Kosten aller anderen
ist oder jene schöpferische Selbstlosigkeit,
die sich zugunsten des Anderen sogar bis
zum Äußersten und Letzten zurückzunehmen
weiß – aufgrund der Überzeugung nämlich,
dass es ein Woandersher der Welt und
des Menschen gibt, das anders und mehr ist
als diese.

»Das jesuanische Grundmuster der
Feindesliebe ist die Konkretisierung
der ständigen Schöpfertreue Gottes«

Gotthard Fuchs

Derart Welt und Mensch als Gottes Schöpfung
zu verstehen, ist – jedenfalls was den
Entstehungszusammenhang angeht – schon
biblisch vermittelt. Dass überhaupt etwas ist und nicht nichts, ist eine Urfrage (in) der Menschheit
von Anfang an und wird in unterschiedlichsten
Kosmogonien bedacht. Dass diese Welt aber „aus
nichts“ geschaffen sei – aus nichts anderem nämlich
als aus göttlicher Freiheit und Liebe – ist ein genuin
biblischer Gedanke. Das Geheimnis, das da erwählend
und erschaffend alles ständig durchwirkt und Gott genannt
wird, ist unglaublich widerständig gegenüber
den chaotischen Mächten in uns und um uns. Wie ist
diese göttliche Widerstandsarbeit theologisch zu verstehen
und spirituell mit zu vollziehen? Mindestens
zwei Antwortlinien lassen sich skizzieren: Schöpfung
geschieht – so die eine Perspektive – als Wirken des
allmächtigen Gottes, der unfassbar durchsetzungsstark
ist und „durchgreift“; da verwandelt sich alles,
was sich ihm in den Weg stellt. Die andere Perspektive
deutet das erstaunliche Faktum des Da-Seins theologisch
so, dass Gott sich ständig zurücknimmt. Gerade
so schafft „er“ Raum für das Andere seiner selbst, die
Welt und den Menschen. Nicht die gestaltende Widerstandskraft
ist es, die schöpferisch ist und die Matrix
von allem. Hier ist es gerade die unfassbare Selbstlosigkeit
des Schöpfers, die ständig Neues ermöglicht –
also seine Demut. In beiden Auslegungsrichtungen ist
eines die treibende Kraft: Die Welt als Schöpfung ist
kein Betriebsunfall, sondern ein nicht selbstverständliches
Resonanz- und Beziehungsgefüge; ihr Wasserzeichen
ist ein beziehungsstarkes Wohlwollen in und
trotz allem, und das verdient den „hundertsten Namen“:
„Das Geschehen, über das hinaus kein Größeres
geschehen kann“ (Schelling), Gott – der schöpferische
Widerständler par excellence, der ständig – in Gestalt
des Menschen – Mitwirkende und Mitleidende sucht.

Österlicher Widerstand

„Ich sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen.“
(Lk 10,18) Kaum eines der ältesten Jesus-Worte
zeigt den Widerstandsgeist des Nazareners so massiv
wie dieses. Der anfängliche Schüler Johannes des
Täufers findet zu der Gewissheit, dass der endzeitliche
Kampf im Himmel definitiv schon entschieden
ist. Diesen endgültigen Sieg Gottes schon im Rücken,
kann und will Jesus auf Erden riskieren, was im Himmel
schon geglückt ist: Die Weltherrschaft der göttlichen
Güte ist derart gewiss und nah, dass man sie hier und jetzt schon praktizieren kann – richtend und
rettend, widerständig gegenüber dem Bösen und Freiräume
schaffend für jene göttlichen Güte, die überall
schon ihre Sonne aufgehen lässt über Gute und Böse.

Die damit verbundene Scheidung der Geister prägt
das Wirken Jesu in allem. Nicht zufällig ist es historisch
Jesu Widerstand gegen den „Tempel“, gegen das
religiös-politisch-ökonomische Machtkartell in Jerusalem
also, das ihn das Leben kostet. Allen Versuchungen
zum Trotz widersteht er der allzu menschlichen
Neigung (schon der Evolution), Gewalt mit
Gegengewalt zu beantworten – oder feige seine Haut
durch Flucht zu retten. Seine Resilienz und Resistenz
gewinnt ihre Kraft von woandersher. „Demütig
und sanftmütig bin ich von Herzen“ – so lautet die
Selbstaussage Jesu, so das österliche Bekenntnis zu
ihm. In dieser Perspektive wird, was Israels Schöpfungsglaube
betont, die Welt als Gottes sehr gute
Schöpfung „aufgedeckt“ und „wunderbar“ erneuert.
Und zugleich wird deutlich: Nicht die Endlichkeit von
Welt und Mensch ist Anlass zum Widerstand, sondern
die Sünde und das Böse.

„Widerstehet dem Bösen nicht“

Gerade für Matthäus ist Jesus der Anwalt der Kleinen
und Armen. Er, der Demütige, steht ein für die Gedemütigten.
Zu diesem Einstand für die einen gehört
der Widerstand gegen die Oberen – für uns missverständlich
auf die Rolle der „Pharisäer und Schriftgelehrten“
konzentriert – und der Aufstand gegen
Verhältnisse, die unrecht sind und Unrecht schaffen.
„Die größere Gerechtigkeit“ (Mt 5,20), die den Jesusjüngern
gegeben und aufgegeben ist, wird konkret
als Feindesliebe. So wie der unfassbar verlässliche
Schöpfergott in seinem Volk die Völker und in ihnen
die Schöpfung im Ganzen freisetzt und durchträgt,
sollen es auf der Spur Jesu auch die Seinen tun. „Geht
so aufs Ganze wie euer himmlischer Vater“ (Mt 5,48 in
der Übersetzung von Georg Steins): Das jesuanische
Grundmuster der Feindesliebe ist die Konkretisierung
der ständigen Schöpfertreue Gottes! Diese Maxime
führt aktiv und passiv in den Widerstand: „Widersteht
dem Bösen nicht“ (Mt 5,39) – nach Nietzsche die
kostbarste Essenz des Christlichen – markiert genau
das christliche Paradox: Widerstand durch höchste Flexibilität, Überwindung des Bösen durch
Unterlaufen seiner Macht. Die so oft missverstandene
Aufforderung, dem Gewalttäter
noch die andere Backe hinzuhalten, meint
ja genau dies: auf Gewalt aktiv zu reagieren,
aber eben nicht
in Gegenabhängigkeit
und also gewaltsam,
sondern durch Irritation
des Gegners
bzw. Feindes – bis zur
Torheit des Kreuzes. „Widersteht dem Bösen
nicht“ – und zwar nicht mit Gewalt, also
„schlagt nicht zurück“ (wie die neue franz.
Übersetzung „Traduction officielle liturgique“
von 2013 treffend übersetzt: riposter
statt resister). Also reagiert nicht in Gegenabhängigkeit,
handelt nicht selbst böse und
mit Gewalt! Es ist ein Plädoyer für „kämpferische
Gewaltfreiheit“ (Walter Wink) und
„militante Gewaltfreiheit“ (G. Steins), also
gerade nicht für passive, ja resignative Hinnahme
von Gewalt, kein „frommes Dulden“
und falsche Demut. Gewaltverzicht ist nicht
Widerstandsverzicht. Alles soll von der Güte
des eines Vaters bestimmt sein, der seine
Sonne aufgehen lässt über Gute und Böse.
Ihn gilt es in der Feindesliebe nachzuahmen
(vgl. Mt 25). Die negative Handlungslogik
soll kreativ unter- und durchbrochen, unterlaufen
werden. Der Angriff des Bösen kann
und soll „pariert“, die Situation „gedreht“
werden (vgl. Mt 5,42ff).

»Gewaltverzicht ist nicht
Widerstandsverzicht«

Gotthard Fuchs

Natürlich sind auch die anderen biblischen
Autoren normativ geprägt von Gestalt
und Weg Jesu. Paulus ist überzeugt,
dass Gott durch ihn die Welt (!) mit sich versöhnt
habe (2 Kor 5,19ff). Nur durch kenotischen
Gewaltverzicht könne Heilung und
Wandlung geschehen (Phil 2,5-11). Nur in
der „Schwäche“ zeige sich die Kraft dessen,
der das Sein aus dem Nichts und das Leben
aus dem Tod ruft (Röm 4,45). Entsprechend
gilt eine paradoxe Haltung kreativer Widerständigkeit
gegen das Böse: „Lass dich nicht
vom Bösen besiegen, sondern besiege das
Böse durch das Gute“ (Röm 12,21). Vergleichbar
wäre auf die Auslegung des Weges Jesu
nach Lukas zu schauen: Zentral ist ihm die
Bitte des Gekreuzigten: „Vater vergib ihnen, sie wissen nicht, was sie tun.“ (Lk23,34) Diese
Haltung allein durchbricht die gängigen
Selbstbehauptungsstrategien nach dem
Muster „Wie du mir, so ich dir“. Sie ist das
Grundgesetz der Jesus-Bewegung namens
Kirche (vgl Apg 7,60).
– Und deshalb auch
das Titelzitat aus dem
Hebräerbrief, der eine
ermüdete christliche
Gemeinde daran erinnert,
mit Entschiedenheit Flagge zu zeigen
und widerständig zu bleiben bzw. zu werden
– und das ebenfalls in Orientierung an dem
Christus Jesus, der sich in Mitleidenschaft
ziehen ließ und selbst lernen musste, was
es heißt, zum mitleidenden Gott zu gehören
(vgl. Hebr 4,14ff; 5,7ff).

„Was ich bin, will ich auch sein“

Dem christlichen Glauben ist also von Anfang
an eine protestative Widerstandshaltung
eingeschrieben – und Christenmenschen
wie Gemeinden, die nicht mehr
wüssten, worin sie Nein sagen müssten und
warum sie keine Feinde mehr hätten, hätten
ihr Taufversprechen halbiert. Von früh
an gilt der von Tertullian formulierte Kernsatz,
dass das Blut der Märtyrer der Same
der Christen sei. In den nordafrikanischen
Märtyrerakten von Scili, den ältesten lateinischen
Dokumenten des Christlichen, ist
von Frauen und Männern die Rede, die sich
mit Bezug auf Christus weigern, den Kaiser
als Gott zu verehren. Im Verhör gefragt, ob
sie Christin sei, antwortet eine von ihnen
namens Secunda: „Was ich bin, will ich auch
sein“. In diesem status confessionis zeigt
sich seit Jesu Zeiten die „Kraft der Auferstehung“
(Phil 3,24), die eben faktisch Aufstand
und Widerstand einschließt. Und das nicht
aus Leidenssucht oder Selbstheroisierung,
sondern weil die Verhältnisse jenseits von
Eden so sind, wie sie sind. Immer noch ist
es eine Mordsgeschichte wie seit Kain und
Abel. „Immer noch schreit das Blut vom Erdboden“
(Gen 4,10), und die Schöpfung ist gefährdeter
denn je.

So sehr also das „Widersagen“ und „Widerstehen“
zur Signatur des Christlichen
gehört, so deutlich muss aber deren Eigenart
unterstrichen bleiben: Wer das Martyrium
sucht und das Leiden als Selbstzweck
betrachtet, ist auf einem Irrweg und in der Regel ziemlich krank. Das zu unterstreichen,
ist gerade durch die Perversion des Märtyrerbegriffs
in islamistischen Verhaltensweisen
(und in jeder Art von Selbstheroisierung)
wichtig. Alles entscheidend beim christlich
motivierten Bekenntnis und Widerstand ist
die Nachfolge Jesu und die Führung durch seinen Geist. Das gilt nicht erst für das
„rote“ Martyrium, das Blutzeugnis, es gilt
auch für das „weiße“ und „grüne“ (so nannte
man im iro-schottischen Christentum die
Existenzweise im Kloster bzw. in der „peregrinatio“,
im missionarischen „Auslandsaufenthalt
– also im radikalen Lebenseinsatz
auf „unblutige“ Weise). Immer ist die Orientierung
an Jesus Christus vorausgesetzt, der
Gewalt nicht mit Gegengewalt beantwortete
und darin von der Gegenwart göttlicher Liebe
überzeugt blieb. Diese „Demut“, Gott allein
Gott sein und ihn wirken zu lassen, ist
grundlegend. Dieser All-Macht wirklicher
Liebe in allem und trotz allem zu trauen, bedeutet
zugleich den Abschied von jeder Art
Gotteskomplex und Heilandswahn, in dem
man sich zum Retter und Heilsbringer aufspielt.

»Jesus, der Demütige,
steht ein für die Gedemütigten«

Gotthard Fuchs

Diese Haltung bedeutet also Unterscheidung
der Geister, z.B. zwischen guter und
böser Aggression. Wirkliche Demut schließt
Widerstandskraft ein und nicht aus. Auch
darin ist für Christen und Christinnen Jesus
maßstäblich: Das entschiedene Bekenntnis
und die nicht verratene Treue gehören
wesentlich zu seinem Weg. Nichts von Anpassung
und Kompromiss. Die Geschichte
christlicher Märtyrer und Märtyrerinnen
ist geprägt von solch überzeugendem Stehvermögen
noch mitten in äußerster Ohnmacht
und Erniedrigung. Und in Grenzfällen kann diese Demut, Gott mehr zu dienen
als den Menschen, dann bis in jene abgründigen
Dilemmata führen, wo man sich um
der größeren Gerechtigkeit willen genötigt
sieht, selbst Gewalt anwenden zu müssen
im gleichzeitigen Bewusstsein, dass man
dadurch schuldig wird. Man denke an die
Selbsttötung Jochen Kleppers und
seiner jüdischen Frau am 10.12.1942,
die wegen der Nazis ihr Leben beenden
im „Anblick des segnenden Christus,
der um uns ringt“. Man denke an
die Fragen um den Tyrannenmord
und das Ringen des christlichen Widerstandes
im Umfeld des 20. Juli 1944. Aber
letztlich wird man, im Geheimnis Jesu und
des mitleidenden Gottes, mit Simone Weil
festhalten müssen: „Das Böse zu erleiden,
ist die einzige Möglichkeit, es zu zerstören“.
(Aufzeichnungen IV 202) Nirgendwo zeigt
sich die Widerstandskraft gottgemäßer Demut
so, wie in der freien Annahme tödlicher
Demütigung. Das Osterbekenntnis zum Gekreuzigten
belegt das und in seiner Spur
das Leben so vieler Glaubenszeuginnen und
-zeugen. Im Lichte ihrer Geschichte wird
aufgedeckt, wie sehr Welt und Mensch noch
im Argen liegen. Aber definitiv ist der Bann
des Bösen schon gebrochen. Frieden und Gerechtigkeit
sind wirklich schon möglich.