Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung
Porträts von Marie-Luise Reis: Aloysia Luise Löwenfels, Ljudmila Ulitzkaja, Ada Lichtmann, Marceline Loridan-Ivens, Nadja Murad, Liu Xiaobo

Galerie des Widerstands

Die Künstlerin Marie-Luise Reis portraitiert Menschen, die durch ihr Leben dem Widerstand ein Gesicht gegeben haben.

Aloysia Luise Löwenfels - Opfer der Shoa

wurde 1915 als elftes Kind jüdischer Eltern
in Trabelsdorf geboren, erlernte den Beruf
der Kindergärtnerin. Nach ihrem Übertritt
zum katholischen Glauben wurde sie Ordensschwester
der Armen Dienstmägde Jesu
Christi.

1942 entkam sie als ehemalige Jüdin nicht
der Rassenverfolgung durch die Nationalsozialisten.
Zusammen mit anderen konvertierten
Ordensleuten, unter ihnen auch
Edith Stein, wurde Luise Löwenfels nach
Auschwitz deportiert und am 9.8.1942 in der
Gaskammer ermordet.

Ljudmila Ulitzkaja - Russische Schriftstellerin

ist eine bedeutende russische Autorin
und Regimekritikerin. Sie wurde 1943 als
Kind jüdischer Eltern geboren. Die Familie
der Autorin erlebte über Generationen
auf verschiedenste Art die Unterdrückung
von Juden sowohl im zaristischen Reich
als auch unter stalinistischer Herrschaft.
Dem Urgroßvater, einem Uhrmacher aus
Kiew, wurde infolge eines Porgroms im
Jahre 1905 sein Uhrmacherladen zerstört.
Der Großvater mütterlicherseits, Jurist
und Geschäftsführer einer Fabrik, wurde
unter Stalin wegen angeblicher Wirtschaftsvergehen
in den Osten verbannt.
Der Großvater väterlicherseits, Ökonom
und ein sozialistischer Idealist, wurde aus
„politischen Gründen” in ein sibirisches
Lager verbannt und lebte nach seiner Entlassung
als gebrochener Mann nur noch
ein Jahr. Ein letztes Foto zeigt ihn gealtert
auf einen Stock gestützt – es ist angedeutet
im Hintergrund des Porträts der
Schriftstellerin. Ulitzkaja erinnert sich,
dass in ihrer Kindheit über die stalinistische
Vergangenheit geschwiegen und in
der Zeit danach aus Angst vor staatlichen
Mithörern nur geflüstert wurde.

Ulitzkajas Bücher, Erzählungen und Romane
beschäftigen sich mit jüdischen Schicksalen
im 20. Jahrhundert und Fragen der
Religion. Ihr Roman "Daniel Stein" erzählt
nach historischer Begebenheit den Fall
von Oswald Rufeisen, einem deutsch-polnischen
Juden, der die Flucht aus dem
Ghetto in Polen organisierte, Dolmetscher
der Gestapo war, ein Partisan wurde, zum
Christentum konvertierte und in Israel bis
zu seinem Unfalltod als Mönch lebte. Ihr
neuestes Buch "Die Kehrseite des Himmels"
berichtet von ihrer persönlichen
Welt, ihrer Kindheit und Jugend in Moskau,
von Menschen und Büchern, die sie
liebt.

Ada Lichtmann - Überlebende der Shoa

1915 in Jaroslaw geboren war sie eine von nur 47
Überlebendenen des NS-Vernichtungslagers Sobibor
/ Polen. Im Lager war sie als Arbeitshäftling
in der Wäscherei beschäftigt oder musste Puppen
flicken, welche den in den Konzentrationslagern
ankommenden jüdischen Mädchen wegnommen
worden waren, damit die restaurierten Puppen an
deutsche Kinder weiterveräußert werden konnten.
Während ihres Aufenthaltes im Lager lernte sie ihren
späteren Mann Itzhak Lichtmann kennen, der
sich am Lageraufstand in Sobibor beteiligte. 1950
emigrierte das Paar nach Israel. Ada trat am 28.
April 1961 im Eichmann-Prozess in Jerusalem als
Zeugin auf. 1993 starb Ada Lichtmann in Israel.

Marceline Loridan-Ivens - Überlebende der Shoa

wurde 1928 als Tochter polnischer Juden geboren, die
1919 nach Frankreich eingewandert waren. Im Alter
von fünfzehn Jahren wird sie zusammen mit ihrem Vater
Solomon nach Auschwitz deportiert. Am selben Tag,
als sie von der Ermordung ihres Vaters erfuhr, hörte sie
auf zu wachsen. 2015 veröffentlichte sie ein Buch mit
imaginären Briefen an den Vater unter dem Titel: "Und
du bist nicht zurückgekommen". 1945 wurde Marceline
wegen des Anrückens der Roten Armee auf den Todesmarsch
getrieben. Im Ghetto Theresienstadt erlebte sie
im Alter von 17 Jahren ihre Befreiung. Als Überlebende
stieß sie im engsten Kreis der Angehörigen auf eine
Mauer des Schweigens, da niemand hören wollte, was
geschehen war. Marceline wurde bekannt als Autorin
und Regisseurin von Dokumentarfilmen über Vietnam,
den Algerienkrieg und die Kulturrevolution in China.
2018 starb Marceline in Paris. Bis ins Alter war die zierliche
Frau bekannt wegen ihres feuerroten Haares.

Nadja Murad - Eine mutige Jesidin

Friedensnobelpreisträgerin und UN-Sonderbotschafterin,
wurde 1993 in Kocho, einem jesidischen Dorf in Nordirak
geboren. Als Gefangene des Daesh (Isis) verliert sie ihre
Familie und erleidet Haft, Vergewaltigungen und Folter.
Nach geglückter Flucht aus den Händen ihrer Unterdrücker
kämpft sie vor der UN um Anerkennung des Völkermordes
an den Jesiden. Außerdem setzt sie sich ein für
die Befreiung von Frauen und Mädchen, die im Krieg
Opfer von Menschenhandel wurden. 2018 erhielt sie den
Friedensnobelpreis. Jesidische Kämpfer tragen ihr Foto
bei ihrem Kampf für Frieden und Unabhängigkeit.

Liu Xiaobo - Dichter und Menschenrechtskämpfer

Der chinesiche Schriftsteller und Friedensnobelpreisträger
wurde 1955 in Changchun
geboren und wuchs im Chaos der Kulturrevolution
während der letzten Phase von Mao
Zedongs Herrschaft auf. Die in dieser Zeit
erworbene Erfahrung des staatichen Hasses
auf Intellektuelle sollte sein eigenes Leben
prägen. Liu Xiaobo studierte chinesische Literatur
und unterrichtete als Dozent an der
Universität von Peking. 1989 beteiligte sich
Xiaobo am Aufstand auf dem Platz des Himmlischen
Friedens. Während der Unruhen verhinderte
er ein größeres Blutbad, indem er
den Abzug einer Gruppe von Demonstranten
vermittelte, bevor die Armee den Platz vor
dem Tiananmen stürmte. Xiaobo wurde nach
dem Tiananmen-Aufstand mehrfach festgenommen,
verbrachte fünf Jahre in Umerziehungslagern.
Seine Literatur wurde in der
Volksrepublik nicht mehr veröffentlicht. 2008
unterstützte er das im Internet veröffentlichte
Bürgerrechtsmanifest "Charta 08" zum internationalen
Tag der Menschenrechte. Daraufhin
wurde der Autor wegen "Anstiftung zur
Untergrabung der Staatsgewalt" zu elf Jahren
Haft verurteilt. 2010 zeichnete ihn das Nobelpreiskomitee
wegen seines gewaltlosenen
Kampfes für fundamentale Menschenrechte
in China aus. Der Preis wurde Xiaobo in Abwesenheit
vergeben, da er keine Reiseerlaubnis
erhalten hatte. 2017 starb der Schriftsteller,
der einige Tage vor seinem Tod aus dem
Gefängnis in ein chinesisches Krankenhaus
entlassen worden war. Ausreisegesuche von
Xiaobos Frau und internationaler Freunde für
die ärztliche Behandlungen seiner Krebserkrankung
in Amerika oder Deutschland waren
abgewiesen worden.

Xiaobo, dessen Photo mit einer Puppe auf
seinen Schultern veröffentlicht wurde, inspirierte
zur Bildanalogie des Heiligen Christopherus,
der Christus als Kind trägt. Eine
christliche Legende erzählt, dass der Heilige
Christopherus, der unwissentlich das göttliche
Kind durch ein Flußbett trug, als Christusträger
die Last der Welt auf seinen Schultern
spürte. Xiaobo schulterte ebenfalls ein
schweres Schicksal als Hoffnungszeichen für
seine Landsleute.