Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung
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»Ihr Weg war ein demütiger«

Die jüdische Nonne Luise Löwenfels

Die Frage stellte Martin W. Ramb

Sr. Christiane, Sie beschäftigen sich als Postulatorin des Seligsprechungsprozesses schon mehrere
Jahre mit dem Leben von Luise Löwenfels. Worin besteht eigentlich zurzeit Ihre Aufgabe als Postulatorin?

Seit der Seligsprechungsprozess am 14. Oktober 2015 eröffnet wurde, ist es die Aufgabe
der Postulatorin, im Grunde die ganze Organisation zu machen: Die einzelnen Leute anzusprechen,
dafür zu sorgen, dass die schriftlichen Arbeiten mit den einzelnen Schwerpunkten
zustande kommen. Für den historischen Teil ist Dr. Barbara Wieland zuständig, aber da
ich auch historisch interessiert bin, habe ich sehr viele historische Recherchen gemacht.

Gibt es von Luise Löwenfels keine eigenen Zeugnisse wie z.B. Briefe?

Es gibt von ihr ein Gedicht, das sie 1940 zu ihrer ersten Profess verfasst hat. Es ist in
Holländisch geschrieben, sie hat es einer Mitschwester gegeben. Und dann hat sie ein Gedicht
besessen, ein ganz kleines, handgeschriebenes, „Die Christnachtfrau“, und eine Seite
mit kurzen Gebeten, ursprünglich waren das kleine Gebetszettel. Es gibt dann noch einen
Brief, den Luise aus Anlass ihrer Einkleidung an Pfarrer Keuyk geschrieben hat.

Wie steht die Familie Löwenfels heute zu Luises Konversion und überhaupt zum Prozess der
Seligsprechung?

Zur Familie gibt es nur einen Kontakt über einen Neffen Herold. Er ist der Sohn eines
älteren Bruders Siegfried und erst 1945 in Amerika geboren. 2013 haben wir das erste Mal
miteinander telefoniert. 2018 habe ich ihn dann in New Jersey, wo er mit seiner Frau lebt,
besucht. Beide haben ältere Kinder. Es war ein sehr angeregtes und angenehmes Gespräch.
Später kam es dann noch zu einem Treffen mit Freunden des Ehepaars in einem Versammlungsraum
in deren Wohnsiedlung. Man wollte hier auch wissen, warum Luise ihre Religion
verlassen hat, das wollte im Übrigen auch damals am Telefon Herold wissen. Ich habe
versucht zu sagen, dass wir uns eine gemeinsame Bibel teilen, die wir Altes Testament und
die Juden Tora nennen. Und dass die Bibel von Menschen erzählt, die ihren Weg unter der
Führung Gottes geändert haben.

Das Thema Wunder darf nicht ausgespart werden, weil es bei Seligsprechungs- und Heiligsprechungsverfahren
ja immer eine Rolle spielt.

Aber hier nicht, weil es um die Frage des Martyriums geht. Luise ist ja gefangen genommen
worden, ohne die Chance zu entkommen. Sie wurde ermordet, weil sie Jüdin war.
Dass sie Katholikin geworden ist, hat für die Nazis keine Rolle gespielt. Unter den führenden
Nazis gab es ja auch eine ganze Reihe, die katholisch waren: Hitler, Himmler, Goebbels.
Möglicherweise empfanden sie es als beleidigend, wenn eine Jüdin katholisch geworden
war und ihre Konfession angenommen hatte, auch wenn sie selbst ihre Konfession nicht
mehr praktizierten.

Zu der Ordensfrau und Philosophin Edith Stein gibt es ja Überschneidungen und Parallelitäten.
Kann man annehmen, dass Edith Stein und Luise Löwenfels im Transport nach Auschwitz aufeinandergetroffen
sind?

Ganz genau, und das ist im Hinblick auf die Frage des Martyriums, sehr wichtig. Beide
sind im Zuge der Verhaftung zum Katholizismus konvertierter Juden in den Niederlanden
am 2. August 1942 verhaftet und noch am selben Abend in Lastwagen in das Arbeitslager
Amersfoort transportiert worden. Von dort aus wurden sie zwei Tage später, also am
4. August, mit dem Zug in das Lager Westerbork weitertransportiert. Hier waren Luise, Edith
und Rosa Stein und die anderen Ordensfrauen zusammen untergebracht. Am Morgen des 7.
August wurden 987 Personen, unter ihnen die Ordensleute jüdischer Herkunft, in Viehwaggons
nach Auschwitz gebracht, wo sie am 9. August ankamen. 523 Gefangene – darunter
auch Luise, Edith Stein und die anderen Ordensleute – wurden in die „Weiße Baracke“ zur
Vergasung geführt ...

Wie würden Sie Widerstand und Demut mit Blick auf den Lebensweg Luises beschreiben?

Luise war die jüngste in einer gläubigen jüdischen Familie, mit älteren Brüdern, die
überzeugte Juden waren. Sie haben Luises Interesse am Katholischen nicht nachvollziehen
können. Es gibt auch Hinweise, dass die Geschwister sie bestraft haben, wenn sie erfahren
haben, dass sie wieder in der Kirche war. Luise war ein zurückhaltendes, eher unsicheres
Mädchen. Sie war keine schlechte Schülerin, hatte gute Zeugnisse, musste aber auch arbeiten
– geschenkt wurde ihr nichts. Es gibt einen kurzen Bericht von einer Sonnenwendfeier
im Juni 1933, an der Luise mit ihrer Klasse teilgenommen hatte. Zu Beginn der Veranstaltung
wurden die Jüdinnen und Juden aufgefordert, per Lautsprecher aufgefordert, den
Platz zu verlassen. Da muss sie wohl gesagt haben: „Dann muss ich weg.“ Und dann haben
die anderen gesagt: „Halt jetzt, Ruhe, bleib hier, dann fällt das nicht auf“, worauf Luise gesagt
haben soll: „Ich will aber katholisch werden, ich will katholisch werden.“ Ich denke,
ihr Weg war ein demütiger Weg, sie hatte erfahren, dass sie als Jüdin nicht akzeptiert war.
Sie hat aber ihre Herkunft nicht verachtet. Widerstand hat sie innerhalb ihrer Familie auf
eine stille, nicht aggressive Art gelebt, indem sie alle Möglichkeiten gesucht und genutzt
hat, etwas über den katholischen Glauben zu erfahren. Aber das ist kein Widerstand, den
wir mit Neinsagen und Aufstand verbinden. Es gibt zwei Hinweise ohne Belege, dass einer
der Brüder geschrieben haben soll, sie sollte doch mit den Geschwistern ausreisen. Aber sie
hat es nicht getan. Mitschwestern haben berichtet, dass sie immer wieder für ihre Familie
und ihr Volk gebetet hat.

Also Widerstand eher dann im Sinne von Konsequenz?

Ja, Konsequenz, das ist sogar ein guter Ausdruck, aussagekräftiger als Widerstand.