Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung
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Philosophieren mit Kindern

»Gibt es Gott wirklich?« oder »Wie ist unsere Erde entstanden?« – auch Kinder stellen sich philosophischen Fragen. Erwachsene nehmen dieses Fragen ernst, indem sie Kinder zum kreativen Denken ermutigen

Wenn ich richtig informiert bin, waren Sie und
Jutta Kähler die Ersten, die in der Schule das
Fach Philosophieren mit Kindern in einem Pilotprojekt
erprobt haben?

Ja, das ist richtig. Das Fach Philosophie war
damals bereits in der Oberstufe des Gymnasiums
eingerichtet und wir wollten herausfinden,
ob etwas, was den Namen Philosophie
verdient, auch in den Eingangsklassen
des Gymnasiums schon möglich wäre. Dieser
Versuch fand in Schleswig-Holstein statt
und er führte bereits Mitte der 80er-Jahre
dazu, dass das Philosophieren mit Kindern
in Schleswig-Holstein schon in Klasse 5 eingeführt
wurde. Viele andere Bundesländer
folgten. Nach mehr als 35 Jahren stellen
wir amüsiert fest, dass das Fach in regelmäßigen
Abständen immer neu erfunden wird.

Wie hat denn die Philosophenzunft auf diese
»Kinderphilosophie« reagiert? Klingt das nicht
in der Tat ein wenig nach Hochstapelei?

Kinderphilosophie, so wie man eine Naturphilosophie,
eine Geschichtsphilosophie
oder eine andere Philosophie im Genitiv
kennt, existiert nicht. Daher sprechen wir
nicht von »Kinderphilosophie«. Es gibt keine
eigene Philosophie der Kinder oder für
Kinder. Was man aber beobachten kann, ist,
dass schon jüngere Kinder philosophische
Fragen stellen. Sie fragen den Erwachsenen
die bekannten »Löcher in den Bauch«. Sie
wollen wissen, was die Welt im Innersten
zusammenhält, was gut und böse ist, ob es
die Welt schon immer gegeben hat und ob
es vorher schon etwas gab. Wenn Kinder den
Tod naher Angehöriger erleben müssen, stellen
sich manche Fragen nahezu automatisch.

Sind das schon die sogenannten »großen Fragen
« Immanuel Kants?

Kants Fragen sind berühmt. Sie lauten:
»Was kann ich wissen? Was soll ich tun?
Was darf ich hoffen? Was ist der Mensch?«
Um die Antworten bemühen sich klassische
fachphilosophische Disziplinen: Erkenntnistheorie,
Ethik, Metaphysik und Anthropologie.
Uns war immer klar, dass man mit Kindern nicht in diese elaborierte Begrifflichkeit der Fachwissenschaft
einsteigen kann. Die genannten Beispiele zeigen aber,
wie sehr bestimmte Kinderfragen in der Wurzel mit den großen
Fragen der Philosophie zusammenhängen. Zunächst kam es
uns vor allem darauf an, dass diese den Kindern immer schon
eigene Fragehaltung nicht verloren geht. Uns hat interessiert,
wie weit diese kindlichen Denkkeime systematisch gefördert
werden können. Ein Gesichtspunkt kommt hinzu, denn mit
zunehmendem Alter macht sich sehr oft ein problematischer
funktionalistischer Pragmatismus bereit. Es werden nur noch
Fragen zugelassen, bei denen sicher ist, dass es auch bündige
Antworten gibt, welche die Fragen beseitigen. Die philosophischen Fragen zeichnen sich
aber durch eine eigene Latenz aus. Sie verschwinden nie, auch dann nicht, wenn man sie
nicht stellt. Wenngleich der Begriff »Kompetenzen« damals noch keine Hochkonjunktur hatte,
war es uns genau darum zu tun. Auf den Mut zum Selbstdenken kam es uns an.

»Auf den Mut
zum Selbstdenken
kommt
es uns an«

Susanne Nordhofen

Was ist nötig, um ein Schulfach mit solchen Zielen zu etablieren?

Inzwischen hat es sich herumgesprochen, dass Kompetenzen nicht ohne Inhalte zu erwerben
sind. Auf die Inhalte kommt es an, erst recht bei einem solchen Fach. So haben wir
ein Curriculum skizziert, das sich an den großen Fragen orientiert und allgemeindidaktische
Prinzipien berücksichtigt. Also: Was mache ich mit wem, zu welchem Ziel und auf
welchem Wege?

Und wie verhindern Sie, dass das Verfahren nicht in unkontrolliertes Spekulieren ausartet und daraus
ein Laberfach wird?

Dafür liegt die Verantwortung bei der Lehrkraft. Ein gutes Curriculum lässt sie dabei
nicht allein. Immer ist aber methodische Kreativität verlangt. Diskursive Textarbeit kann
Kindern in diesem Alter nur eingeschränkt zugemutet werden. Daher lag unser Augenmerk
auf Bildern, Geschichten, Scharaden, Rollenspielen, Rätseln etc. Entscheidend dabei ist,
dass diese nicht diskursiven Zugänge an das philosophische Problem anschlussfähig bleiben,
das es zu bearbeiten gilt.

Erfordert das nicht einen enormen Aufwand für die Beschaffung geeigneter Materialien?

Das vermuten Sie ganz zu Recht. Als Lehrerinnen, die sich vorgenommen haben, mit Kindern
zu philosophieren, brauchen wir einen besonderen Spürsinn. Man entwickelt einen
aufmerksamen Alltagsblick. Was kann nicht alles Anlass zum Staunen und Wundern geben?
Vor Situationen, Dingen und Erlebnissen einen Schritt zurückzutreten und sie mit einem
zweiten Blick zu bedenken, kann man Reflexion nennen. Das ist eine Denkbewegung, die
man tatsächlich schon mit Kindern einüben kann. Im Laufe der Unterrichtspraxis sammelt
sich dann einiges an erprobten Materialien und Medien an.

Gehört Ihre Reclam-Sammlung »Geschichten zum Philosophieren« in diesen Kontext?

Ja. Jutta Kähler und ich sind Germanistinnen, da lag es nahe, in der Literatur allgemein –
nicht nur in Kinder- und Jugendbüchern – fündig zu werden.

Aus der Sicht des Eulenfischs, unserem Wappentier, das für die unauflösliche Verbindung von fides
et ratio, von Glaube und Vernunft steht, muss jetzt die Frage kommen, ob nicht das Philosophieren
mit Kindern ein integraler Bestandteil des Religionsunterrichts sein sollte.

Grundsätzlich gilt: Philosophische Fragen durchziehen alle Fächer. Ein Mathematiklehrer
muss erklären können, was eine Null, was eine Zahl und was ein Axiom ist und im Biologieunterricht gibt es ethische Fragen zuhauf. Aber Sie
haben recht. Kein Theologe, kein Religionslehrer kann
sich um die Fragen nach Zeit und Ewigkeit herumdrücken.
Er muss seine Sicht auf die Schöpfung oder die
Frage nach der göttlichen Gerechtigkeit, die schon der
biblische Hiob gestellt hatte, kompetent einbringen.
Die Latenz der niemals abschließend zu beantwortenden
philosophischen Fragen ist mit den Fragen,
die Kinder und besonders Jugendliche immer wieder
stellen, verwandt. Diese Verwandtschaft zeigt, dass
Theologie und Religion nicht in die irrationalen Dunkelzonen
des menschlichen Bewusstseins gehören. Sie
sorgt für die Beweglichkeit des Geistes und öffnet ihn
auch für das Licht des Glaubens.