Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Andreas Böss-Ostendorf: Wie Seelsorge wirken kann. Impulse für die Praxis

Begriffe wie „Wirkung“ und „Wirksamkeit“ gewinnen, gerade im kirchlichen Umfeld, immer mehr an Bedeutung. Während die Erfolge anderer Sparten, etwa der Finanz- und Wirtschaftsbranche, aufgrund von Produktions- und Absatzzahlen oder Bilanzkennziffern eindeutig vergleich- und messbar sind, ist dies in Pastoral und Seelsorge nach wie vor ein Thema, dem mit Unsicherheit und daraus folgender geringer Beachtung begegnet wird. Mit abnehmenden personellen sowie finanziellen Ressourcen stellt sich jedoch die Frage, in welche Felder Investitionen fließen sollen, so dass das Thema der Wirkung zunehmend Aufmerksamkeit gewinnt. Die Spannung, dass Seelsorge gerade ergebnisoffen, ohne vorgegebenes Ziel (was nicht ziellos heißt) und möglichst in einer Dimension des Umsonst verlaufen sollte, kann dabei nicht aufgelöst werden. In genau dieses Spannungsfeld steigt der Autor und Krankenhausseelsorger Andreas Böss-Ostendorf ein.

Mit seinem Buch „Wie Seelsorge wirken kann. Impulse für die Praxis“ greift er das Thema der Wirksamkeit auf. Er stellt nicht die Frage nach dem Nutzen oder die Frage ob, sondern wie Seelsorge wirken kann. Sein Ansatz ist kein wirtschaftlich monetärer, wie etwa die Frage, mit welchem Personalschlüssel die Seelsorge in Krankenhäusern ausgestattet sein soll, sondern im Vordergrund steht eine Reflexion seiner Arbeit unter der leitenden Grundfrage: „Was machst Du als Seelsorger?“ Für den Autor sind sowohl die Sprachfähigkeit gegenüber der Außenwelt als auch ein Innehalten und die Vergewisserung seines Tuns maßgeblich, um daraus wiederum zu lernen: Dieses Buch ist wirksam, wenn es Sie motiviert, in Ihren seelsorglichen Gesprächen nach Wirkungen zu suchen. […] Sind die Wirkweisen bekannt, können sie wertvolle Impulse für die Praxis sein.“ (10f.)

Ausgangspunkt für die Leserin sind bereits etablierte Ergebnisse der Psychotherapieforschung. Böss-Ostendorf führt diese in einer sehr ansprechenden und lebendigen Art ein, bevor er die Sammlung von zehn Wirkweisen aus seiner persönlichen Praxis eröffnet. Exemplarisch seien drei Wirkweisen genannt:

Seelsorge wirkt ohne Ziele und Erwartungen: Anhand seiner Erfahrungen aus der Praxis macht Böss-Ostendorf das Spannungsfeld auf, dass Seelsorge gerade nicht einfach „ordnend“ eingreift und für die Patientin alles wieder passend macht, sondern sich durch Ziel- und Zwecklosigkeit einer Unverfügbarkeit aussetzt und die Begebenheiten vielmehr mit einer „gleichschwebenden Aufmerksamkeit“ begleitet.

Seelsorge wirkt mit Respekt: Dieses Kapitel hat eine etymologische Herleitung. Ausgehend von dem Begriff Perspektive sowie der Darstellung unterschiedlicher Erzählperspektiven zeigt der Autor die Nähe zum Terminus Respekt auf. Seelsorge ist eine Situation, in der sich Menschen wertvoll fühlen, weil durch die Rückschau der Respekt vor dem Leben wächst.“ (114)

Seelsorge wirkt durch Symbole und Rituale: Dieses recht kurze Kapitel reflektiert den Einsatz von Ritualen und deren Beitrag zu Transformation und Perspektivwechsel.

Man hat den Eindruck, Andreas Böss-Ostendorf in seinem Alltag als Seelsorger ein Stück begleiten zu können, ihm zu lauschen und in einen reflektierenden Prozess hineingenommen zu sein. Der durchgehende Fließtext, sparsame Fußnoten sowie die Vermeidung von Fachbegriffen zeigen, dass er kein umfassend wissenschaftliches Werk beabsichtigt. Wichtige Schlagworte der Seelsorge klingen an und werden gut verständlich in gebotener Kürze am Ende eines jeden Kapitels erläutert. Der Autor schafft eine solide thematische Basis. Die Problematisierung oder das Aufzeigen von begrifflichen Ambiguitäten sind nicht Gegenstand der Reflexion, was gerade im Hinblick auf das zunehmende Bewusstsein von Missbrauch geistlicher Macht wünschenswert wäre.

Der Autor möchte keine Vorgaben machen, sondern in erster Linie dazu motivieren, auf die Suche zu gehen, wie die Wirksamkeit des eigenen pastoralen Handelns beschrieben werden kann, und diese bewusst zu entdecken. Dazu schlägt er zehn Wirkweisen der Seelsorge aus dem reichen Erfahrungsschatz seiner langjährigen Arbeit vor und reflektiert dabei sein bisheriges seelsorgliches Handeln. Die Fähigkeit, komplexe und existentielle Themen unkompliziert darzustellen, verbunden mit einer wohltuenden Leichtigkeit der Erzählung, zeugen von authentischer Praxiserfahrung. Nahezu alle Themen werden durch Beispiele verdeutlicht, die weder theoretisch noch banal sind, sondern der gelebten Praxis entstammen.

Das Buch zeigt einen Autor, dem es in erster Linie darauf ankommt, mit den Lesenden in Dialog zu treten, sie zu motivieren und in der Wahrnehmung dessen, was ihnen im Tun entgegenkommt, zu sensibilisieren. All jene, die auf eine eindeutige Klärung des Begriffs „Wirkung“ hoffen, werden auf die Vielfalt der Wirkweisen und deren individuelles Erspüren verwiesen.

Die Lektüre der 164 Seiten ist für alle Interessierten geeignet. Dabei muss man nicht zwingend Erfahrung im seelsorglich-pastoralen Dienst haben. Das Buch endet unvermittelt nach Darstellung der zehnten Wirkweise. Ein Fazit oder ein abschließendes Aufgreifen der Ausgangsfrage bleiben aus. Aber vielleicht ist es gerade die offene Einladung, das Buch mit der persönlichen Frage: „Und DU, was machst Du als Seelsorgerin?“ fortzuführen.

Opladen / Berlin / Toronto: Verlag Barbara Budrich. 2023
164 Seiten
22,00 €
ISBN 978-3-8474-2723-0

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