Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Andreas Malessa: Und das soll man glauben? Warum ich der Bibel trotzdem vertraue

Der Untertitel des essayistischen Werks weist daraufhin, was Lesende in diesem Buch erwartet: einerseits eine grundständig-recherchierte, kritisch-ordnende Auseinandersetzung mit gesellschaftswirksamem, zum Teil gefährlichem, zumindest dem Gegenstand nicht angemessenem (Halb-)Wissen zur Bibel ‒ andererseits auch die persönliche Glaubensperspektive eines freikirchlichen Journalisten mit abgeschlossenem Theologiestudium, der seine(n) Beruf(ung) selbst so beschreibt: „‚Am Anfang war das Wort, wurde Mensch und wohnte unter uns‘ (Joh. 1). Ich will in Rede und Schreibe (…) kommunizieren, was das praktisch bedeutet.“ Während es wissenschaftlicher Theologie oft nicht gelingt, Inhalte aus ihrem Elfenbeinturm an die (Außen-)Welt zu vermitteln, kann dem Autor das Kompliment gemacht werden, mit wenigen umgangssprachlichen und humorvollen Zeilen komplexe Zusammenhänge gelungen vereinfachend darzustellen: z. B. wenn er in der Zurückweisung kreationistischer Lesarten (Kap. 6) auf die Unterscheidung verschiedener Textgattungen pocht und rhetorisch fragt, „welcher NASA-Ingenieur (…) auf die Schnapsidee [käme, im Lied ‚Der Mond ist aufgegangen‘] nützliche Informationen für die Raumfahrt zu suchen“ (71).

Diese argumentative Widerlegung biblizistischer Fundamentalismen ist eine der Hauptaufgaben des Buches: In Kap. 5 werden existenzielle Konsequenzen wortwörtlichen Befolgens biblischer Aussagen am Beispiel kirchlichen Umgangs mit homosexuellen Menschen nachgezeichnet und es wird dafür plädiert, zwischen zeitlos-gültigen und historisch-kontextuellen Aussagen der Bibel zu unterscheiden. Gleiches gilt für das 10. Kapitel, in dem die üblichen patriarchalen Bibelstellen zur Unterdrückung von Frauen kritisch eingeordnet und mit biblischen Frauen und ihrem Wirken kontrastiert werden. Gegen Vereinnahmungen gewalttätiger Gottesbilder des Alten Testaments wird in Kap. 9 eher oberflächlich auf metapherntheoretische und historische Bedingungen bildlicher Rede von Gott verwiesen. Statt mehr Einsichten alttestamentlicher Exegese einzubeziehen, etwa der Nutzung kriegerischer Gottesbilder zur Kompensation von Kriegstraumata oder zur Legitimation eigener Herrschaftsansprüche, erklärt der Autor die „gruselige[n] Eigenschaften über Gott“ damit, dass „Gott sein Wort sündigen, irrenden Menschen anvertraut hat.“

Dass sich Gotteswort in Menschenwort offenbart und deshalb bleibend defizitär ist, ist theologisch richtig. Es wird aber einer sich den Herausforderungen der Postmoderne stellenden Theologie nur bedingt gerecht, für die Bearbeitung problematischer Gottesbilder ausschließlich kontrastierend bzw. „erfüllend“ auf christologische Lesarten zu verweisen: „Die Heilige Schrift (…) versteht richtig, wer sie auf Christus hin interpretiert.“ (150). Bildungstheoretische Begründungen der Beschäftigung mit biblischen Texten (Allgemeinbildung und Sprachfähigkeit) werden in Kap. 3 aus der Bibeldidaktik übernommen. Einleitungswissenschaftliche Fragen zu den Quellen bzw. den Autoren des NT (Kap. 4), zu (scheinbar) widersprüchlichen (Parallel-)Überlieferungen (Kap. 7), zu Übersetzungsfragen (Kap. 8) und zur Kanonisierung biblischer Texte (Kap. 11) werden ‒ dem Format und den intendierten Adressierten des Buches geschuldet ‒ eher pauschal skizziert. Wer in diesem Buch also eine aktuelle und ausführliche Exegese problematischer Bibeltexte sucht, kann nicht fündig werden. Wer Grundlinien problematischer Aktualisierungen biblischer Inhalte sehen und verstehen will, findet hier einen Pool an Belegen und Zusammenhängen, die nicht nur der christlichen Kirchengeschichte bis weit vor Luther entnommen sind, sondern Linien in die politische und gesellschaftliche Gegenwart ziehen.

Die Wertschätzung historisch-kritischer Exegese wird mit einem Rückblick auf ihre Wissenschaftsgeschichte (Kap.13) einsichtig, jedoch gläubig rückgebunden: „Das ‚historisch-kritische‘ Bibellesen im betenden Dialog mit dem Auferstandenen hilft mir, knifflige Gewissensentscheidungen (…) zu treffen.“ (141). Das auf allen Seiten mitschwingende Bekenntnis macht der Autor bereits im Vorwort, aber auch in den ersten beiden Kapiteln transparent, wo er für Respekt vor gläubigen Lesarten und einen Vertrauens-Vorschuss auf „Wahrheiten“ der Bibel wirbt, die „nicht nur Summe ihrer literarischen Einzelteile“ (25) sei, sondern zu existenziellem Lesen herausfordere (vgl. Kap. 12 und 14-15). Hier ist in bibelwissenschaftlicher und -didaktischer Perspektive Zurückhaltung geboten: Ob der Autor gläubig die Bibel liest, kann dem am Sachgegenstand Bibel interessierten Lesenden bedeutsam oder egal sein. Eine positive Antwort auf die generalisierende Frage des Titels „Und das soll man glauben?“ ist nicht Ziel der Exegese; es beachtet nicht das Überwältigungsverbot gegenüber Sich-biblisch-Bildender. In diesem Sinne will es ja auch der Autor verstanden wissen: Dieses Buch wolle „Fakten statt Vereinnahmung“ (11). Es schließt mit einem Zitat und einem Anmerkungsverzeichnis zu verwendeten Bibelstellen und Quellen.

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus. 2024
192 Seiten
20,00 €
ISBN 978-3-579-07198-5

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