Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Ansgar Beckermann: Naturalismus

Ansgar Beckermann ist bekannt für seine naturalistisch-materialistischen Bücher. Nun also erneut ein solches Buch, das sich zum Zweck dieser Weltanschauung auf die Naturwissenschaft beruft. Doch diese Berufung beruht auf gravierenden Missverständnissen. Der Verfasser geht davon aus, dass Naturwissenschaft Ganzheiten bottom-up aus den Teilen erklärt. Wenn ich die Eigenschaften der Teile kenne und die in ihnen wirkenden Gesetze, dann kann ich die Eigenschaften des Ganzen ableiten, so dass es also nichts Höheres, Eigenständiges gibt, das top-down wirken würde.

Diese Vorstellung wird weder von der Physik noch von der Biologie bestätigt. Wenn wir z.B. die Eigenschaften des Lichtes aus den Maxwellgleichungen ableiten, dann ist nirgends von „Teilen“ die Rede. Das ist ganz allgemein der Fall bei Systemen, die durch Differentialgleichungen beschrieben werden. Insbesondere in der Quantentheorie kommen keine separierbaren Teile vor. Dasselbe ist in der Biologie der Fall. Herz, Lunge und Leber sind keine Teile des Leibes, so wie Vergaser, Scheibenbremsen oder Airbags Teile des Autos sind, die man deshalb bei Fehlfunktionen leicht ersetzen kann. Denn Herz, Lunge oder Leber sind so stark mit dem Ganzen vernetzt, dass bei Organtransplantationen die schlimmsten Nebenwirkungen entstehen, die man nur mit sehr nebenwirkungsreichen Medikamenten unter Kontrolle halten kann. Auch die Bottom-up-Erklärbarkeit stößt in der Biologie an deutliche Grenzen. Die Pheromone, also Botenstoffe, haben je nach organismischer „Umwelt“ eine ganz andere Funktion. Man kann also diese Funktion nicht bottom-up, sondern nur top-down erklären. Biologie superveniert nicht auf der Chemie, wird also durch sie nicht festgelegt.

Beckermann verwechselt also durchweg technische mit naturwissenschaftlich beschreibbaren Systemen und selbst dort ist sein Konzept zu eng. Die Wirkungsweise einer simplen mechanischen Uhr scheint sich zwar aus den Teilen und ihren Gesetzmäßigkeiten zu ergeben, aber nicht vollständig. Z.B. erklärt sich so die Bedeutung der Zeiger nicht. Dass sich der große Zeiger zwölf Mal schneller dreht als der kleine, folgt nicht aus den physikalischen Gesetzen, sondern beruht auf kontingenten Setzungen der Rand- und Anfangsbedingungen, die der Ingenieur den Zwecken einer Uhr entnimmt. Technische Geräte sind realteleologische Gebilde, die sich ebenfalls vollständig nur top-down erklären lassen.

Wenn das simple Teil-Ganzes-Verhältnis der Erklärung schon hier scheitern muss, dann erst recht beim Verhältnis des Geistes zum Leib, geschweige denn beim Verhältnis Gottes zur Welt. Das technisch-zweckrationale Denken versagt vollständig bei seiner Anwendung auf den Glauben. Diesen stellt sich Beckermann vor wie ein Mittel zum Zweck. Er weist darauf hin, dass Spontanheilungen in religiösen Zusammenhängen sich nicht signifikant häufiger ereignen als sonst auch. Aber wer hat denn so etwas behauptet? Der Glaube ist keine Lebensversicherung, und wenn er das wäre, würden dann nicht alle Menschen aus reinem Opportunismus gläubig sein, so dass die Freiheit des Glaubens zerstört würde und das Gute nicht mehr um des Guten willen zur Geltung getan würde?

Warum schreibt Beckermann Buch um Buch, um sich seines Atheismus zu versichern? Glaubt er vielleicht nicht wirklich daran und muss sich seines Unglaubens rituell versichern wie ein Christ, der immer wieder zur Kirche geht? Aber dann ist dieser „Naturalismus“ keine Wissenschaft, sondern ein Glaube wie jeder andere auch – und ob er besser ist, müsste man noch sehen.

Entwurf eines naturwissenschaftlich fundierten Welt- und Menschenbilds

In Zusammenarbeit mit Peter Schulte
Paderborn: Brill – mentis Verlag. 2021
156 Seiten m. Abb.
34,90 €
ISBN 978-3-95742-244-5

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