Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Antonia Gottwald / Holger Zaborowski (Hrsg.): Hans Kock. Skulptur und Raum

„Wer Kunst sagt, spricht vom Menschen“ (78); „das BILD … ist Verwandlung der Materie zum Geist“ (212). Zwei prägnante Aussagen, keines Kunsttheoretikers, sondern eines bildenden Künstlers, nämlich von Hans Kock, der in erster Linie als Bildhauer, aber auch als Zeichner und Maler tätig war. Er wurde 1920 in Kiel geboren, wirkte viele Jahre in Hamburg und starb 2007 in Kiel-Schilksee; im Norden ist er durch seine Skulpturen im öffentlichen Raum bekannt. Nun machen die beiden Herausgeber – Antonia Gottwald, von 2001-2007 engste Mitarbeiterin des Künstlers, und Holger Zaborowski, seit 2020 Professor für Philosophie in Erfurt – das Werk des Künstlers einer breiteren Öffentlichkeit bekannt: Der 2017 unter dem Titel „Licht – Mitte – Raum“ erschienene Band galt seinen Arbeiten im Greifswalder Dom (1982-1989), der 2020 veröffentliche Band „Bild des Glaubens“ widmete sich der umfassenden Neugestaltung der Feldsteinkirche St. Cyriakus in Kellinghusen (1974/75 und 1993). Beide Publikationen belegen Kocks Fähigkeit, historische Kirchen liturgisch stimmig zu ergänzen und zu modernisieren. Das vorliegende, ebenfalls reich illustrierte Buch präsentiert Kocks zwischen 1972 und 2007 entstandenes schriftliches Werk: Gespräche, Essays sowie Vorträge zu eigenen Arbeiten und denen geschätzter Künstlerkolleginnen und -kollegen. In den Texten spiegeln sich die zeitgenössischen Kunstdiskurse wider, in denen der Künstler engagiert, gelegentlich auch polemisch Stellung bezog.

Den Raum versteht Kock als ein Umgreifendes, in dem auf der einen Seite die „Natur als Schöpfung“ und auf der anderen Seite der Mensch als geistiges Wesen in einem Spannungsverhältnis stehen. Der Mensch nutzt das ihm in der Schöpfung gegebene Material, um durch das ihm eigene Bildvermögen beispielsweise Gebäude oder Bildwerke als Objektivationen menschlichen Geistes hervorzubringen. Freilich sind nicht alle Bilder auch BILDER, denn es gibt Machwerke, die uns verarmen lassen, und solche, die unser Leben bereichern. Auf diesem gedanklichen Hintergrund lobt Kock die Architektur von Jugendstil oder Bauhaus und kritisiert die der Nachkriegszeit: Deren „Lob des Kubus“, das mit einer Abschaffung des Bildhaften – nämlich von Rundung und ornamentalem Profi – einhergeht, hat vielerorts zu städtebaulicher „Verödung“ geführt. Selbstverständlich, so der Bildhauer, gibt es keine Architektur ohne „Gebrauchscharakter“, ihr „höchster Gebrauchswert aber sei die Lebensfreude, darin zu hausen“ (64).

Intensiv hat sich Kock mit Martin Heidegger befasst – nicht nur mit dessen Philosophie, wie die beiden (an einigen Stellen kryptisch formulierten) Essays (113-125; 164-174) belegen. Nach mehreren Sitzungen mit dem Philosophen hat er einen beeindruckend realitätsnahen, ca. 26 cm hohen Porträtkopf in Bronze (1961) geschaffen. – Kocks Arbeiten für den öffentlichen Raum hingegen sind von monumentalem Format und provozierten, wie das Beispiel „Meteor“ (1957) belegt, Diskussionen: Er hatte von diesem überaus erfolgreichen Springpferd ein ganz in sich ruhendes Standbild gefertigt! – Eine Besonderheit des Bildhauers Kock besteht darin, dass er nicht nacheinander, sondern gleichzeitig figürliche wie abstrakte Skulpturen schuf. Der vermeintliche Gegensatz von figürlich und abstrakt, war Kock überzeugt, führe in die Irre, denn „jede Kunst ist abstrakt, wenn sie Kunst ist“ (219), weil sie stets vom konkreten Gegenüber abstrahiert und diesen in eine künstlerische Form zu bringen versucht. Das von Kock intendierte Zusammenspiel von Natur und Skulptur wird im Skulpturenpark auf dem Gut Seekamp in Kiel-Schilksee erlebbar.

Verstreut über verschiedene Beiträge lassen sich Ansätze für eine Theorie bildender Kunst identifizieren. Einen ersten Hinweis geben die zeitgenössischen Vorstellungen, von denen sich Kock unmissverständlich abgrenzt: Er widerspricht einem erweiterten Kunstbegriff sowie der Auffassung, dass das, was Kunst ist, lediglich eine Sache von Vereinbarung sei; zudem kritisiert er den Innovationszwang, der „Kunst“ immer schneller veralten lasse. Außerdem verstellen antagonistische Attribute wie „alt versus modern“ oder „gegenständlich versus abstrakt“ den Blick auf die Kunstwerke. Kock hingegen plädiert für eine „Kunst ohne Attribut“ (78) – und hat dabei einen inhaltlich gefüllten, substanziellen Begriff von Kunst im Sinn. Drei Fragen geben weiteren Aufschluss.

Wie entstehen – gezeichnete, gemalte oder skulpturale – Bildwerke? Kunst setzt das von Kock hochgeschätzte Handwerk voraus, ist indes mehr als ein „Können des Gekonnten“ (80). Angetrieben vom menschlichen Bildvermögen entsteht in ständiger geistiger Auseinandersetzung mit dem bearbeiteten Material – und noch „vor allem Begreifen“ (151) – ein Werk, das im gelungenen Fall als BILD (= Kunstwerk) gelten kann. So kommt etwa in der Steinskulptur der „Stein zu sich selber“ (152). – Anders formuliert: Ein BILD verdankt sich nicht dem ästhetischen Kalkül des Künstlers, sondern geht aus dem offenen Prozess des Bildwerdens hervor: Das Bild „ergibt sich ursprünglich“ (80). Dann gehört es nicht länger dem Hervorbringer – und die oft gestellte Frage, was es denn bedeuten soll, führt nicht weiter.

Was macht ein Bild zu einem Kunstwerk? Nicht jedes Bild ist schon ein BILD – und das, was ein Bild zum BILD macht, ist seine ihm eigene lebendige Form. Diese beschreibt Kock vorsichtig mit Formulierungen wie „Stimmigkeit“ (80), „Verdichtung“ (188) oder „Zusammenhangsdichte des Ganzen“ (82). – Als „Ereignis des Offenen“ (81) gibt das Kunstwerk „noch nie Dagewesenes“ (101) zu erkennen. Es lässt den Betrachter Schönheit erleben und vermittelt „Wohlgefallen“ (74). „Nie hat ein Kunstwerk die Welt verändert, sondern ist eine Welterfahrung aus sich“ (210), die jedoch „das wahrhaft Heile“ (80) und „Versöhnungskraft“ (100, 199) zu vermitteln vermag.

Wie lassen sich Bilder als Kunstwerke erkennen? Weil jedes BILD aus sich selbst verstanden werden will, hilft kein nüchternes Abchecken weiter. Als „das Leben der Formen“ erscheint ein BILD dem Betrachter zunächst „als etwas Fremdes“, das nur durch sorgsames und vorsichtiges Abtasten mit den Augen zu etwas „Vertrautem“ (138) wird. BILDER sind nur mit den „Augen der Liebe“ (101) zu verstehen, was viel Übung erfordert. – Kock vertritt zudem die Idee eines imaginären Museums: Denn die neu hinzukommenden BILDER ergänzen, „was immer schon Kunst war“ (109), so dass jüngere und ältere BILDER sich wechselseitig bereichern.

Mit Blick auf die aktuellen Kunstdiskurse, die Macht von Kuratoren und einen überhitzen Kunstmarkt wirken Kocks Gedanken geradezu aus der Welt gefallen, können aber die Diskussion um das, was Kunst eigentlich ist, allemal bereichern. Und außerdem: Sie haben sich bewährt, bilden sie doch den gedanklichen Hintergrund eines reichen und vielfältigen bildnerischen Werks. Das zu entdecken lädt der schöne Band ein.

Gespräche, Vorträge und Essays zu Kunst und Architektur 1972-2007
Regensburg: Verlag Schnell & Steiner. 2023
220 S. m. farb. Abb.
35,00 €
ISBN 978-3-7954-3710-7

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