Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Barbara Janz-Spaeth / Hildegard König / Claudia Sticher: Zeigt Euch!

Das Gesicht der Frau auf dem Cover ist profillos, eines aber fehlt ihr nicht: Ein Mund, der es ihr ermöglicht zu sprechen, zu erzählen, (an-) zu klagen, zu loben und zu singen. Eben das wird den biblischen Frauen in diesem vielseitigen Porträtband durch die Autorinnen ermöglicht: Ihnen wird eine Stimme gegeben, die ihnen die (zumindest überwiegend) männlichen Autoren der biblischen Texte nicht gewährt haben, indem sie sie zu namenlosen Statistinnen degradierten. Dass weibliche Perspektiven auf Gott und Welt damit zu kurz kommen, ist nicht nur für die Menschen biblischer Zeiten problematisch. Was solche Verdeckungen bewirken, kann in der für Frauen prekären Wirkungs- und Auslegungsgeschichte an unzähligen Beispielen nachvollzogen und gegenwärtig immer noch erfahren werden. Dabei sind diese Texte so viel mehr als bloß historische Zeugnisse einer patriarchalen und damit androzentrischen Welt. Die biblischen Erzählungen, Gesetzeswerke, Prophetien, Evangelien und Briefe sind in Perspektive des Glaubens Gotteswort in Menschenwort und erlauben, ja fordern von den (heutigen) Lesenden genau deshalb ein Hören des an sie ergehenden göttlichen Wortes, das auf menschliche und deshalb auch auf weibliche Antwort drängt.

In den Entwürfen weiblicher Stimmen wird aber nicht nur die Absicht eines Empowerments, sondern darüber hinaus das exegetische Fachwissen und die Erfahrung bibelpastoraler Professionalität der Autorinnen einsichtig. Deshalb ist das Buch nicht nur spannend für Interessierte feministisch-exegetisch fundierter Literatur, sondern bietet vielfältiges Material für das Arrangement biblischer Lehr-Lern-Geschehen z.B. in der Schule, Gemeinde oder Erwachsenenbildung. Denn die erzählerischen und lyrischen Annäherungen aus weiblicher Perspektive ermöglichen Lesenden (De-)Konstruktionen, die dazu befähigen, die „Heiligen Schriften“ einmal ganz anders zu lesen.

Dabei machen die Autorinnen ihr feministisch motiviertes Fortschreiben und Lückenfüllen biblischer Leerstellen transparent, indem sie es im Vorwort in den rezeptionsästhetischen Bedingungen jedes Lesevorgangs verorten: Das zentrale Anliegen, das mit dem Titel „Zeigt euch“ eingefordert wird, will also hauptsächlich namentlich ungenannte Frauen der Bibel und die jeweiligen Texte sichtbar machen. Es richtet sich aber ebenso an die Autorinnen (um Rechenschaft über ihr hermeneutisches Selbstverständnis abzulegen) und v.a. an die Lesenden selbst, welche eingeladen werden, ihre Beschäftigung mit den biblischen Porträts – in binnenchristlicher Perspektive – als geistgewirkt verstehen zu können.

Die Organisation der einzelnen Porträts, denen jeweils eine Übersetzung des präsentierten Textabschnitts vorausgeht, ist an der Gliederung der Bibel orientiert: 13 Porträts beziehen sich auf das Alte, 8 Frauenperspektiven auf das Neue Testament. Die ersten drei Darstellungen lassen Frauen der Tora sprechen, gefolgt von 7 weiblichen Perspektiven aus den sogenannten Geschichtsbüchern und 3 Fortschreibungen der weisheitlichen Literatur. Beispiele aus der prophetischen Literatur des Alten Testaments fehlen leider. Im neutestamentlichen Bereich folgen 5 Porträts zu Frauen der Evangelien und eine weiblich-perspektivierte Erzählung zur Apostelgeschichte. Abgeschlossen wird das Buch durch eine Entgegnung auf einen deuteropaulinischen Brief einer Frau aus der Gemeinde in Ephesus und einen lyrischen Text zur Vision der apokalyptischen Frau.

Die im Buch begegnenden literarischen Formen reichen von Ich-Erzählungen, Dialogen, Perspektivwechseln, einem Investigativ-Interview, einem Klagelied, einem Hymnus, einem Mordkomplott, einer Hassrede, einer Zeugenbefragung bis hin zu Hildegard Königs berührenden Ver-Dichtungen der biblischen Texte.

In den Profilen begegnen keineswegs nur glorifizierte Frauen, sondern auch sie machen sich schuldig, wenn z.B. die Perspektive der xenophoben Ägypterinnen um diejenige der Hebräerinnen erweitert wird. In solcher Intersektionalitätssensibilisierung liegt eine große Stärke, die dieses Buch so lesenswert macht.

Binnenfeministisch wird nicht vereinseitigt, vielmehr treffen Deutungen aufeinander, die Pluralität biblischer und heutiger Weltentwürfe abbilden. Etwa wenn die Seligpreisung der „Brüste, an denen du gesogen hast“ (Lk 11,27) von einer Frau als ein „Kompliment“ wahrgenommen wird, eine andere dagegen verurteilt: „Ich kann sie einfach nicht mehr ertragen, wenn sie so die Mutterschaft bejubelt.“ (166)

An wenigen Stellen wird das Buchprogramm unterbrochen, z.B. um Gegenwartsfragen von immer noch ungehörten Frauenstimmen in der katholischen Kirche mit dem biblischen Text und seinem befreienden Potenzial zu korrelieren oder exegetisches Hintergrundwissen zu skizzieren. Hilfreich sind zudem das Verzeichnis der Abkürzungen und Bibelübersetzungen, die verwendete Literatur und die überschaubaren Anmerkungen.

Wer nicht nur nach den Frauen hinter den Buchstaben fragt, sondern diese auch heute zeigen will, dem sei dieser Porträtband empfohlen.

21 Porträts namenloser Frauen in der Bibel
Ostfildern: Patmos Verlag. 2023
200 Seiten
24,00 €
ISBN 978-3-8436-1442-9

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