Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Barbara Klemm: Frankfurt. Bilder

Da hat Jan Gerchow, der Direktor des „Historischen Museums Frankfurt“, eine wirklich ausgezeichnete Idee gehabt – nämlich Barbara Klemm, die für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ als Bildjournalistin die ganze Welt bereist hat, um eine Ausstellung ihrer Frankfurter Fotos zu bitten. Nach kurzem Bedenken, überhaupt genug Fotografien von Frankfurt geschossen zu haben, ist die Idee in der Ausstellung „Frankfurt Bilder“ im „Historischen Museum Frankfurt“ (9.11.2023 - 1.4.2024) und einem ganz vorzüglichen Bildband mit gleichem Titel Realität geworden. Das Buch enthält außerdem ein aktuelles Interview mit der Fotografin und den erneuten Abdruck eines schönen Essays der Schriftstellerin Eva Demski über Frankfurt aus dem Jahr 2006.

Die 1939 in Münster in eine Künstlerfamilie geborene Barbara Klemm – die Mutter war Bildhauerin, der Vater Maler und Professor – zieht es nach der Lehre in einem Karlsruher Fotoatelier mit 20 Jahren nach Frankfurt. In der „Frankfurter Allgemeinen“ arbeitete sie zunächst im Fotolabor und von 1970 bis 2005 als Redaktionsfotografin, wobei ihre Aufnahmen in der bis 2001 erschienenen samstäglichen Tiefdruckbeilage „Bilder und Zeiten“ große Bekanntheit erlangten. Wichtig war ihr dabei die Korrespondenz von Artikel und schwarz-weißem Foto.

Damit ist bereits ein wesentliches Merkmal ihres Schaffens benannt: Alle ihre Aufnahmen sind in Schwarz-Weiß. Schwarz-weiße Fotos, so Barbara Klemm, eignen sich besser als farbige, den Inhalt eines Zeitungsartikels zu transportieren; hinzu komme die optische Homogenität mit dem in Schwarz auf Weiß gedruckten Text. Zudem ermögliche das Changieren zwischen Schwarz und Weiß viele Farben – was ihre Fotos eindrücklich bestätigen. Übrigens hat sie die Bilder der Ausstellung in der eigenen Dunkelkammer bearbeitet und vergrößert.

Kein Foto ohne Menschen – das ist ein anderes Merkmal der Frankfurter Bilder. Das Leben, das sich vor den Augen der Fotografin abspielt, verdichtet sich in dem von der Kamera festgehaltenen Augenblick. Der Eindruck des Fluiden hängt damit zusammen, dass sich Barbara Klemm ohne Stativ und Blitz auf das natürliche Licht verlässt und ganz auf ihr Gespür für Komposition und den „richtigen“ Augenblick vertraut.

Die über 230 Fotos stammen aus den Jahren 1964 bis 2022 und sind in 18 Rubriken von „Gemütlichkeit“ bis „Bühne und Baustelle“ gegliedert. Sie spiegeln den Glanz und das Elend der Stadt Frankfurt, die Eva Demski in ihrer nüchternen Eloge als „Weltdorf“ bezeichnet (12-17). Barbara Klemm hat Fotos gemacht, mit denen sie über Frankfurt hinaus bekannt wurde und die inzwischen zum politischen Bildgedächtnis gehören wie der (bedrohliche) Saalschutz der NPD vor dem Cantate-Saal 1969, die Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg 1970 oder die Startbahn West 1981.

Sie stellt Menschen nicht bloß, sondern begegnet ihnen auf Augenhöhe: Das gilt für die anrührenden Porträts einfacher Menschen wie etwa einer selbstbewussten Putzfrau (1974) oder eines alten Mannes, der gerade das Essen auf Rädern wärmt (1978). Das gilt ebenso für bekannte Autorinnen und Autoren (wie etwa Ingeborg Bachmann, Günter Grass oder Heinrich Böll), berühmte Künstler (wie Josef Beuys oder Andy Warhol) oder Superstars (wie Janis Joplin oder Alfred Hitchcock), die dem Betrachter als Menschen wie Du und Ich entgegentreten. Frankfurter Köpfe wie die Protagonisten der „Frankfurter Schule“ wie Theodor Adorno oder Max Horkheimer oder der „Neuen Frankfurter Schule“ des Humors wie Robert Gernhardt oder Hans Traxler dürfen nicht fehlen. Fotos wie die von Joschka Fischer, der 1969 mit Schutzhelm auf einer Leiter vor der Universität sitzt, lassen einen schmunzeln.

Der Sport – insbesondere die Eintracht – fehlt, die Stadtpolitik kommt nur am Rande vor und von dem vielfältigen religiösen Leben der Stadt hat Barbara Klemm lediglich das „Jüdische Leben“, so der Titel einer Abteilung, eingefangen; dabei ist allerdings zu bedenken, dass sie nicht die für Frankfurt zuständige Fotografin war.

Last but not least gilt es, die besondere drucktechnische Qualität des Bildbandes herauszustellen: Erschienen ist es in dem Göttinger Steidl Verlag, der neben dem Gesamtwerk von Günter Grass auch zeitgenössische Autorinnen und Autoren verlegt, aber insbesondere für die in der eigenen Druckerei hergestellten Fotobücher international bekannt ist. Es macht große Freude, die „Frankfurt Bilder“ zu betrachten.

Göttingen: Steidel Verlag. 2023
264 S. mit s/w Fotografien
40,00 €
ISBN 978-3-966999-270-8

Zurück