Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Birgit Esser / Hans-Jürgen Blanke (Hg.): Petrus Alphonsi

Disciplina Clericalis / Geistliche Bildung
Lateinisch-deutsche Ausgabe


Die Geschichte birgt ihre Geheimnisse. Einige davon ziehen uns sofort in ihren Bann. Insbesondere solche, bei denen es sich um Personen oder Autoren handelt, deren Identitäten Raum für Spekulationen lassen oder deren Schicksale sich im Dunkeln verlieren. Liegen diese dann noch im Mittelalter, an Königshöfen oder im fernen Morgenland, ist das Interesse umso größer.

Auf den Autor Petrus Alfonsi trifft alles dies fast gleichermaßen zu. Petrus Alfonsi wächst im jüdischen Glauben unter dem Namen Moses Sephardi im Spanien (Aragon) des ausgehenden 11. Jahrhunderts auf und wird sowohl in Hebräisch als auch Arabisch unterwiesen. Bei seiner Konversion zum Christentum im Jahre 1106 übernimmt König Alfons I. persönlich die Taufpatenschaft, wohl nicht zuletzt, weil der gelehrte Rabbi an seinem Hof als Physiker und Astronom tätig ist. Dabei ist Alfonsi alles andere als eine Randfigur der mittelalterlichen Geistesgeschichte: „Dank seiner Mehrsprachigkeit und theologisch-naturwissenschaftlichen Bildung konnte er aristotelisch-rationales Denken, arabisch empirische Wissenschaft und jüdische Lebensweisheit amalgamieren; durch ihn erreicht zum ersten Mal Erzählgut und Erzählkunst des Orients die Abendländische Literatur.“ (15) 

So verwundert es auch nicht, dass der mobile Kulturmittler bald (ca. 1110/16) für König Heinrich von England als königlicher Leibarzt, Astronom und Übersetzer tätig ist. In diese Zeit fällt auch die Abfassung der disciplina clericalis. Von hier an verlieren sich langsam die gesicherten biografischen Informationen, wenngleich aus seinem Schrifttum noch einmal ein klarer Versuch zur Reform des klerikalen Unterrichtswesens in Nordfrankreich hervorgeht (um 1120) und eine Rückkehr nach Spanien anzunehmen ist. Sollten neuere Forschungsansätze Recht behalten, könnte es sich bei Alfonsi auch um den Magister von Toledo handeln, dem eine Übersetzung des Korans ins Lateinische zugeschrieben wird. 

Die disciplina hält eine Sammlung von Lehrer-Schüler-Dialogen, Fabeln, Sentenzen und Novellen bereit, deren vordringliche Absicht es ist, ad multorum utilitatem (27) in lebenskluges Philosophieren einzuführen und in heiter nachdenklicher Art der „schwachen menschlichen Beschaffenheit“ (fragilem complexionem hominis; 27) durch weisheitlich an Tugenden orientiertem Denken auf die Sprünge zu helfen. Auch wenn er selbst im Prolog seine Quellen als die „Sprüche und Zurechtweisungen der Philosophen“ sowie „die Sprüche und Zurechtweisungen arabischer Geschichten und Verse“ (28) beschreibt, kommt einem manche Weisheit doch sehr biblisch oder wenigstens anschlussfähig für biblisches Denken vor. Es kann geradezu als eine Einladung an den Latein- und Religionsunterricht verstanden werden, sich hier (gemeinsam) auf Spurensuche zu begeben und Parallelen und Abweichungen zu entdecken. Die Geschichten erzählen mehr als einmal von Barmherzigkeit als der Haupttugend der abrahamitischen Religionen, von Salomonischen Urteilen oder dem „langen Weg zum Paradies“. Wem die Bergpredigt stellenweise nicht narrativ genug ist, mag hier die eine oder andere erzählerische Ausgestaltung finden.

Dem Autor einen komparativen Ansatz zu unterstellen, ist wohl nicht zu weit hergeholt: Wer angesichts einer Zeit von Kreuzzügen und Reconquista auf das gemeinsame Bildungsgut der abrahamitischen Religionen setzt, hat sich selbst einen Auftrag gegeben, der der politischen Praxis der eigenen Zeit entgegensteht. Nur seiner Zeit? Damit konterkariert die disciplina auch jedes enge Bild von mittelalterlicher Pädagogik und Theologie und führt in eine kluge und positive Weltläufigkeit ein, die ihren klaren Auftrag für die Gegenwart bereithält.

Die Herausgeber Birgit Esser und Hans-Jürgen Blanke stehen seit längerem für qualitativ hochwertigen Umgang mit Texten und haben einmal mehr ihr meisterliches Können beim Übersetzen und Editieren unter Beweis gestellt. Es wäre schade, wenn das Büchlein allein dem Lateinunterricht vorbehalten bliebe.

Würzburg: Königshausen und Neumann. 2016
190 Seiten m. s-w Abb.
39,80 €
ISBN 978-3-8260-5954-4

 

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