Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Bodo Kirchhoff: Seit er sein Leben mit einem Tier teilt. Roman

Wie gestaltet man selbstbestimmt Alter und Einsamkeit? Wie verarbeitet man schmerzliche Ereignisse seines Lebens? Wie findet man den Mut, Neues an sich heranzulassen? Diese drei Fragen begleiten die Lektüre des Romans von Bodo Kirchhoff „Seit er sein Leben mit einem Tier teilt“. Das Tier ist eine Hündin und fungiert wie ein Leitmotiv im Roman. Sie führt Protagonist und Leser durch verschiedene Phasen der Selbstvergewisserung während einiger lebensentscheidender Sommertage im August.

Die erste Frage lässt sich knapp beantworten: Louis Arthur Schongauer, der Ich-Erzähler, lebt – wie der Autor – mit seiner Hündin Ascha in einem kleinen Haus hoch über dem Gardasee. Er hat sich seinen Alltag nach dem Tod seiner Frau Magda gut eingerichtet. Tägliche Spaziergänge mit dem Hund, das Schwimmen im See, die Bootsfahrten, die Pflege des Grundstücks, die sporadischen Kontakte mit den italienischen Dorfbewohnern geben den Rhythmus des Sommers an. Der Hund, das Foto eines toten Pferdes und ein großes altes Sofa erinnern ihn die komplizierte Ehe mit Magda, einer erfolgreichen Tierfotografin. Sie hatte ihn, der in Hollywood kleine Rollen als böser deutscher Nazi spielte, aus dieser Sphäre herausgerissen. Er begleitete sie hinfort auf ihren Fotosafaris. Magda ist zuletzt in der Brandung des Atlantiks bei Dakkar ertrunken. Die Hündin ist fast schon symbiotisch mit ihm verbunden und manchmal wünsche er sich, „dass er gern als dieses Tier auf die Welt gekommen wäre, nur mit dem Gedächtnis für Gut und Ungut, Freund oder Feind, und ohne Wissen um die Zeit.“ Schon immer war es sein Wunsch, sich aus der Zeit und aus der Erinnerung zu stehlen. Aber leider ist die Endlichkeit des Menschen nicht zu verdrängen. Das wird einem mehr und mehr bewusst, je älter man wird.

In diese Situation brechen nach und nach drei Frauen ein und rücken ihm nicht nur räumlich tüchtig auf den Pelz: Frida, eine blutjunge Reisebloggerin, Almuth, eine Journalistin in einer Lebenskrise im besten Alter, und Lilly Roth, die Mutter Fridas, die eine sentimentale Fernsehsendung moderiert. Alle drei haben ihr eigenes Päckchen zu tragen. Frieda sucht nach einem sie erfüllenden Beruf, Almuth ist unglücklich mit einem Kardiologen verheiratet und Lilly kommt weder mit ihrer Tochter Frida noch mit ihrer schwindenden Prominenz zurecht. Auf ganz unterschiedliche Weise dringen sie in seine Vergangenheit ein. Frida jugendlich unbekümmert, Almuth insistierend und Lilly empörend indiskret. Dreh- und Angelpunkt ist immer die Frage nach Schongauers Ehe und nach den Umständen des Ertrinkens seiner Frau. Wir erfahren bis zum Schluss nicht, ob er Magda nicht helfen konnte oder ob er das Unglück einfach so hat geschehen lassen oder ob es Selbstmord war. Schongauer antwortet nicht. Genauso wie er nur wenige Angaben macht, weshalb sich seine Geliebte Lilly vor seinen Augen erschossen hat. Und wir erfahren nichts über das gemeinsame Kind, das Lilly zur Adoption frei gegeben hatte. Rückblickend arbeitet er sich auch an seiner unglücklichen Kindheit in einem Heim ab, in das ihn seine überforderte Mutter gesteckt hatte. Diese schlimmen Erinnerungen sind die Dämonen seines Lebens, die ihn in der Einsamkeit hoch über dem Gardasee quälen. Er war schon immer gut darin, Unangenehmes zu verdrängen. Magda hat ihm das einmal auf den Kopf zugesagt. Und die Frauen rufen sie plötzlich wieder auf – eine ironische Anspielung auf die weiblichen Dämonen, die auf Martin Schongaues Stich von den Versuchungen des heiligen Antonius zu sehen sind. Eine Abbildung hat der Erzähler aufgehängt. Eine Mahnung? Und so richtig wehren will oder kann er sich nicht. Er bleibt ambivalent. Tatkräftig repariert er sein Haus nach einem fürchterlichen Sturm, ohne Larmoyanz entsorgt er sein im Sturm zerbrochenes Boot und sorgt dafür, dass seine Hündin in gute Hände kommt, denn er ist herzkrank und hat womöglich nicht mehr allzu viel Zeit zu leben. Dem Tier gegenüber übernimmt er die Verantwortung, vor der er sich sonst eher gedrückt hatte.

Bestechend ist die stilistische sprachliche Meisterschaft, mit der Kirchhoff Stimmungen einfängt. Man spürt körperlich das Unbehagen, das sich in verschiedenen Gesprächssituationen aufbaut. Eindrücke von Sturm und Gewitter, Licht, Düfte werden eingefangen und zu einem dichten atmosphärischen Gewebe vereint. Aufmerksam notiert er erotisch anziehende Details Almuths, z.B. die Linie ihres Nackens, Wassertropfen auf der Haut, locker gebundenes Haar, blassrosa lackierte Fußnägel …

Bodo Kirchhoffs Roman ist nicht altersmilde oder abgeklärt. Gerade die beharrliche Verweigerung gegenüber jedweder Indiskretion und Übergriffigkeit ist ein starkes Plädoyer für Selbstbestimmung und Autonomie auch im vorgerückten Alter. Und diese bezieht sich auf die Freiheit, noch einmal zu lieben. Ein Tier kann nicht alles ersetzen. Einzig allein Almuth gelingt es auf dem Höhepunkt des Sommers – Ferragosto – in seine Herzkammer und auch in sein Bett vorzudringen. Dass Liebe immer möglich ist – das ist die tröstliche Quintessenz und zugleich die Antwort auf die dritte Frage. Sie spricht sich in den vorgeschalteten Versen Michelangelos aus: „Was ist dies, Amor, / Das durch die Augen ins Herz dringt / Und dort auf kleinem Raum zu wachsen scheint? / Und sich anschickt, alles zu überschwemmen?“

München: dtv Verlag. 42024
383 Seiten
24,00 €
ISBN 978-3-423-28357-1

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