Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Carlo Leget: Wie wir erfüllt leben und gut sterben können

Wer bin ich und was will ich wirklich? Wie gehe ich mit dem Leiden um? Wie kann ich mich verabschieden? Wie schaue ich auf mein Leben zurück? Worauf kann ich hoffen? Hinter diesen Fragen stehen fünf große Lebensthemen: Autonomie, Leiden, Abschied, unerledigte Dinge und Hoffnung. Carlo Leget, seit 2012 Professor an der Universeit voor Humanistiek in Utrecht (Stifungslehrstuhl Palliative Care, finanziert von der Association Hospicezorg Nederland), setzt sich seit Jahren mit ihnen auseinander.

Leget ist von Haus aus katholischer Theologe, er promovierte an der Katholisch-Theologischen Universität in Utrecht mit einer Arbeit zu Thomas von Aquin; dessen Logik und systematische Durchdringung beeinflusst den Aufbau dieses hochinformativen Buches. Leget hat jahrelange Lehrtätigkeit als Medizinethiker an der Universitätsklinik UMC St. Radboud hinter sich, auch eine Professur für Zorgethik an der Universität Tilburg ausgefüllt. In den letzten Jahren hat sich Leget einen Namen gemacht als Vordenker in der Ethik und Spiritualität der Palliativmedizin. Seine Inspiration dazu holt er sich aus der praktischen Arbeit in Pflegeheimen – das Buch lebt von diesen Geschichten, die mehr sagen als jede theoretische Abhandlung. 2015 wurde Leget Mitglied des Gesundheitsrates und damit Mitglied der CEG-Kommission am Zentrum für Ethik und Gesundheit (CEG), die in den Niederlanden die Gesundheitspolitik berät. Leget bekleidet verschiedene Ämter in Organisationen der Seelsorge und Palliative Care. So ist er Vizepräsident der European Association for Palliative Care und engagiert sich wissenschaftlich gemeinsam u.a. mit Joan Tronto, der großen Dame der Care-Ethik.

In seiner Antrittsvorlesung äußerte Leget seine Besorgnis über den Bedeutungsverlust der Pflege. Die (Gesundheits-)Versorgung bewege sich immer mehr in eine naturwissenschaftliche Richtung; „Erklären“ hat Vorrang. Dadurch träte aber das Verständnis von „Bedeutung“ in den Hintergrund. Sein Buch zeigt hingegen einen Autor, der die Begabung besitzt, eine Brücke zu schlagen zu den geistigen Schätzen des Mittelalters. Auf dem Fundament der Ars Moriendi, der christlichen Kunst des Sterbens, entwickelt er ein Modell des „inneren Raums”, um Sterbebegleiterinnen und Sterbebegleiter genauso wie Angehörigen Möglichkeiten aufzuzeigen, wie sie Sterbenden eine Sphäre der Einkehr, des Rückblicks und der Entscheidung geben können. Das Buch ist mit leichter Feder geschrieben, es liest sich völlig hindernislos, obwohl es von einem existenziellen Thema zum nächsten wechselt.

Man muss nicht religiös sein, um mit diesem Modell arbeiten zu können. Mit anderen Worten: Das Buch nötigt nicht. Es sensibilisiert dafür, genau hinzuschauen, ob wir tatsächlich die Motive gut einschätzen, aus denen lebensbedrohlich Erkrankte agieren. Es ermutigt zu einem Weltbild der Kombination von Wissenschaft, Spirit, Traditionen und eigenen Erfahrungen (195). Der “innere Raum” hilft nicht, in der Zukunft Verlust zu verhindern. Aber er lenkt die Aufmerksamkeit auf das Hier und Jetzt, um die verbliebene Zeit als kostbar zu erleben (201)

Eine Ars Moriendi für unsere Zeit
Übersetzt von Stephanie Stiel. Unter Mitarbeit von Jürgen Burkhardt
Mit einem Vorwort von Erhard Weiher
Ostfildern: Patmos Verlag. 2021
256 Seiten
24,00 €
ISBN 978-3-8436-1268-5

Zurück