Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Christian Kern: Scheitern Raum geben

Was hat die Havarie der Costa Concordia am 13. Januar 2012 mit der Theologie zu tun. Kurz und bündig gesprochen: das Scheitern und wie dieses in Sprache gefasst wird. So wird im vorliegenden Buch, der überarbeiteten Doktorarbeit von Christian Kern, die Analyse des Schiffbruchs eines Kreuzfahrtschiffs im Mittelmeer mit der biblischen Erfahrung des Ostermorgens in Beziehung gesetzt. Wie gelingt angesichts des Scheiterns menschliches Leben und was besagt dies über die Rede von Gott? Dazwischen liegen interessante und spannende Auseinandersetzungen über die Frage, was unsere Kultur kennzeichnet: souveräne Positionen des Erfolgs oder Lebensgestaltung in Fragilität angesichts von Scheitern.

Das Wort „scheitern“ stammt ursprünglich aus dem maritimen Kontext als einer wenn auch in der Schifffahrt nicht gewünschten Möglichkeit. Die Entwicklung der neuzeitlichen Seefahrt, inklusive des Baus von riesigen Kreuzfahrtfahrtschiffen, versteht sich als Erfolgsgeschichte der Beherrschung der Meere. Ihr entspricht das sich spätestens in der Aufklärung etablierende Konzept des mündigen Subjekts, das über sich in souveräner Weise selbst bestimmt und entscheidet. Immanuel Kant ist der philosophische Protagonist dieser souveränen Auffassung vom Menschen. Unter dem Vorzeichen der Souveränität bleibt Scheitern ein Tabu und unterliegt der gesellschaftlichen Verdrängung. Das positive Potential, das im Scheitern liegen kann, lässt sich aus einem souveränen Standpunkt von außen nicht bestimmen.

Demgegenüber unternimmt Kern es, die Ohnmachtserfahrungen des Scheiterns von innen her zu bestimmen. Die aussagekräftigen und markanten Beispiele, die herangezogen und ausführlich analysiert werden, stammen aus dem biographischen Umfeld des Autors: der Bahnhofsmission in Würzburg, dem Improvisationstheater und dem Recollectio-Haus Münsterschwarzach. Der philosophische Bezugspunkt, den Kern dabei starkmacht, ist das Konzept der Andersorte von Michel Foucault. An solchen Heterotopien kann eine Lebenskunst des Scheiterns eröffnet werden, die auch im Scheitern der Menschlichkeit Raum und Zukunft gibt. Aspekte einer solchen Lebenskunst sind kritisches Wissen, gebrochene Sprache, soziale Dispositionen, betrauerbare Verluste, säkularer Glaube. „Scheitern wird in Ihnen nicht extrovertiert, nicht ins Außen soziodiskursiver Ordnungen abgeschoben. Vielmehr wird Scheitern invertiert, es findet statt im Innen der jeweiligen Rahmen und eröffnet zugleich eine Wende“. (295)

Nachdem im ersten Teil die moderne Strategie der Extroversion des Scheiterns und im zweiten Teil das postmoderne Konzept der introversiven Bewältigung des Scheiterns in einer engen Verzahnung von Praxisbeispielen und theoretischer Reflexion durchgearbeitet ist, wird im dritten Teil des Buches eine Theologie des Scheiterns biblisch und systematisch erarbeitet. Das Gleichnis vom verlorenen Sohn, die Passion Jesu wie die Frauen am Ostermorgen stehen exemplarisch für eine introversive Lebensbewältigung der Erfahrung von Scheitern. Programmatisch fasst Kern das „Evangelium als eine Kultur des Scheiterns“ auf. Im Evangelium wird vom Scheitern erzählt, es wird darin erfahren und es eröffnet dennoch neue Lebensmöglichkeiten. „Denn der Gott, auf den in Jesus von Nazareth Bezug genommen wird, ist kein Gott der Souveräne, kein Gott von strahlenden Erfolgsgeschichten. Er ist vielmehr ein Gott, der mit der Ohnmachtssituation von bedeutsamen Verlusten, mit menschlichem Leben in Erfahrungen des Scheiterns verbunden ist und der darin einen Raum der Entdeckung anders möglichen Lebens aufspannt.“ (350) Daraus ergibt sich für die Gestaltungsweisen des Christlichen eine kritische Sicht auf Erfolgstheologien mit einer allzu sicheren Rede von Gott, eine Praxis der Eröffnung von Lebensräumen angesichts der Erfahrungen des Scheiterns, denen wir Menschen nicht entgehen können, und eine Kirche, die dem Fehlbaren Rechnung trägt und nach kreativen Perspektiven sucht.

Dieses Buch verbindet in gelungener Weise philosophisch-theoretische Reflexionen mit Praxiserfahrungen unserer postsouveränen Kultur. Darin berührt es den paradoxen Kern des christlichen Glaubens, von Gott sprechen zu müssen, obwohl das göttliche Geheimnis letztlich nicht erfasst werden kann. Womöglich liegt gerade darin für den postsouveränen Menschen von heute die heilvolle Botschaft des Christentums. Die Lektüre dieses nicht ganz kurzen Buches ist daher uneingeschränkt zu empfehlen.

Theologie für eine post-souveräne Gegenwartskultur
Theologie im Dazwischen – Grenzüberschreitende Studien, Band 2
Ostfildern: Matthias Grünewald Verlag. 2022
409 Seiten
60,00 €ISBN 978-3-7867-3284-6

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