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Christian Lehnert: Die weggeworfene Leiter. Gedanken über Religion und Poesie
Christian Lehnert zählt zu den feinsinnigsten Flaneuren auf den Feldern von Theologie und Literatur. 1969 in Dresden geboren, verweigerte er den Wehrdienst in der DDR, studierte Theologie und wurde evangelischer Pfarrer. Sein waches Interesse gilt der Verhältnisbestimmung von Poesie und Religion, in zahlreichen Publikationen umkreist er das Zueinander beider Sphären. Innerhalb seines Oeuvres nehmen seine vielfältigen Gedichte eine besondere Stellung ein und lassen sich als reizvolle, tastende, religiöse Suchbewegungen verstehen. Die Rezeption der Gedichte und Texte von Christian Lehnert ereignet sich indes nicht selten herausfordernd: Während ein säkularer Literaturbetrieb mitunter skeptisch und irritiert auf seine religiöse Suche reagiert, erhoffen sich gläubige Menschen von seinen Texten eine fromme und glaubensstarke Erbauung. Christian Lehnert aber entzieht sich einer eindeutigen Zuordnung und umkreist unablässig poetische und religiöse Rede.
Mit „Die weggeworfene Leiter. Gedanken über Religion und Poesie“ ist nun die schriftliche Fassung der Vorlesungen von Christian Lehnert veröffentlicht, die er im Rahmen seiner Wiener Poetikdozentur Literatur und Religion im Sommersemester 2022 gehalten hatte. Der Band wird maßgeblich von den vier Vorlesungen Lehnerts bestimmt: In der ersten Vorlesung entfaltet der Dichter grundsätzliche Gedanken zu einer religiösen Sprache im Anschluss an Ludwig Wittgenstein („Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen“) und dessen Rede vom Unaussprechlichen. Das Verstummen der Sprache, das mit dem Kreuzestod Jesu auf Golgotha verbunden ist, steht im Mittelpunkt der zweiten Vorlesung. Das „Verlöschen der Sprache im Herzen des Christentums“ umkreist Lehnert dabei, indem er sein fünfteiliges Gedicht „passio“ assoziativ kommentierend vorstellt. Die dritte Vorlesung ist sodann der Sprache als Schöpfungsgestalt gewidmet. Hier wendet sich Christian Lehnert einzelnen Beobachtungen der Natur zu und umkreist, wie in der Poesie die Schöpfung Gottes zur Sprache kommen kann. Unter dem Motiv des Atems steht sodann die vierte Vorlesung des Lyrikers und Essayisten. Christian Lehnert stellt hier aktive wie passive Bewegungsformen in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen, die für ihn sowohl das poetische Schreiben wie auch das Gebet bestimmen. Mit seinen Überlegungen zu einer „Sprache an der Grenze zwischen Eigenem und Fremden“ reflektiert er die Verwandtschaft zwischen dem Atem und lyrischen Versen.
Eine Einleitung des Wiener Dogmatikers Jan-Heiner Tück, in der die Dimension des Mystischen als Grundkonstante im Werk von Christian Lehnert entfaltet wird, eröffnet luzide den Band. Sebastian Kleinschmidt, langjähriger Chefredakteur der Zeitschrift „Sinn und Form“ komplementiert die Ausgabe schließlich mit seinen überzeugenden und anregenden Gedanken „Ein Wort aus zwei Welten“ zu Christian Lehnerts Poetologie und Theologie.
In seinem Band „Windzüge“ (2015) schreibt Christian Lehnert: „Der Gott, den es nicht gibt, in mir ein dunkler Riss, / ist meiner Seele nah, sooft ich ihn vermiss.“ Selten wurde die Gottesfrage in der gegenwärtigen Literatur in gleichermaßen dezenter wie gewichtiger Weise formuliert. Lohnenswert ist es, dieser Spur von Christian Lehnert in poetisch wie intellektuell anregender Weise in seinem Band „Die weggeworfene Leiter“ zu folgen.
Mit einer Einleitung von Jan-Heiner Tück und einem Nachwort Sebastian Kleinschmidt
Freiburg: Herder Verlag. 2023
108 Seiten
25,00 €
ISBN 978-3-451-39487-4