
Bestellen
auf Buch7.de - sozialer Buchhandel
Christian Ströbele u.a. (Hg): Rechtspopulismus und Religion. Herausforderung für Christentum und Islam
Die Europawahl 2024 hat gezeigt, dass sich die politischen Kräfteverhältnisse verschieben. Spätestens seit der sogenannten Flüchtlingskrise 2015 finden in Deutschland politische Diskursverschiebungen verbunden mit teils scharfen öffentlichen Meinungsbekundungen statt. Solche Diskursverschiebungen werden häufig mit dem Stichwort „rechtspopulistisch“ beschrieben, weil sie Kriterien erfüllen, die diese Kennzeichnung nahelegen. Dazu gehört, dass diese Diskurse behaupten, einzig die Stimme „des Volkes“ zu repräsentieren. Dafür müssen solche Diskurse notwendig einen Gegensatz bzw. eine Feindschaft zwischen „den falsch regierenden Politikern“ und den normalen Menschen aufbauen, den „richtigen“ Angehörigen des Volkes und den „weniger richtigen“. Dazu kommen eine Affinität zu autoritären Haltungen und die Fokussierung auf Einzelthemen (etwa Migration oder Gender), die solche Diskurse kennzeichnen.
Die evangelische und katholische Kirche in Deutschland kritisieren von Anfang an solche rechtspopulistischen Diskurse. Selbst konservative Kirchenvertreter honorierten die Haltung, mit der die damalige Bundeskanzlerin sich für einen christlich-humanitären Umgang mit Ankömmlingen starkmachte und politisch viel riskierte. Das Konservative, so zeigte sich, ist nicht deckungsgleich mit dem Rechtspopulismus. Es blieb jedoch nicht aus, dass eine Minderheit versuchte, Themen in die Öffentlichkeit zu drücken, die eine Gefährdung eines sogenannten christlichen Abendlandes heraufbeschwor. Im Hintergrund formierten sich Allianzen zwischen hauptsächlich AfD-affinen Merkelkritikern und Christen, die einen kulturellen Identitätsverlust, insbesondere mit der Zunahme muslimischer Migranten, fürchteten. Hier begann der Versuch, kirchenöffentliche Positionen mit Hilfe von kultur-religiösen, theologiegeschichtlichen oder biblischen Argumenten zu desavouieren. Es entstand eine Melange aus religiösem Rechtspopulismus und rechtspopulistischer Religion.
Der Sammelband „Rechtspopulismus und Religion“ geht u.a. diesen Allianzen zwischen Rechtspopulismus und Religion nach. Er ist das Ergebnis einer multidisziplinären Onlinetagung des Forums Christentum und Islam, das im März 2022 stattfand; der Fokus liegt logischerweise auf den Religionen Christentum und Islam. Er blickt dabei nicht nur auf die deutschen Verhältnisse eines christlich imprägnierten Populismus. Auch rechtspopulistische Tendenzen im Islam werden thematisiert.
Vor allem die Tatsache der Identitätsstiftung macht Religion grundsätzlich anfällig und interessant für den Rechtspopulismus, wollen doch o.g. rechtspopulistische Diskursverschiebungen mit Hilfe von historischen (und christlichen bzw. islamischen) Großerzählungen eine neue abendländische (oder morgenländische) Volksidentität erschaffen, die in der Lage sein könnte, das demokratische Prinzip von Freiheit und Menschenwürde in den Hintergrund zu drängen. Religion bietet seit jeher Identität und wurde auch in ihrer Geschichte immer wieder als Identitätsmarker gesetzt. Das trifft für das Christentum wie für den Islam zu; Bekim Agai exerziert dies anhand des islamisch-theologischen Motivs der „Umma“, der Idee einer weltweiten Einheit der Muslime, die gegenwärtig (z.B. in der Türkei) nationalpolitisch missbraucht wird. Der Band analysiert nicht nur unheilige Allianzen zwischen politischem Machtstreben und Religion, er geht auch mit ihnen theologisch ins Gericht. Frank van der Velden zeigt die Engführung eines rechtspopulistischen Umgangs mit den christlichen Anfängen in unseren Breiten, wenn er als Gegenthese gegen ein weißes Christentum den schon früh in Deutschland verehrten schwarzen Heiligen Mauritius ins Feld führt. Diese inhaltlich-theologischen Auseinandersetzungen sind wichtig, um sich im Streit mit rechtspopulistischen Positionen nicht allein auf einer Metaebene zu bewegen und Diskurse nur als „rechtspopulistisch“ zu kennzeichnen. Dass autoritäre Elemente von Religion rechtspopulistische Anknüpfungspunkte bieten, zeigt Sonja Angelika Strube in ihrem Beitrag vor dem Hintergrund von Spätwirkungen römisch-katholischer Engführungen im 19. Jahrhundert, die bis heute nachwirken.
Der Band richtet seinen Blick auch auf praktische Auswirkungen und Umgangsformen mit rechtspopulistischen Positionen. Wie häufig kommt es vor, dass Religiosität in Extremismus umschlägt? Florian Volm zeigt, dass Studien zufolge eine religiöse Identität mehrheitlich nicht dazu führt, eine extremistische Identität zu befördern. Der ehemalige Landesbischof Markus Dröge berichtet von seinen Erfahrungen und Auseinandersetzungen mit Personen rechtspopulistischer Positionen und plädiert für gut vorbereitete inhaltliche Auseinandersetzungen, auch auf offenen Bühnen bei Kirchentagen.
Hervorzuheben ist der Aufsatz von Regina Elsner, die die Allianz zwischen der Russisch-Orthodoxen Kirche und dem russischen Staat nachzeichnet. Man versteht, in welche Zwänge sich die Kirche in Russland manövriert hat, als sie sich zum kriegsideologischen Gehilfen von Putin gemacht hat. Gleichzeitig bekommt man vor Augen geführt, dass das alte byzantinische Prinzip schon immer eine Symphonie zwischen Kirche und Staat vorgesehen hat, weshalb es im Grunde in Russland keine richtige Kultur von kirchlicher Staatskritik gibt.
Der Sammelband gibt sich zurückhaltend, kritisch und konstruktiv. Das ist sehr zu loben. Er vermeidet einen besserwisserischen Tonfall und kann dadurch umso glaubwürdiger zeigen, was es braucht, um rechtspopulistische Diskurse mit religiösem Anstrich zu schwächen: gute Arbeit im interreligiösen Feld. Vorurteile abbauen. Die Idee stärken, dass Freiheit und Menschenwürde moderne Grundpfeiler unseres Zusammenlebens geworden sind, die jedem völkischen oder national-religiösen Großnarrativ überlegen sein sollten und sich hervorragend theologisch reformulieren lassen.
Christian Ströbele / Erdoǧan Karakaya / Armina Omerika / Eckhard Zemmrich (Hg.)
Theologisches Forum Christentum und Islam
Regensburg: Friedrich Pustet Verlag. 2024
334 Seiten m. Abb.
36,00 €
ISBN 978-3-7917-3402-6