Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Claudia Blöser: Immanuel Kant

Claudia Blöser ist Professorin für Philosophie mit Schwerpunkt Ethik an der Universität Augsburg und Schülerin des Frankfurter Philosophieprofessors und Kant-Spezialisten Marcus Willaschek. In der Reclam-Reihe „100 Seiten“ kann man in diesem Umfang etwas lernen über „Mücken“, „ABBA“, „Franz Kafka“ – und nun eben „Immanuel Kant“. Es gehört Mut dazu, sich dieser Aufgabe anzunehmen.

Claudia Blöser verfügt nicht nur über Mut, sondern auch über einen roten Faden. Nachdem sie den langen und entbehrungsreichen biografischen Weg Kants zu einer Professur und zur „Kritik der reinen Vernunft“, die er erst mit 57 schreibt, in knappen, aufschlussreichen Skizzen zeichnet, schlägt sie den Ton an, der im Gesamtwerk Kants widerhallt: die Neugründung der Metaphysik, zentriert auf die Frage der menschlichen Freiheit. Die Kritik der reinen Vernunft wird unter das Motto gestellt, zu Unrecht beanspruchtes Wissen aufzuheben, um Platz für den Glauben zu gewinnen und einen Ausgleich zu schaffen zwischen Erfahrung und Verstand. Kant zeigt, wie die Zusammenarbeit zwischen Begriffsbildung und sinnlicher Wahrnehmung beschaffen sein muss, damit überhaupt Erfahrung möglich ist.

Betreibt die „Kritik der reinen Vernunft“ die Befreiung von unbegründeten Vorurteilen, so geht es in Kants „Kritik der praktischen Vernunft“ um die Möglichkeit eines durch Freiheit bestimmten Handelns, die nur gegeben ist, wenn das Subjekt zwischen Gut und Böse durch Gebrauch der eigenen Vernunft unterscheiden kann. Da die Grundfähigkeit der Vernunft die Verallgemeinerung ist, müssen gültige Regeln den Verallgemeinerungstest bestehen.

Die „Kritik der Urteilskraft“ hebt Claudia Blöser als geniale Systematisierungsleistung heraus, gelingt es Kant doch, so unterschiedliche Themen wie die Ästhetik, die Biologie und das Verhältnis zwischen Natur und Freiheit aus einem Prinzip heraus zu behandeln, der Zweckmäßigkeit. Unter diesem Aspekt ist es möglich, in der Natur als ganzer eine Absicht zu erkennen, nämlich die Existenz eines freien moralischen Wesens.

In seinen späten Jahren konzentriert sich Kant auf politische Fragen wie die Bedingungen des „ewigen Friedens“. Neben die transzendente Hoffnung der praktischen Vernunft, dass das Missverhältnis zwischen Glückswürdigkeit und tatsächlicher Verteilung des Glücks von Gott ausgeglichen wird, tritt die Hoffnung auf ein Völkerrecht, das auf immer Kriege verhindert, und ein Weltbürgerrecht, das der Freiheit aller dient.

Kants aus heutiger Sicht unsägliche Äußerungen zur Rassenfrage und zur Gleichberechtigung der Frauen stellt die Philosophin unter die Forderung, dass die von Kant angestoßene Aufklärung nach ihm weitergehen muss, da man von ihm nicht Philosophie, sondern das Philosophieren lernt.

100 Seiten über Kant, das ist im besten Fall ein Appetizer, der Lust auf Lektüre der Originalschriften macht. In diesem Sinne funktioniert das vorgelegte Buch sehr gut. Philosophie- und Religionslehrer sollten es interessierten Lernenden zugänglich machen, denn man kann das Gesamtkonzept und die Einzeldarstellungen gut nachvollziehen. Lediglich im Referat der „Kritik der reinen Vernunft“ geht Detailverliebtheit ein wenig auf Kosten der Verständlichkeit und Kants lebenslanges Interesse an den Naturwissenschaften kommt m. E. zu kurz – obwohl Claudia Blöser Diplomphysikerin ist. Um es auf den Punkt zu bringen: Die „100 Seiten“ wurden sehr gut genutzt, um mit Kant bekannt zu machen.

Reclam 100 Seiten
Stuttgart: Reclam Verlag. 2023
102 Seiten m. s-w Abbildungen
10,00 €
ISBN 98-3-15-020704-8

Zurück