Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Claus Arnold / Martin Belz / Matthias Schnettger (Hg.): Reichstag – Reichsstadt – Konfession. Worms 1521

Dass dem Wormser Reichstag des Jahres 1521 hohe Bedeutung für die Geschichte der Reformation im Reich zukommt, darf als historische Binsenweisheit gelten: Luthers Weigerung, den Widerruf zu leisten, die er mit seinem in Gott gebundenen Gewissen begründete, das folgende Wormser Edikt, das Luthers Exkommunikation reichsrechtlich umsetzte und dessen (Nicht-)Rezeption zu einem ersten konfessionellen Marker wurde, sowie die Aneignung der Ereignisse im kulturellen Gedächtnis und der Geschichtsschreibung sprechen dafür. Zu Recht spricht Bettina Braun in ihrem Fazit zu dem vorliegenden Band daher dem Wormser Reichstag den Rang eines „Erinnerungsortes“ zu.

Dessen Herausgeber haben auch im Jahr 2021 die dem Buch zugrundeliegende Tagung in Worms veranstaltet und für die Publikation ein Panorama an Beiträgen versammelt, das die im Titel genannten Bereiche abdecken soll. Dabei kristallisieren sich vor allem Begriffspaarungen heraus, die von den einzelnen Beiträgen bedient werden: Reichsstadt und Reichstag, Stadt und Konfession sowie (im Titel nicht genannt) Reichstag und Reform. Der Lutherprozess bekommt dabei vergleichsweise wenig Raum, befassen sich doch zwei Aufsätze mit der Stadt Worms und ihrer Religionspolitik am Beginn des 16. Jahrhunderts (Burkard Keilmann und Gerold Bönnen) und zwei weitere mit dem Reichstag selbst mit Blick auf die Themen Reform (Dietmar Heil) und Performanz (Matthias Schnettger). Lediglich der mit kleineren Modifikationen nachgedruckte Aufsatz von Armin Kohnle befasst sich mit Luther und plädiert mit guten Gründen nachdrücklich für Vorsicht bei der Deutung von Luthers Berufung auf das Gewissen: Als Grundlegung einer „Gewissensreligion“ bzw. von neuzeitlicher Gewissensfreiheit sollte Luthers Statement gerade nicht überhöht werden (erstmals in Luther 92/2 [2021] 84-92).

Disparater ist der zweite Teil des Bandes. Die Aufsätze befassen sich mit prominenten Jesuiten in Worms in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts (Christoph Nebgen), mit der konfessionellen Situation der Stadt im 18. Jahrhundert (Carolin Katzer) sowie mit dem „Wormser Memorandum“ von 1971, mit dem eine formelle Aufhebung der Exkommunikation Luthers gefordert wurde (Martin Belz, der dabei rein deskriptiv, nicht theologisch bewertend arbeitet).

Die einzelnen Beiträge sind allesamt interessant, jedoch – wenn überhaupt – nur lose miteinander verbunden. Auch die Einleitung der Herausgeber bietet keine übergreifende Idee des Bandes. Umso mehr fällt ins Auge, wie bravourös Bettina Braun die undankbare Aufgabe einer kommentierenden Zusammenfassung am Ende des Bandes gelöst hat – durchaus unter Auslassung einzelner Beiträge und mit eigenen Akzentsetzungen; als Lesehilfe für den gesamten Band ist ihr Beitrag unverzichtbar.

Die an sich lesenswerten Beiträge des Bandes lassen allerdings Wünsche offen, was vor allem daran liegt, dass die „katholische“ Seite der frühen Reformationsgeschichte nicht berücksichtigt wurde. Kann man den Wormser Reichstag und den Lutherprozess heute noch behandeln, ohne auch auf die ernsthaften Anfragen an Luther einzugehen? Eine Analyse der Begegnung des damals in Frankfurt wirkenden Johannes Cochlaeus mit Luther und von Cochlaeus’ folgenden Überlegungen dazu, auf die feuilletonistisch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hingewiesen wurde, wäre an dieser Stelle zweifellos aufschlussreich gewesen und hätte dem Band größeren Neuigkeitswert verliehen (Maximilian Benz, Die Agenda von Worms. Was meinte Luther mit dem Schriftprinzip? Ein Jubiläum gibt zu denken, in: FAZ 24. März 2021, N3). Wie sich manch älteres Bild der Epoche hartnäckig hält, zeigt sich in der Einleitung der Herausgeber: Hier ist davon die Rede, dass die Jesuiten in Worms nach 1540 „ironischerweise“ die um 1500 bereits vorhandenen Reformkonzepte übernahmen. Die Sache wird weniger ironisch, wenn man die Kontinuitäten zwischen der Reform um 1500 und der südeuropäisch geprägten katholischen Reform nach 1540 berücksichtigt, auf die beispielsweise Richard Serina aufmerksam gemacht hat.

In vielerlei Hinsicht ist der vorliegende Band eine (durchaus gelungene) Bestandsaufnahme der Forschung, die insbesondere in der Verbindung von Reichsstadt und Reformation ihre Stärken hat und für künftige Arbeiten zu Worms und seinem Reichstag von 1521 eine wichtige Anlaufstelle sein wird.

Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte 148
Münster: Aschendorff Verlag. 2023
214 Seiten
39,00 €
ISBN: 977-8-402-26640-3

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