Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Der blaue reiter. Journal für Philosophie: Krieg

Die Ausgabe des Journals für Philosophie „der blaue reiter“ zum Thema „Krieg“ beleuchtet aus zahlreichen Perspektiven Grundfragen um den Themenkreis Krieg und Frieden und leistet damit einen wichtigen Beitrag zur philosophischen Reflexion. Hintergrundfolie vieler Beiträge ist dabei die Ausweitung der russischen Invasion in die Ukraine vom 24. Februar 2022. Umso irritierender ist, dass Stimmen von direkt von diesem und anderen Kriegen betroffenen Philosophen fehlen.

Die Publikation ist vom Aufbau her stringent. So widmet sich etwa Sebastian Schneider in seinem Beitrag der Begriffsgeschichte des Kriegs und nähert sich einer Definition des Krieges über drei Dimensionen: Krieg als Zustand oder Akt von Gewalt, Intensität und Akteursqualität (8). Dennis Sölch konstatiert in der Auseinandersetzung mit Jean-Paul Sartre, dass dieser – entgegen der Auffassung von Siegmund Freud – kein zum Krieg verurteiltes „Triebbündel“ sei, sondern in seiner durch die Selbstreflexivität begründeten Freiheit immer vor Entscheidungsalternativen stehe.

Otto-Peter Obermeiers Beitrag schöpft wiederum aus ideengeschichtlichem Reichtum und arbeitet „primitive“ Ideologien, Machtgier und Habgier als die drei Hauptmotivationen des Menschen für den Krieg heraus (12). Er geht in besonderer Weise auf die Rolle der Religion im Krieg ein. Während etwa Hu Tsi die Religion vollkommen akzeptiert habe, habe Niccolò Machiavelli sie in pragmatistischer Manier so lange als Ressource geduldet, als sie eigenen Zwecken gedient habe.

Otfried Höffe widmet sich in seinem Beitrag demgegenüber der Idee des Friedens und fragt, ob diese Traum, Utopie oder realistische Vision sei. Nach einem kursorischen Überblick kommt er zum Schluss, dass Immanuel Kants Schrift „Zum ewigen Frieden“ (1795) nichts von ihrer Aktualität und Durchschlagskraft verloren habe. Ein stabiler und dauerhafter Friede könne nur auf Recht, nicht aber auf Macht gegründet sein. Er attestiert – der Argumentation Kants folgend –, dass der einzige Weg zum ewigen Frieden die Schaffung einer „subsidiären, föderalen Weltrepublik“ (23) sei. Hierbei stellt sich nun allerdings die Frage, ob diese Vorbedingungen nicht mindestens genauso utopisch sind wie der infrage stehende Friede selbst. Trotz der grundsätzlichen Regelbasiertheit bleibt das Völkerrecht im letzten ein politisch-machtbasiertes Recht ohne supranationales Gewaltmonopol. Zuzustimmen ist Höffe darin, dass die Betonung der eigenen Friedfertigkeit für einen ewigen Frieden nicht ausreiche, sondern eher „frommen Worten“ entspreche. Auch Thomas Zoglauer warnt diesbezüglich in seinem Beitrag zur Frage nach der Möglichkeit eines Gerechten Krieges vor einem „pazifistischen Fehlschluss“ (31), bei dem die Folgen der Gewaltlosigkeit ausgeblendet würden. Krieg sei zwar – auch im Falle des ukrainischen Verteidigungskriegs – niemals Notwendigkeit, notfalls aber legitime Ultima ratio (32). Die Theorie des Gerechten Krieges könne bei der Einordnung Hilfestellung bieten.

Bemerkenswert ist Jan Röhnerts Beitrag zur literarischen Reflexion auf Krieg und Frieden. Kenntnisreich illustriert er anhand verschiedener Literaten, welchen Einfluss die Literatur auf den Krieg genommen hat, wie stark sie aber auch selbst (wie die jeweiligen Autoren) durch den Krieg beeinflusst wurde. Im Zeitalter der Massenmedien will Röhnert die Rolle der Literatur „im Zeichen poetischer Subjektivität für das Wahrnehmen des ganz anderen“ (37) verstanden wissen.

Olaf Müller kommt in seiner Auseinandersetzung mit der pazifistischen Literatur Bertrand Russells in der Zwischenkriegszeit zu dem Schluss, dass dieser zunächst „Mastermind“ hinter radikalen Formen der Appeasement-Politik gewesen sei, mit der Zeit aber von „blinder Prinzipienreiterei“ (49) Abstand genommen und den Krieg gegen Nazi-Deutschland letztlich für legitim gehalten habe. Demgegenüber steht die radikalpazifistische Haltung Margot Käßmanns, die im Interview zu bedenken gibt, dass Pazifisten im Krieg immer der schärfsten Kritik ausgesetzt seien und diejenigen, die am vehementesten für den Krieg plädierten, oftmals nicht selbst in den Krieg ziehen müssten – so auch im gegenwärtigen Krieg Russlands gegen die Ukraine. Schuldig bleibt sie allerdings die Antwort, wie im Falle eines akuten Angriffskriegs durch gewaltfreien Widerstand kurzfristig wirksame Verteidigung erfolgen kann.

Herfried Münkler analysiert die Verschiebung der Kriegsstrategien von der Niederwerfungs- zur Ermattungsstrategie. Dass die Schlachtfelder unsichtbarer geworden seien, habe nicht zu einer Humanisierung des Kriegs, sondern im Gegenteil zu noch zerstörerischeren Folgen für die Zivilbevölkerung geführt.

Es ist bedauerlich, dass bei elf Beiträgen zum Thema „Krieg“ keine Autorin vertreten ist. Dennoch besticht die Ausgabe sowohl durch kenntnisreiche Beiträge renommierter Experten als auch durch gelungene Illustrationen und bildet gegenwärtige Debatten im (philosophischen) Diskurs um Krieg und Frieden gut ab.

Ausgabe 53 (1/2024)
Hannover: der blaue reiter. Verlag für Philosophie. 2024
114 Seiten m. Abb.
19,90 €
ISBN 978-3-933722-90-4

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