Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Die anarchische Kraft des Monotheismus. Eckhard Nordhofens „Corpora“ in der Diskussion

Versteht man den Monotheismus besser, wenn man seine Geschichte als Mediengeschichte erzählt? Eckhard Nordhofen hat diese Frage in seinem 2018 erschienenen, inzwischen in der 3. Auflage vorliegenden Bestseller „Corpora. Die anarchische Kraft des Monotheismus“ aufgeworfen – und bejaht. Seine souverän entfaltete Geschichte der wechselnden Gottesmedien Bild, Schrift und Körper hat in den betroffenen Wissenschaften und der interessierten Öffentlichkeit für Aufsehen gesorgt. Denn Nordhofen hat sich nichts Geringeres vorgenommen als den jüdisch-christlichen Monotheismus zu (re-)habilitieren. Dazu sucht er dessen anarchische Kraft nachzuweisen: Der zugleich an- und abwesende Gott entzieht sich sämtlichen Funktionalisierungen, so eine zentrale These des Buches; er bleibt bei aller Vertrautheit mit seiner Selbstoffenbarung doch der fremde Gott.

 

Nordhofens Tour d’Horizon durch die biblische und außerbiblische Religionsgeschichte hat aber auch Fragen aufgeworfen. Am 02. Februar 2020 wurden diese Fragen auf einer Tagung anlässlich des 75. Geburtstags von Eckhard Nordhofen an der Philosophisch-Theologischen Hochschule St. Georgen diskutiert. Aus den Beiträgen wurde der vorliegende Band zusammengestellt, ergänzt um zwei Texte aus Nordhofens eigener Feder. Der Anlass der Tagung deutet bereits darauf hin, dass sich alle Beiträger Nordhofens Buch wohlwollend nähern. Gleichwohl verzichten sie keineswegs auf Kritik. Sie leuchten die Thesen von „Corpora“ mit den Scheinwerfern ihres Faches aus und entdecken neben Gemeinsamkeiten auch Probleme und Präzisierungsmöglichkeiten. Die von Nordhofen diagnostizierte Gleichzeitigkeit von Gottes Präsenz und Vorenthaltung findet dabei breite Zustimmung.

 

Gleich zu Beginn weist Jan Assmann in einem pointierten Beitrag, geschrieben ursprünglich als Rezension für die FAZ, darauf hin, dass auch der Bildkult auf „Erfahrungen göttlicher Selbstzuwendung“ beruhe und deshalb nicht pauschal als „falsch“ abgewertet werden dürfe. Religionswissenschaftlich gesehen irre Nordhofen zudem, wenn er den Bundesgedanken als Variante des heidnischen Tauschgedankens deute. Er sei vielmehr eine Befreiung des Menschen, dem seine überweltliche Beheimatung erschlossen werde.

 

Während sich Assmann gegen die Abwertung des Bildkultes wendet, befürchtet Jan-Heiner Tück, dass manche Passagen von Corpora antijüdisch missverstanden werden könnten, etwa wenn Nordhofen den pharisäischen Schriftgelehrten einen Hang zur Grapholatrie attestiere. Die wertende Differenzierung von Buchstabe und Geist gehe am literarhistorischen Befund vorbei: Die Tora sei nicht nur äußere Lebensvorschrift, sie solle verinnerlicht, geradezu ins Herz geschrieben werden. Eine bedenkenswerte Ergänzung zu Nordhofens Ausführungen stellt Tücks Hinweis auf Überschneidungen zwischen jüdischen Theologien der Einwohnung und christlichem Inkarnationsglauben dar.

 

Anregend ist Holger Zaborowskis Auseinandersetzung mit Nordhofens Begriff des Transfunktionalismus. Zaborowski stimmt mit Nordhofen darin überein, dass der Funktionalismus als Weltanschauung mit dem christlichen Schöpfungsglauben unvereinbar sei. Doch der Transfunktionalismus scheint sich seiner Ansicht nach keineswegs vom Funktionalismus zu lösen. Dafür sei es notwendig, die vom Bewusstsein ausgehende Perspektive um eine Perspektive „von Gott her“ zu ergänzen (was Nordhofen zu Recht für unmöglich hält). Denn das Anarchische des biblischen Glaubens bestehe darin, dass Gott von sich selber spreche.

 

Joachim Valentin problematisiert wie Tück den von Nordhofen gegen die Pharisäer erhobenen Vorwurf der Grapholatrie, indem er auf die immense Bedeutung des Talmud hinweist. Der Begriff selbst könne allerdings dienlich sein, um einen fundamentalistischen Missbrauch der monotheistischen Tradition zu kennzeichnen. Gerd Neuhaus fordert dementsprechend, eine Tradition vor der Schrift herauszupräparieren, die in der Tradition nach der Schrift illegitime von legitimen Entwicklungen zu unterscheiden helfe. Darüber hinaus spricht er sich für eine trinitätstheologische Fortschreibung der „Inkarnation für alle“ aus. Denn Tradition sei „Vergegenwärtigung in der Kraft des göttlichen Geistes“. Auch Johannes Hoff hält es für notwendig, in allen kulturellen und religiösen Traditionen zwischen authentischen und pervertierten Kultmedien zu differenzieren; selbst der „Duft christlicher Rauchopfer“ sei nicht vor der „Kontamination durch satanische Düfte“ geschützt.

 

Ludger Schwienhorst-Schönberger fragt unbeschadet der Wertschätzung von Nordhofens Buch, ob der Philosoph die religionsgeschichtliche Entwicklung differenziert genug kennzeichnet. Der Blick auf die Religionsgeschichte zeigt zwar vielfältige Berührungspunkte mit Nordhofens Entwicklungsschema. Das Medium „Schrift“ initiierte aber nicht den biblischen Monotheismus. Es diente dazu, die Identität Israels zu bewahren. Trotz des vorherrschenden Schriftbezugs bleibt in der Religion Israels die Bildverehrung erhalten. Die Verehrung der Tora als Offenbarung und als Bild Gottes stellt eine Analogie zur Verehrung von Götterbildern dar. Die Entwicklung zum Monotheismus ist kein evolutiver Prozess, sondern vollzieht sich in Sprüngen und Durchdurchbrüchen. Nordhofen zustimmend, wird betont: Die Gleichzeitigkeit von Gegenwart und Vorenthaltung Jahwes bleibt an die Schrift als Gottesmedium gebunden.

 

Ansgar Wucherpfennig geht auf Nordhofens Auslegung der vierten Vaterunser-Bitte ein, die dieser als die Bitte um das Himmelsbrot für jeden Tag betrachtet. Das erbetene Brot richtet sich auf den kommenden Tag. Es ist eschatologisch zu verstehen als Bitte um Gottes umfassende Gerechtigkeit, die noch im Kommen ist. Wucherpfennig stimmt Nordhofens Auslegung insofern zu, als damit der Brotbitte der volle Sinn gegeben werden kann: Jesus ist mit seinem Leben und seiner Sendung das Brot vom Himmel, das neue Medium, in dem Gott mit seinem Willen Fleisch geworden ist.

 

In dem Wucherpfennigs Beitrag folgenden ausführlichen Aufsatz bezieht Nordhofen sich auf die Bitte um das Himmelsbrot. Er nutzt die Gelegenheit, Argumente aus „Corpora“ mit Bezug auf den Jahwe-Namen sowie das Leben und den neuen Weg Jesu zu kontextualisieren. Das Brot, das Lebensmittel schlechthin, wird zur Himmelsmetapher erhoben. Die Bitte richtet sich auf die tägliche Gegenwart Gottes. Die Übersetzung im Sinne von „Himmelsbrot“ durch den hl. Hieronymus erweist sich als richtig. Um das Himmelsbrot bitten auch andere große Theologen in der Geschichte der Kirche. Nicht zuletzt bestätigt Benedikt XVI. in einem Brief an Nordhofen dessen Auslegung.

 

Thomas Menges kennzeichnet in seinem Beitrag treffend die Argumentation und den hohen Stellenwert von Nordhofens Ausführungen auch hinsichtlich der transfunktionalistischen Bedeutung der biblischen Aufklärung. Ebenso klar und konkret bezieht Menges „Corpora“ auf in den Lehrplänen vorgegebene zentrale Themen des Religionsunterrichts. Mit ihren vielfältigen Anregungen können Nordhofens Einsichten unter anderem für das Gespräch über die Gottesfrage, die Bedeutung des zweckfreien Sonntags, das Brot als Gottesmedium und über die drei monotheistischen Religionen hinsichtlich ihres Schriftbezugs hilfreich sein.

 

Im Schlusskapitel kommentiert Nordhofen zustimmend und differenzierend die Beiträge der Kollegen, durch die er noch Neues gelernt hat. Schließlich weist er auf den geplanten ergänzenden zweiten Band seines Buches hin. Die wohlwollenden, reichhaltigen, abgewogenen Aufsätze zur Diskussion über Nordhofens Buch und die ergänzenden Beiträge seines Autors zeigen jedenfalls die spannende geistige Auseinandersetzung mit der anarchischen Kraft des Monotheismus.

Der Band sei denen empfohlen, die Nordhofens Mediengeschichte des Monotheimus gelesen haben und sich dort zusätzliche Tiefenbohrungen oder Perspektivwechsel gewünscht haben. Sie kommen bei der Lektüre auf Ihre Kosten, auch wenn zwei „Entgegnungen“ von Nordhofen selbst – immerhin 48 von 206 Seiten – zu viel des Guten sind. Dass die Beiträge weitere Fragen aufwerfen, macht auf den Folgeband von „Corpora“ gespannt. Mehr kann man von einem Diskussionsbuch nicht erwarten.

Martin W. Ramb / Joachim Valentin / Ansgar Wucherpfenning / Holger Zaborowski (Hg.)
Die anarchische Kraft des Monotheismus
Eckhard Nordhofens „Corpora“ in der Diskussion

Freiburg: Herder Verlag. 2021
208 Seiten
40,00 €
ISBN 978-3-451-38961-0

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