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Elmar Salmann (Hg.): Die Regel Benedikts als fremder Gast. Vier Lesarten
Die Priorin aus Eibingen, Jüngste im Bunde, zusammen mit dem Ältesten, dem Theologieprofessor aus Gerleve, altersmäßig dazwischen der Abt aus Plankstätten und der Ordenshistoriker aus Gerleve – sind vier biografisch und beruflich höchst unterschiedliche Persönlichkeiten aus der benediktinischen Familie und haben vier Lesarten. Was sie eint und ihr Dialogwerk attraktiv macht, ist natürlich das Schöpfen aus der immer noch kräftig sprudelnden Quelle – die Benediktsregel ist ja nach der Bibel wohl deren wirkmächtigste Auslegung: „Höre,“ lautet die Musik beider. Was wäre die Christenheit und Europa ohne diesen großen Basistext christlicher Spiritualität, der hier jeweils auf der linken Seite im Wortlaut abgedruckt und rechts dann in vierstimmigen Deutungen knapp beleuchtet wird. Das Autoren-Quartett besteht auf Modernität und Zeitgenossenschaft, also auf schöpferischer Verfremdung und Gegen-Lesung des spirituellen Klassikers. Schon der Titel „Fremder Gast“ und erst recht die brillante Einführung des Herausgebers markieren treffend willkommene Nähe in der Sache und zugleich befremdliches Anderssein allein schon durch die historische Differenz der Textbegehung. Störend und anregend, irritierend und lockend schneit der fremde Gast aus noch altrömischer Kultur in unsere postmodernen und nachchristlichen Lebens- und Lesewelten hinein. Dem geben die originellen Kurzkommentare ganz unterschiedlich Resonanz: nahe am Text die einen, mehr assoziativ, alltags- und erlebnisbezogen andere, durchaus mit dem Mut, den Urtext auch gegen den Strich zu bürsten und gegenwärtiges Glaubensbewusstsein dagegenzusetzen.
Auf dem erfahrungssüchtigen Sinnmarkt gegenwärtiger Spiritualitäten hat es der nüchterne Text Benedikts mit seinen spröden 73 Abschnitten in der Tat nicht mehr leicht. Schon vom Genus her ist „das Joch der Regel“ (Kap 58) ja ein Text der Disziplin(ierung, und „Ordnung“ gilt ihr wie der gesamten Antike als höchster Wert. Öfters also „fällt (die Regel) in ihren vorherrschenden Tonfall zurück, den übergroßen, fast ‚tierischen‘ Ernst der Gesetzgebung, der (an)ordnenden Weisheit“ (45) Befremdlicher noch wirkt die durchgehende Betonung von Gottes Gericht und möglichem Sünden-Scheitern, „als wäre das Kloster eine Besserungsanstalt“. Auch das selbstverständlich hierarchische Selbst- und Weltbild mit Gehorsam und Unterwerfung wird heutige Leserinnen zunächst eher irritieren und abstoßen (wie übrigens mancher Bibeltext auch). Da beschönigen die vier Kommentare nichts und helfen gerade dadurch über-setzend und anregend weiter. Es „bleibt eine Kluft zwischen der spontanen und reflektierten Lebenspraxis des demokratischen Menschen und dem, was Tradition vorschreibt. Da muss wohl ständig neu der Fremdheit standgehalten und zwischen den Welten übersetzt werden, ohne dass sich diese je ganz träfen“ (61). Mitlesend entsteht dann zu den vieren jeweils eine eigene Lesart – bei mir jedenfalls mit dem Effekt, noch einmal zum Urtext laut lesend zurückzukehren (und womöglich zur Vertiefung auf einen der historisch-kritischen Kommentare von Michaela Puzicha oder Georg Holzherr zurückzugreifen, die hier vorausgesetzt sind und im Hintergrund stehen).
Liest man die vier Kommentare nicht, wie gedruckt, abschnittweise parallel, sondern fortlaufend in je eigenen Handschriften der vier Autoren, so kommen originelle Profile und Stile ans Licht, höchst anregend und bedenkenswert. Mich (Mann) erstaunt aber dabei, dass z.B. die Gender-Thematik keinerlei Rolle spielt und die Stimme der (einzigen) Frau diesbezüglich eigentümlich zaghaft bleibt (und leider auch die der Männer). Durchgehend ist z.B. vom Abt die Rede, selbst dort wo die Priorin die entsprechenden Regelkapitel kommentiert. Und natürlich wäre es informativ, wie traditionale und postmoderne Lektüren der Regel sich in Männer- und Frauenklöstern womöglich unterschiedlich ausbuchstabieren.
Nicht zuletzt: Der empfehlenswerte Band kann für den Religionsunterricht anregend sein. Gerade durch die kontrastierende Anordnung von Urtext und Kommentar lässt sich glaubens- wie kirchengeschichtliches Bewusstsein einüben und zum Heute authentischer Spiritualität ermutigen.
St. Ottilien: eos Verlag. 2023
262 Seiten
24,95 €
ISBN 978-3-8306-8188-5