Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Felix Körner: Politische Religion

Felix Körner hat in den letzten Jahren zahlreiche Beiträge zu Sammelbänden und eine Reihe von Monographien vorgelegt. Sie alle gehören zum weiten Themenbereich Kirche bzw. katholisches theologisches Denken im Angesicht des Islams. Nach und nach entsteht ein bedeutendes Opus origineller und ganz eigener Prägung. Es stellt sich umfassend den Fragen, die sich dem katholischen theologischen Denken im Kontext der kulturellen und religiösen Pluralität der gegenwärtigen Welt stellen und will vor allem auch von den Zeugnissen der Muslime lernen.

Der vorliegende Band stellt Körners neuestes Werk dar. Es behandelt ein Kernthema politischen und theologischen Denkens historisch weitausgreifend, tiefschürfend, in prägnanter, treffsicherer Sprache. In sechs Anläufen beschreibt er, wie Religionen als Formen einer bestimmten Weltgestaltung wirksam wurden und weiterhin wirken können: Kultur, Identitätsstiftung, Herrschaftslegitimierung, Machtrelativierung, Ohnmachtspräsenz und Gesellschaftsinspiration benennen die sechs ersten Kapitel.

Das siebte und letzte Kapitel sucht dann nach einer Formel, die offen genug ist, um die ganze Breite von sinnvollerweise als religiös zu bezeichnenden Beziehungen zu benennen, und die zugleich einen Maßstab enthält, mit dem sich Pseudoreligion entlarven lässt. Religion, so der Autor, ist Anerkennung des anderen. Der Religionsbegriff von der Anerkennung des anderen kann wesentlich zum besseren Verständnis der religiösen Weltgestaltungsdynamiken beitragen. Religion kann eine nichtgewählte Kultur sein oder aber der Versuch einer neuen Identitätsstiftung. Die beiden gehören zusammen, weil in ihnen zwei Anerkennungsverhältnisse zur Geltung kommen, die Anerkennung einer weiterbestehenden Überlieferung und die Anerkennung, dass sich die Verhältnisse ändern können, ja müssen. Wo sich Religion als radikale Neustiftung gebärdet, wird sie etwas Menschengemachtes und ist damit nicht mehr im strengen Sinn Religion. Religionen können Gewalt und jegliche menschliche Herrschaft legitimieren – oder aber relativieren. Diese zwei Formen sind beide ausdrücklich auf Menschenmacht bezogen. Wo Religion menschliche Macht in ihre Grenzen weist, darf sie nun aber nicht zur Verhinderung jeglicher irdischen Ordnung missbraucht werden. Denn die Anerkennung der Gemeinschaftsordnung ist selbst Teil des religiösen Anerkennungsverhältnisses in seiner Breite.

Die in Kapitel fünf und sechs verhandelten Wirkungsformen von Religion: Religion als Vergegenwärtigung von menschlicher Schwäche und als Inspiration lässt die in genuiner Religion wirksamen Anerkennungsverhältnisse wirksam werden: Gott erkennt den Menschen an, der Mensch erkennt Gott an, der Mensch erkennt das gemeinsame Haus, die Schöpfung an; der Mensch erkennt seine Mitmenschen an, er erkennt sich selbst an; er erkennt Unerwünschtes an sowie zugleich auch Änderungsnotwendigkeiten und -möglichkeiten; er erkennt eine Überlieferung an, in der den Gläubigen ein Zuspruch, eine Verheißung, eine Zugangseröffnung aus der Geschichte zukommt; der Mensch erkennt ferner die Notwendigkeit einer Gemeinschaftsordnung an, in dem er jenen Freiraum achtet, in dem sich auch diejenigen Menschen entfalten können, die meine unmittelbare Zuwendung nicht empfangen können oder wollen.

Last but not least spielt in genuiner Religion die Anerkennung anderer Sicht- und Lebensweisen eine wesentliche Rolle. Hier führt Körner, wie so oft in diesem Werk passend, eine koranische und ein biblische Aussage zur Illustration an: „Und streitet mit den Leuten der Schrift nie anders als auf eine möglichst gute Art“ (Sure 29:46a) und den Ausspruch Jesu bei Matthäus (13,30), der mit den Worten endet: „Lasst beides wachsen bis zur Ernte!“ Mit Recht weist er dann auf den theologisch noch bedeutenderen Gedankengang hin, dass, wenn alles Geschehen zur Heilsgeschichte des einen, barmherzigen Gottes gehört, die Begegnung zwischen Andersgläubigen für beide „Reinigung und Bereicherung“ werden kann. Auch die Überzeugung, dass die Wahrheit religiöser Auffassungen mittels der Vernunft vertreten werden kann und soll, vollzieht eine Anerkennung des Anderen, nämlich der Wahrheit, die sich nicht herstellen lässt, ja, die sich ihren bisherigen Auffassungen entgegenstellen kann.

Felix Körner leistet in diesem Werk einen überzeugenden Beitrag zur Erhellung seiner plausiblen Grundthese: Religion ist die Anerkennung des anderen, auch des anderen Glaubens, des Andersgläubigen, der Menschen, die nun einmal anders sind als „wir“.

Theologie der Weltgestaltung – Christentum und Islam
Freiburg: Herder Verlag. 2020
336 Seiten
30,00 €
ISBN 978-3-451-38646-6

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