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Georg Habenicht: Der Naumburger Bilderstreich zum Triegel-Cranach-Altar
Wenn ein Autor sich an seiner eigenen Rhetorik befeuert und Spaß an seinen Formulierungen hat, ist das für uns Leser ein Glücksfall. Bei Georg Habenicht kommt hinzu, dass er offenbar mit Vergnügen in Archiven wühlt, um dann ein breites Panorama der Frömmigkeitsgeschichte um die Wende des 15. zum 16. Jahrhundert zu entwerfen. Das Buch – besser gesagt das Büchlein – inszeniert ein Drama in fünf Akten, bei dem es dann aber um einen gegenwärtigen Skandal geht.
Der Autor hatte sich schon beim historisch skandalträchtigen Thema Ablass ausgewiesen, das für Luther und seine Reformation so wichtig gewesen ist. Das moderne Bankwesen, eine Florentiner Erfindung der frühen Neuzeit, hatte seinerzeit auch das theologische Denken infiziert. So war es zu einer Art Bewirtschaftung des Fegefeuers gekommen, die von einem gedachten Bankhaus Kirche als Geschäftsmodell in die Hand genommen worden war. Die Verdienste des Erlösers, der Märtyrer und überhaupt aller Heiligen wurden thesauriert. Aus diesem Kapital konnte dann ein Ablass der Sündenstrafen finanziert werden. Zu welchen Blüten der Ablasshandel schließlich geführt hatte, als ein Mitglied des Bankhauses Medici auf dem Papstthron saß, erfahren wir noch einmal archivalisch aufbereitet sehr plastisch und drastisch. In diese Zeit gehört das große Retabel, das zu dem neuen Naumburger Skandal geführt hatte.
Vorher aber macht der Autor uns in seiner pastosen Rhetorik mit dem „Retabelfieber“ bekannt, das er im ganzen deutschsprachigen Gebiet feststellt. Dabei versorgt er uns wieder reichlich mit Beispielen und Belegen über Handwerker- und Künstlerrechnungen aus den Archiven. Da kann es schon einmal vorkommen, dass er den „berühmten Englischen Gruß" in Nürnberg nicht Veit Stoß, sondern einem anderen Künstler zuschreibt. Auch sonst geht manchmal die Assoziationslust mit ihm durch, wenn er in einer eigenen Farbenlehre den Gründonnerstag mit der „grünen Hochzeit" und Grün als der Farbe aller Jungfrauen und damit der Jungfrau Maria in Verbindung bringt.
Das ändert aber nichts daran, dass er mit seiner Feststellung, das Retabel sei das „Leitmedium" des Zeitalters gewesen, wohl recht hat. Mit alledem nimmt er Anlauf, um schließlich die Geschichte des Altaraufsatzes zu erzählen, den Lucas Cranach für den Westchor des Naumburger Domes mit seinen Stifterfiguren geschaffen hat. Nur die beiden Seitenflügel dieses Retabels haben den Bildersturm überlebt. Es waren diese in der Tat herausragenden Stifterfiguren, die für die UNESCO den Grund für die Verleihung des Status eines Weltkulturerbes geliefert hatten.
Dann kam das Frühjahr 2020. Das Domkapitel und die Domgemeinde beschlossen, die verlorene Mitteltafel des Flügelaltars von Lucas Cranach, der einst in der Mitte des berühmten Chors gestanden hatte, durch eine neue zu ersetzen und den Altar wieder am ursprünglichen Platz aufzustellen. Hierfür beauftragte man Michael Triegel, der wie kein anderer für diese Aufgabe infrage kam, denn er war inzwischen dafür berühmt geworden, seine oft geheimnisvollen Sujets in altmeisterlicher Stilistik zu geben.
Die folgenden Akte des Dramas, die Georg Habenicht für uns Leser inszeniert, laufen bei allem Ernst auf eine höchst amüsante Besichtigung von Seltsamkeiten hinaus, zu denen der Streit unter Fachleuten geführt hatte. Als der Altar schließlich 2022 fertiggestellt und unter großer Anteilnahme der Auftraggeber und der Bevölkerung feierlich eingeweiht wurde, kam es zu einer Intervention von ICOMOS, der Institution, von der man befürchten musste, dass sie dem Naumburger Dom den Status eines Weltkulturerbes wieder entziehen könnte.
Habenicht referiert zunächst ein Gutachten des Kunsthistorikers Achim Hubel, der schlankweg bestritt, dass es den rekonstruierten Altar überhaupt je an dieser Stelle gegeben habe. Seine historischen Argumente klingen zunächst durchaus plausibel, dazu kam der praktische Einwand, dass das Retabel den freien Blick auf einzelne der berühmten Stifterfiguren behindern könnte. Dann nähert sich Habenichts Inszenierung ihrem Höhepunkt. Mithilfe der Archive und Rechnungsbücher konnte das professorale Gutachten Punkt für Punkt widerlegt werden. Inzwischen hatten alle großen Zeitungen ausführlich berichtet und die Subtexte dabei nicht ausgelassen. In bestimmten zünftigen Kreisen der Denkmalpflege gab und gibt es einen soupḉon gegen die Leipziger Schule, die noch lange von den Vertretern der „Westkunst" wegen ihrer handwerklichen Brillanz und ihrer Vorliebe für gegenständliche Malerei als unzeitgemäß beiseitegesetzt und in den diskriminierenden Schatten einer DDR-Staatskunst geschoben wurde. Man blieb einem bestimmten Fortschrittsschema der „klassischen Moderne verhaftet, das in der Verabschiedung mimetischer Malerei, die auf wiedererkennbare Gegenständlichkeit zielte, ein folgerichtiges Entwicklungsgesetz erblicken wollte. Die Label der „autonomen" Kunst, der Farbfeldmalerei, des abstrakten Expressionismus und des Informel sollten den Maßstab geliefert haben, hinter dem man nicht zurückfallen könne, von den Zaubereien der performativen und Konzeptkunst ganz abgesehen. Hinzu kam ein gewisser Hass auf gestern und eine Mentalität, die eine Rückkehr zu den Mysterien der Religion perhorreszierte. Habenicht kann hier die Denkmalpflegerin Frau Dr. Wendland in den Zeugenstand rufen, die auf Facebook Triegels Altarbild als Kitsch bezeichnet hatte. Schließlich wurde der Altar wieder abgebaut und auf Reisen geschickt. Zunächst war er im Diözesanmuseum Paderborn zu sehen, dann in Klosterneuburg.
Das Büchlein ist 2023 erschienen und vermittelt einen frischen Eindruck des dramatischen Bilderstreits von Naumburg. Der sehr begrüßenswerte Nebeneffekt besteht darin, dass die historischen Hintergründe und die aktuellen ideologischen Geschmacksurteile das Interesse sowohl für die Kunst Michael Triegels als auch für die ideenpolitischen Verwerfungen unserer Tage wunderbar befördert hat. Ob dabei schon einmal jemandem eine höchst bedeutsame Korrespondenz aufgefallen ist? Die Stifterfiguren des Naumburger Meisters zeichnen sich dadurch aus, dass er den Personen, die zur Zeit ihrer Entstehung Mitte des 13. Jahrhunderts schon 200 Jahre tot waren, die lebendigen Gesichter von Zeitgenossen gab. Just dasselbe hat Michael Triegel mit den Personen seiner neuen Mitteltafel gemacht. Maria, die zentrale Gestalt des Altars, trägt die Züge seiner Tochter, ein römischer Bettler gab dem Apostel Petrus sein Gesicht, ein Rabbiner dem heiligen Paulus, wir erkennen das Porträt von Dietrich Bonhoeffer. Alle hat der Maler zu Zeitgenossen von uns, von Lucas Cranach, aber auch der berühmten Stifterfiguren und schließlich der Heiligen gemacht, indem er sie zur „Ehre der Altäre erhoben hat“.
Das Büchlein ist 2023 erschienen. Erst im Dezember dieses Jahres kehrte der Cranach-Triegel-Altar an den Ort seiner Bestimmung zurück.
Ein Kunststück in fünf Aufzügen
Petersberg: Michael Imhof Verlag. 2023
96 S. m. farb. Abb.
14,95 €
ISBN 978-3-7319-1342-9