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Gerhard Gäde: Die Ich-bin-Worte Jesu
„Christliche Identität – was ist das?“ Mit keiner geringeren Frage eröffnet Gerhard Gäde sein neues Buch zu den Ich-bin-Worten des Johannesevangeliums. Als ehemaliger Professor für Dogmatik in Rom mit Gastprofessuren in Palermo und Lugano ist der mittlerweile an der LMU München lehrende Priester, Seelsorger und Hochschullehrer ausgewiesener Experte für Fragen der christlichen Glaubenslehre.
Ausgewiesenes Ziel des Buches ist es, „anzuregen, tiefer zu verstehen, wer wir als Christinnen und Christen sind“ (7). Die ursprünglich als benediktinischer Exerzitienkurs konzipierten Meditationen nähern sich also den johanneischen Ego-Eimi-Worten aus einer dezidiert christlichen Innenperspektive, wenn Gäde vorab betont: „Wir sind Kinder Gottes. Das ist unsere Identität, unser Selbstverständnis, das wir dem Wort Gottes verdanken.“ (8)
Der Autor beginnt in einem kurzen Einführungskapitel mit Überlegungen zur allgemeinen postmodernen Identitätsdiffusion, in der es geboten scheint, sich die Frage nach christlicher Identität wieder neu zu stellen. Bevor sich das Buch dem Johannesevangelium zuwendet, bietet die Einleitung verschiedenste Gedankengänge, die eher lose miteinander verknüpft scheinen. Gäde stellt hier Überlegungen zur Klimakrise an, erläutert den Unterschied zwischen prädikativen und absoluten Ich-bin-Worten und bringt dabei auch ideologische Kapitalismuskritik unter.
Mit einer gewissen thematischen Sprunghaftigkeit müssen Leserinnen und Leser dann bei den Textauslegungen rechnen. Hier folgt zunächst in selbst gewählter und von der johanneischen Chronologie abweichender Reihenfolge das jeweilige Ich-bin-Wort in Form einer Arbeitsübersetzung des ehemaligen Professors für Fundamentaltheologie an der PTH Sankt Georgen Peter Knauer SJ und anschließend die Auslegung Gädes.
Der johanneische Text muss sich dabei in der Regel mit einer Rolle als Stichwortgeber begnügen. Der Autor bleibt meist nicht lange beim auszulegenden Ich-bin-Wort. Zuweilen steht ein anderer biblischer Text im Zentrum der jeweiligen Meditation. So widmen sich beispielsweise zwei Drittel des Kapitels über Jesu Wort zum Licht der Welt eigentlich dem Kampf Jakobs am Jabbok (Gen 32,23-33). Neun Seiten beschäftigen sich bei der Auslegung von Jesu Selbstbezeichnung als die Auferstehung und das Leben ausschließlich mit der Erzählung von der Heilung der blutflüssigen Frau in Mk 5,21-43; dabei werden allerlei Assoziationen in den Text eingetragen, etwa wenn diese blutflüssige Frau mit der durch Umweltzerstörung blutenden Erde verglichen wird. Als Leser, der sich für den johanneischen Text interessiert, wünscht man sich, dass sich Gäde eingehender mit dem jeweiligen Ego-Emi-Wort beschäftigt. Im Falle des Wortes über die „Tür zu den Schafen“ sieht man sich jedoch schnell mit einer Auslegung von Kains Brudermord konfrontiert: In Kains Eifersucht finde sich der zum Homo oeconomicus verkommene Mensch wieder, der im „verbissenen Konkurrenzkampf“ (26) unserer Wohlstandsgesellschaft eine „gnadenlose Existenz“ (27) fristen müsse. Leserinnen und Leser erfahren hier wohl mehr über persönliche wirtschaftsethische Überzeugungen des Autors als über christliche Identität.
Wer kompetente und allgemeinverständliche Auskunft über Grundfragen christlicher Glaubenslehre sucht, wird Gädes neues Buch trotzdem keineswegs enttäuscht zuschlagen. Der Autor bietet einen lehrreichen und durch verschiedene Graphiken veranschaulichten Crashkurs zu Themen wie Trinitäts- und Sakramentenlehre, Eschatologie, Ekklesiologie oder theologischer Anthropologie. Dabei gelingt ein Brückenschlag zu aktuellen Debatten über den Priestermangel, das Zölibat oder den synodalen Weg. Leserinnen und Leser, die sich in erster Linie für das Johannesevangelium und die Ich-bin-Worte Jesu interessieren, werden allerdings weniger von einer Lektüre profitieren können, sind aber auch nicht die anvisierte Zielgruppe des Buches, das eher im Bereich der geistlichen Schriftauslegung zu verorten ist.
„Zu einem christlichen Selbstverständnis kann uns nur durch andere Christinnen und Christen verholfen werden“ (7), schreibt Gäde nicht zu Unrecht. Es könnte sich also lohnen, dem johanneischen Text mehr Raum zu geben, um zu sehen, wie sich die antike Erinnerungsgemeinschaft christliche Identität vorstellt. Möglicherweise lässt sich daran mit eigenen Erfahrungen anknüpfen.
Meditationen zu Jesu Selbstverständnis und christlicher Identität heute
Freiburg: Herder Verlag. 2024
158 Seiten m. s/w Abb.
18,00 €
ISBN 978-3-451-39763-9