Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Gesine Schwan: Warum ich die Hoffnung nicht aufgebe

Vielen dürfte die vielfach ausgezeichnete Politikwissenschaftlerin, Universitätspräsidentin, Koordinatorin der Bundesregierung für die grenznahe und zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit mit Polen, Leiterin der Grundwertekommission der SPD und amtierende Präsidentin der Berlin Governance Platform Gesine Schwan vor allem durch ihre zweimalige Kandidatur für das Amt des Bundespräsidenten und 2019 für den Parteivorsitz der SPD bekannt sein. Anlässlich ihres 80. Geburtstags ist nun ein Gesprächsband erschienen, der ihren christlichen Glauben als Grundlage ihres wissenschaftlichen und politischen Engagements herausstellt. Im Gespräch mit Holger Zaborowski, Theologe, Philosoph sowie Klassischer Philologe und Lehrstuhlinhaber für Philosophie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt, gibt Gesine Schwan tiefe Einblicke in das, was sie denkt, bewegt und trägt. Es ist ein Austausch buchstäblich über Gott und die Welt, der keinem starren Plan folgt, sondern sich vom Gedankengang leiten lässt.

Im ersten von insgesamt drei Teilen wirft Gesine Schwan einen kritischen Blick auf Politik, Gesellschaft und Medien. Bei vielen Menschen herrsche das Bewusstsein vor, dass Politik eine Sache von Profis sei, die dafür gewählt und bezahlt würden. Aber: „Wir sind in der Politik keine Kunden, die sich Schuhe kaufen; wir sind verantwortliche Bürger und Bürgerinnen.“ (34). Gegen das verbreitete Gefühl der Ohnmacht plädiert sie für Programme echter Teilhabe, die Vertrauen zurückgewinnen, etwa in Form eines Kommunalen Entwicklungsbeirats.

Der zweite, sehr persönliche Teil des Gesprächs dreht sich um Glaube und Kirche. Ihr politisches Engagement, so sagt Gesine Schwan, sei im Wesentlichen von den Grundprinzipien der katholischen Soziallehre geprägt. Ihre Mutter war katholisch, der Vater aus der evangelischen Kirche ausgetreten, die Kinder gehörten keiner Kirche an. Gesine entschied mit etwa 14 Jahren, regelmäßig zur Messe zu gehen in dem Gefühl, dass „das, was dort verkündet wird, für mein Leben zentral“ ist (49). Nach der Schulzeit ließ sie sich katholisch taufen, hörte in Freiburg Vorlesungen bei dem Religionsphilosophen Bernhard Welte, gehörte zu einem Kreis des Moraltheologen Franz Böckle, ließ sich in ihrer Promotion bei Wilhelm Weischedel vom religionskritischen polnischen Philosophen Leszek Kołakowski herausfordern, für den sie 1977 auch die Laudatio bei der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels hielt. Entscheidend ist für Gesine Schwan, dass ihr Glaube mit der Freiheit zu denken und zu zweifeln in Einklang zu bringen ist, unabhängig von kirchlichen Autoritäten. Diese Freiheit sieht sie in der Theologie des Thomas von Aquin grundgelegt. Wie sehr sie Liturgie und Gebet auch durch schwere Zeiten tragen, wird deutlich, wenn sie in berührenden Worten von der langen Krebserkrankung und dem Tod ihres ersten Mannes Alexander Schwan und dem Tod ihres Bruders spricht. Der katholischen Kirche heute attestiert Gesine Schwan, dass durch die Fixierung auf die Sexualmoral und das Beharren auf ihrem Selbstwert der „Sinn für die Frage nach dem Eigentlichen, nach der ‚Frohen Botschaft‘ – dem Evangelium – verlorengegangen“ sei (36). Doch ein Austritt kommt für sie nicht in Frage, weil ohne Kirche der Glaube „versanden“ würde (41; 71). Den Synodalen Weg hält Gesine Schwan für notwendig, sieht für sich darin aber keine Aufgabe.

Der dritte Teil des Gesprächs gewinnt seine Stärke dadurch, dass er verschiedene Stränge ihres Denkens verbindet: Freiheit nicht nur als Konzept, sondern als Idee einer intellektuell wie emotional starken Persönlichkeit. Bildung als Aufgabe, Urteilskraft und Verständigungsfähigkeit mit anderen zu entwickeln. Die Sicherung der Menschenwürde als zentrale politische Aufgabe. Gesine Schwan treibt um, wie sich demokratische Politik unter den Bedingungen einer globalisierten Ökonomie noch legitimieren lässt und wie eine humane europäische Flüchtlingspolitik bis in die Kommunen hinein aussehen könnte. Dabei geht sie mit der Politik der EU hart ins Gericht – jüngst auch mit der amtierenden Bundesregierung (SZ vom 30. Mai 2023).

Die Stärke des Buches liegt in seinem echten Gesprächscharakter (der über Redundanzen oder die große Zahl erwähnter Personen und Positionen hinwegsehen lässt), durch den wir gleichsam mit am Tisch sitzen. Da bleibt der Impuls nicht aus, an manchen Stellen selber nachhaken oder widersprechen zu wollen. Wer Lust hat, mehr über Gesine Schwan zu erfahren, wie sie denkt und was sie antreibt, wird das Buch mit Gewinn lesen können. In jedem Fall ist es ein beeindruckendes Plädoyer für eine Grundhaltung der Hoffnung, die sich aus der christlichen Zuversicht speist, dass es immer einen Weg geben wird und wir ihn finden werden, „weil der Glaube uns möglich macht, ins Offene zu gehen, also nicht nur dann etwas zu beginnen, wenn wir den Fahrplan von Anfang bis Ende schon kennen“ (40).

Ein Gespräch mit Holger Zaborowski
Ostfildern: Patmos Verlag. 2023
160 Seiten
22,00 €
ISBN 978-3-8436-1450-4

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