Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Glauben. Philosophie der Religion

In seiner 52. Ausführung überrascht uns „der blaue reiter“ mit einer der Religionsphilosophie gewidmeten Ausgabe, die insbesondere Religionslehrerinnen und Religionslehrer anspricht. Entlang der Seiten begegnen die grundlegenden Fragen, ob Religionsunterricht in einer sich zu der Säkularisierung hingezogenen Gesellschaft immer noch sinnvoll sein und ob Religion für das Individuum und die Gemeinschaft weiterhin eine verbindliche Bedeutung haben kann. So ist es kein Zufall, dass der Chefredakteur Siegfried Reusch bereits auf der ersten Seite der 1917 von Max Weber „gepredigten“ Entzauberung der Welt durch das wissenschaftliche Wissen eine „beständige Wiederverzauberung der Welt“ gegenüberstellt als Motto dessen, was in den unterschiedlichen Beiträgen zur Sprache gebracht wird, und als Ausdruck eines ständigen menschlichen Bedürfnisses, welches nicht mit der institutionellen Seite der Religion zu verwechseln sei.

Diese Idee findet einen direkten und vertiefenden Nachklang im Beitrag von Koo van der Wal, der der Frage nach einem philosophischen Zugang zur spirituellen Dimension der menschlichen Existenz und der damit verbundenen Sehnsucht in der postmodernen Gesellschaft nachgeht – und den begrenzten Erfahrungsbegriff und Wissenshorizont der neuzeitlichen Wissenschaften hervorhebt. Diese Reflexionen folgen auf die Gedanken der Religionswissenschaftlerin und -historikerin Daria Pezzoli-Olgiati über den Gegenstand und den wissenschaftlichen Charakter der Religionswissenschaft im Hinblick auf verschiedene Phänomene und Strömungen wie die Phänomenologie, den Evolutionismus, den Funktionalismus und den Strukturalismus, die sich im letzten Jahrhundert herauskristallisiert haben. Sie nähern sich dem Religiösen aus unterschiedlichen, oft konvergierenden Sichtweisen bei der Erläuterung beispielsweise der von den Religionen generierten kulturellen Bedeutungen und der Symbole.

Über die zum Agnostizismus führenden philosophisch-analytischen Widersprüche des abrahamitischen Gottes macht Wolfgang Detel aufmerksam: In seinem Aufsatz erkundet er die Möglichkeit einer Religiosität ohne Gott verbunden mit einer kritischen Betrachtung des Machtmissbrauches der monotheistischen Religionen, was seiner Meinung nach für eine strikte Säkularisierung des Staates spricht. Um gerade eine strenge Trennung von Glauben und Vernunft zu überbrücken, setzen sich Arbogast Schmitt, Jan Urbich und Martin Krieger mit dem vernünftigen Charakter des Glaubens auseinander. Die begriffliche Erfassung des Reiches des Unsichtbaren anhand eines ontologischen Gottesbildes, welches die erhabenste Auseinandersetzung der menschlich-endlichen Vernunft mit dem der Realität zugrundeliegenden Sein in der antiken Philosophie darstellt, wird von Schmitt präsentiert. Urbich befasst sich in derselben Richtung mit der metaphysischen Sehnsucht nach dem Absoluten in der abendländischen Philosophiegeschichte beleuchtet mit Blick auf die klassischen Positionen von Parmenides, Aristoteles, Spinoza und Hegel. Krieger behauptet allerdings, dass die Religion ihre Vernünftigkeit dadurch erhält, dass sie Halt gebe, Sinn stifte und Werte vermittle (31), was grundsätzlich eine moderate Säkularisierung rechtfertigen würde.

Die Grundzüge eines Gottes, der in der kantischen Philosophie auf eine Idee der reinen Vernunft reduziert wurde, sodass die Moral und die mit ihr einhergehende Pflichtenethik allein auf der subjektiven Vernunft beruhen würde, stellt uns Gottfried Gabriel vor. Einen interessanten Beitrag liefert Rebecca Wolf mit ihrer Darlegung der verschiedenen Gesichter des Teufels in Religion und Literatur. Einer Gegenüberstellung von patriarchalen und matriarchalen Gesellschaften bezüglich des Religionsbegriffes widmet sich Heide Göttner-Abendroth, die zu einer Idealisierung der matriarchalen Spiritualität gelangt, welcher es an belastbaren historischen Beispielen von Gesellschaften, die diese Form von gemäßigter und naturfreudiger Spiritualität tatsächlich verwirklicht hätten, mangelt.

Die Religionskritik kommt vor allem im Beitrag Rudolf Lüthes zur Sprache, indem auf maßgebende Autoren, die die postmoderne Form der Säkularisierung besonders gefördert haben wie Voltaire, Feuerbach, Marx und Nietzsche, eingegangen wird. Einen informativen Ausblick auf die pragmatische US-amerikanische Tradition bietet Ana Honnacker in ihrem Aufsatz, in dem die Legitimität religiösen Glaubens nach William James’ Kriterien der Lebendigkeit, Bedeutsamkeit und Unbedingtheit, welche vor Leichtgläubigkeit und Willkür (63) in pragmatischer Hinsicht schützen würden, diskutiert werden. Nicht zuletzt ist die von Otte-Peter Obermeier in seinem Beitrag gestellte Frage der Religionskritik berechtigt, ob Religionen nicht einfach Illusionen seien, worauf im Gespräch mit Platon und Hume und zugespitzt mit Freud geantwortet wird.

Die Ausgabe wird durch ein Essay vom Ägyptologen Jan Assmann bereichert, der in einfachen Worten einen Überblick über das Zeitalter des Glaubens von seinen Ursprüngen in Israel bis zu den Säkularisierungsprozessen der Gegenwart gibt. Empfehlenswert ist das von Christian Feldmann in den letzten Seiten verfasste Porträt der heiligen Edith Stein, das viele Anlässe für eine tiefgründigere Auseinandersetzung mit dem Leben und Denken der in Auschwitz ermordeten jüdischen Ordensfrau enthält.

Die Vielfalt an Themen und Perspektiven, die „der blaue reiter“ in dieser Ausgabe bietet, eignet sich für eine Einführung in die wissenschaftliche Erforschung des Religiösen angesichts einer Gegenwart, die, getrieben von einem einseitigen naturwissenschaftlichen Begriff des Wahren und Denkwürdigen, der Religion der Möglichkeit beraubt, wissenschaftlicher Gegenstand einer eigenständigen Forschungsarbeit zu werden. Vor diesem Hintergrund liefert „der blaue reiter“ auch ein Zeichen dafür, dass Religionsunterricht notwendigerweise zum pluralen Charakter eines säkularisierten Staates gehört.

der blaue reiter. Journal für Philosophie – Ausgabe 52 (2/2023)
Hannover: der blaue reiter. Verlag für Philosophie. 2023
114 Seiten m. s-w Abb.
17,90 €
ISBN 978-3-933722-82-9

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