Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Hans-Dieter Mutschler: Alles Materie – oder was?

Alternativlosigkeit ist im politischen Diskurs zu einem Unwort geworden. Der Naturphilosoph Hans-Dieter Mutschler plädiert leidenschaftlich dafür, dass dies auch für die Natur- und Geisteswissenschaften gelten sollte, wenn der Materialismus als einzig vernünftige Weltdeutung für alternativlos erklärt wird.
 
Dies entfaltet er in seinem Sachbuch nach einer Einleitung in acht Kapiteln, die sich u.a. den Ausformungen und Prämissen des Materialismus, der Leib-Seele-Debatte oder einer Theologie der Natur widmen. Das Werk ist sehr flüssig und verständlich geschrieben, obgleich es komplexe Gedankengänge und Argumente nachzeichnet. Gefördert wird dies durch plastische Beispiele und humorvolle Einschübe. Bisweilen werden Kollegen hart angegangen – in letzterem Fall verliert der Text etwas, denn womöglich wären Ironie und Witz die besseren Berater, um fragwürdige Positionen bloßzustellen.
 
Die Kritik Mutschlers gilt dem materialistischen Zeitgeist und seinen Vertretern, die behaupten, dass alles, was es auf der Welt gibt, mit Hilfe der Naturwissenschaften erklärt und die Religion durch Physik und Biologie als irrig erwiesen werden kann. In mehreren Anläufen zeigt Mutschler gut nachvollziehbar auf, dass die vermeintliche Überzeugungskraft solcher Positionen zum einen auf suggestiven Fragen beruht: Denn lautet die Standardfrage etwa, wie der Geist in die Welt komme, wird als Antwort bereits ausgeschlossen, dass der Geist schon immer in der Welt verschränkt mit der Materie vorhanden sein könnte, aber nur unter bestimmten Bedingungen in Erscheinung tritt. Zum anderen werde mit Begriffen operiert, die bei genauerer Betrachtung chronisch vieldeutig oder unklar sind bzw. nicht einmal dem aktuellen Diskurs der Naturwissenschaften selbst entstammen. Materialisten setzen folglich vieles voraus, ohne dies transparent zu machen. Und so glauben auch sie paradoxerweise – allerdings nicht an Vater, Sohn und Heiligen Geist, sondern an von ihnen dogmatisch aufgeladene und in eine apriori festgelegte Richtung zielende Konzepte wie Materie, Kausalität und Supervenienz. Dem haben der kluge Atheist und Gläubige voraus, dass sie wissen, dass sie glauben.
 
Wie eine Alternative zum Materialismus aussehen könnte, deutet der aristotelisch inspirierte Autor an, wenn er den Menschen als psychosomatisches Wesen beschreibt; er möchte der Quantität als Maßstab unseres Denkens keinen Vorzug gegenüber der Qualität oder der Beobachter- keinen Vorrang vor der Betroffenenperspektive einräumen.
 
Kritisch wird man anmerken müssen, dass der studierte Physiker Mutschler die Biologie etwas holzschnittartig zeichnet. Insbesondere als Evolutionsbiologe wird man etwa bestreiten, dass die Biologie eine ahistorische Wissenschaft ist (63) oder die Evolution auf das Fressen der Schwachen durch die Starken reduziert werden kann (45). Denn eine Herausforderung wird die Evolutionsbiologie ja gerade dort, wo sie das Entstehen kooperativen Verhaltens wie das Entstehen von Moral und Religion (wovon deren Geltung zu Recht zu unterscheiden wäre) zu erklären versucht und damit beansprucht, ein umfassendes Erklärungsmodell zu sein.
 
Dieser Einwand tut dem Grundanliegen des Buches allerdings keinen Abbruch. Denn es macht nachvollziehbar deutlich, dass materialistisch denkenden Naturwissenschaftlerinnen und Philosophen sowie manchen Wissenschaftsjournalisten etwas naturphilosophische bzw. erkenntnistheoretische Grundbildung gut anstände.
 
Würzburg: Echter Verlag. 2016
208 Seiten
14,90 €
ISBN 978-3-429-03923-3

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