Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Hans Joas / Robert Spaemann: Beten bei Nebel

Welche Gründe hat die zunehmende Verflüchtigung des Glaubens? Wie kann die Kirche darauf reagieren? Welche Rolle spielen Werte? Um diese und weitere Fragen dreht sich ein Gespräch, zu dem die „Herder Korrespondenz“ im Januar 2015 die beiden katholischen Intellektuellen Robert Spaemann und Hans Joas einlud und das nun, ergänzt mit einer Einleitung von Volker Resing, als Buch erschienen ist.

Robert Spaemann (*1927) als Philosoph und Hans Joas (*1948) als Soziologe und Sozialphilosoph agier(t)en beruflich im säkularen Umfeld von Hochschule und Wissenschaft. Beide fühlen sich der katholischen Kirche eng verbunden, sehen im Papst den Garanten kirchlicher Einheit und betonen gegen einen verbreiteten Relativismus, dass „die Wahrheit … nichts von Menschen Gemachtes“ ist (72). Dass ihre Antworten dennoch so unterschiedlich ausfallen, hängt mit den sie prägenden Lebenserfahrungen zusammen: Der Ältere erlebte die Kirche als Bollwerk gegen den Zeitgeist in Gestalt der sich fortschrittlich gebenden NS-Ideologie, was bei ihm „eine ungeheure Stärkung des Glaubens“ (29) bewirkte; zudem hat er lebenslang positive Erfahrungen mit Priestern gemacht. Der Jüngere hingegen hat die Verführbarkeit des Katholizismus am Beispiel des eigenen Vaters erlebt, der auch nach dem Krieg Nazi blieb; hinzu kommen bedrückende Erfahrungen katholischer Enge.

Besteht ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Moderne und Säkularisierung im Sinne von Glaubensverlust? Spaemann ist überzeugt, dass die Zunahme der Erklärungs- und Handlungsoptionen durch den naturwissenschaftlichen Fortschritt den Glauben geschwächt hat. So habe er während einer Jahrzehnte zurückliegenden Ozeanüberquerung einer Nonne, die sich wegen Nebels vor einem Zusammenstoß fürchtete, den Radar erklärt, woraufhin diese dann erleichtert folgerte: „Jetzt brauchen wir wegen des Nebels nicht mehr zu beten.“ (35) Eine säkulare Lebenseinstellung hält er verglichen mit einer religiösen für die „entschieden bequemere“ (35), weshalb die Transzendierung des Alltagslebens und des Todes aus dem Blick geraten können. „Die Religion ist eine Dimension des Menschseins, die man … verlieren kann.“ (37) – Anders argumentiert Joas: Die USA hält er für einen empirischer Beleg dafür, dass Modernisierung keineswegs zwangsläufig mit Säkularisierung verbunden ist. Der Glaubensverlust hängt vielmehr mit kontingenten historischen Schlüsselfragen zusammen. So habe in Deutschland die Bindung der evangelischen Kirche an Monarchie und Dynastie die demokratischen Kräfte der 1848er Revolution enttäuscht – und Berlin war nicht erst nach dem Ende der DDR, sondern bereits „Ende des 19. Jahrhunderts einer der säkularsten Orte auf dem Globus“ (31). Als weitere Gründe nennt Joas die Verbürgerlichung des Glaubens sowie die häufigen Bündnisse mit Mächtigen und Kriegstreibern und folgert: „Die Säkularisierung (ist) auch eine christliche Schuldgeschichte.“ (40)

Der katholischen Kirche rät Spaemann zu einer Aktualisierung der christlichen Botschaft, die allerdings im „Widerspruch zum Zeitgeist“ (43 f) geschehen müsse. Ohne falsche Anpassung hat Benedikt XVI. mit seinen Schriften versucht, heutigen Menschen das Evangelium zu erklären. Die Kritik am Zeitgeist bedeutet keine pauschale Kritik der Moderne, die technische Fortschritte wie die Narkose oder moralische wie das Verbot der Folter gebracht habe. – Joas fragt, wie sich Zeitgeist von epochalen Veränderungen wie der Emanzipation der Frau aus patriarchalischen Verhältnissen unterscheiden lässt. Am deutschen Papst kritisiert Joas, dass er zu sehr in Begriffen europäischer Kultur und Theologie gedacht habe, während Franziskus der Globalisierung des Christentums bei gleichzeitiger Schrumpfung in Europa Rechnung trage (vgl. 53). Unsere heutige religiöse Situation charakterisiert, dass der Glaube zu einer auf Erfahrungen basierenden Option geworden ist, die im Bewusstsein der Existenz der säkularen Option getroffen wird, deswegen aber keine Schwächung der Wahl bedeuten muss (vgl. 45 f).

Gravierend sind die Differenzen auf dem Gebiet der Moral. Für Spaemann sind Werte unveränderlich, weil sie im Naturrecht verankert sind; Normen sind veränderlich oder können falsch sein wie Thomas von Aquins Begründung der Todesstrafe. – Für Joas hingegen beruhen Werte auf Erfahrungen subjektiver Evidenz; sie sind nicht selbstgemacht, sondern gefunden und erkannt, können sich aber aufgrund unterschiedlicher Erfahrungen von Mensch zu Mensch unterscheiden. – Spaemann betont die Unauflöslichkeit der Ehe, weil sie von Jesus angeordnet wurde; Joas hingegen orientiert sich am Liebesethos Jesu und folgert daraus ein Treuegebot für die Ehepartner, nicht aber ein Verbot vorehelicher Sexualität. Ebenso gegensätzlich sind die Auffassungen zum Priestertum der Frau.

Wer sich bereits mit beiden Denkern beschäftigt hat, wird in dem Gesprächsband kaum Neues entdecken, aber bewusst werden, wie sehr sich beide Denkansätze lebensprägenden Erfahrungen verdanken. Die unterschiedlichen Argumente und Überzeugungen stehen unverbunden nebeneinander – und dem Leser bleibt es überlassen, sich einen eigenen Reim darauf machen. (Es bleibt die traurige Ergänzung, dass der große katholische Denker Robert Spaemann am 10. Dezember 2018 gestorben ist.)

Hat der Glaube eine Zukunft?
Herausgegeben von Volker Resing
Freiburg: Herder Verlag. 2018
80 Seiten
14,00 €
ISBN 978-3-451-27149-6

Zurück