Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Hermann Wohlgschaft: Dich gibt es nicht, wenn doch, dann komm! Gott in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur

Wen der paradox-prätentiöse Titel nicht abschreckt, der begibt sich in eine spannende Lektüre. Hermann Wohlgschafts Werk bietet einen Überblick über die deutschsprachige Gegenwartsliteratur, fragt aus theologischer Sicht, wie die Gottesfrage thematisiert wird, und hält Anregungen bereit, persönliche Glaubensfragen zu klären, ohne dass der fachlich-literarische Anspruch der Darstellung darunter litte.

Der Autor ist promovierter Theologe, Priester der Diözese Augsburg, war dort in unterschiedlichen herausgehobenen Ämtern tätig und veröffentlichte zahlreiche Sachbücher zu theologischen und pastoralen Themen, zur Gegenwartsliteratur, aber auch eine Biografie Karl Mays.

In der vorliegenden handbuchartigen Veröffentlichung untersucht Wohlgschaft 53 Autoren der Gegenwartsliteratur von Thomas Bernhard (geb. 1931) bis Benedict Wells (geb. 1984) auf den Spuren von Religion und Transzendenz, darunter so prominente Schriftsteller wie Siegfried Lenz, Günter Grass, Martin Walser, Peter Härtling, Peter Handke, Bernhard Schlink, Ulla Hahn, Hanns-Josef Ortheil, Martin Mosebach, Sibylle Lewitscharoff, Dörte Hansen, Eva Menasse oder Daniel Kehlmann. Die einzelnen Essays sind so aufgebaut, dass zunächst eine kurze Einführung in Leben und Werk des Autors oder der Autorin gegeben wird, an die sich Interpretationen solcher Werke anschließen, die für theologische Fragen ergiebig sind. Dabei macht Wohlgschaft vorab seinen eigenen religiösen Standort deutlich, der den Rahmen seiner Interpretationen bildet. Er hat sich von verbreiteten anthropomorphen und dogmatischen Bildern eines unmittelbar ins Weltgeschehen eingreifenden, die Guten belohnenden und die Bösen bestrafenden Gottes verabschiedet und setzt dagegen seine persönliche Hoffnung auf eine „umfassende göttliche Liebe, ... die ich zwar nicht begreifen kann, die aber auf mir unverständlich verschlungenen Wegen letztendlich alles zum Guten führt" (13).

Nicht zuletzt als Folge eines solch weiten und persönlichen Verständnisses von Gott gelangt die Untersuchung zu folgenden Ergebnissen: Entgegen einer gerade in christlichen Kreisen verbreiteten Klage über „Jenseitsvergessenheit" und „Diesseitsflucht" verteidigt Wohlgschaft die moderne Literatur. Fast alle untersuchten Autoren sind in der abendländisch-christlichen Kultur aufgewachsen und sozialisiert worden. Deshalb finden sich im Schrifttum selbst von Schriftstellern, die sich von religiösen Vorstellungen verabschiedet haben, Restbestände und Versatzstücke religiösen oder kirchlichen Lebens. Einige prominente Autoren (z. B. Sibylle Lewitscharoff, Patrick Roth, Martin Mosebach oder Nora Bossong) bekennen sich zum christlichen Glauben, andere stehen dem Glauben an einen gütigen und wirkmächtigen Gott mehr oder weniger nahe. Andere möchten gerne glauben, können es aber nicht.

Zwar finden sich nur wenige Schriftsteller und Schriftstellerinnen, die die Worte „Gott" oder „Himmelreich" in einem herkömmlichen christlich-dogmatischen Sinn verwenden. Aber sehr viele Protagonisten in der Welt der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur können als „Suchende" verstanden werden, die die Anwesenheit einer rettenden göttlichen Kraft über den Tod in Frage stellen, diese aber umso dringlicher ersehnen.

In den Werken vieler Schriftsteller spürt Wohlgschaft „ein letztes Vertrauen, ein Urvertrauen, trotz allen Unheils und in allem Unheil geborgen zu sein". Er sieht nicht nur das „Zweifeln und Resignieren, sondern mehr noch die Spuren der Transzendenz, das verborgene, die sichtbare Welt überschreitende – und zugleich sie durchdringende – Hoffnungspotenzial" (499).

Auch wenn man nicht allen Wertungen zustimmt, sind Wohlgschafts Interpretationen einfühlsam und textnah, wohlbegründet und überzeugend. Dabei ist er selbstkritisch sich der Relativität des eigenen Standpunktes bewusst. Auch seine Sprache lädt zur Lektüre ein, weil er unprätentiös, verständlich, leserfreundlich erzählt und trotz wissenschaftlichen Anspruchs fachsprachliche Stolpersteine weitgehend vermeidet. Dabei stellt sich ein angenehmer Nebeneffekt ein: Der literarisch interessierte Leser erhält einen Überblick über die deutschsprachige Gegenwartsliteratur und verspürt Lust, zu den Originalen zu greifen.

Würzburg: Echter Verlag. 2024
560 Seiten
24,90 €
ISBN 978-3-429-05940
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