Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Janine Luge-Winter: Die Ikone und das Undarstellbare

Das Frankfurter Ikonenmuseum hatte anno 2008 hohen Besuch. Bisher unbekannte Ikonen mit arabischer Schrift waren in abgelegenen syrischen Klöstern entdeckt worden und wurden erstmals im Westen gezeigt. Aus diesem Anlass war Seine Seligkeit, der Patriarch von Damaskus, gekommen, um die Ausstellung zu eröffnen. In perfektem Deutsch erklärte er dem Frankfurter Publikum, dass man es bei den Ikonen nicht mit Museumsobjekten und Kunstwerken zu tun habe, sondern mit Bildern des Heiligen, die dafür gemacht seien, beweihräuchert, verehrt und geküsst zu werden. „Bitte nicht!“, meldete sich da die spitze Stimme der Kuratorin.

Weil sie etwas zeigen wollen, was sich eigentlich der Sichtbarkeit entzieht, waren sie, seit es sie gibt, immer auch Gegenstand theoretischer Reflexion. Parallel zu den großen christologischen Debatten, besonders im siebten und achten Jahrhundert, der Zeit des großen Bilderstreits im Oströmischen Reich, hatte es heftige Auseinandersetzungen gegeben. Die Synode von Hiereia 754 hatte sie ganz verboten, wenige Jahre später anno 794 empfahl sie das VII. Ökumenische Konzil von Nikaia den Gläubigen zur quasi-sakramentalen Verehrung.

Janine Luge-Winter hat nun mit ihrem Buch „Die Ikone und das Undarstellbare“ einen umfassenden und gründlichen Durchgang durch die klassischen und modernen Ikonentheorien vorgelegt und in den Kontext allgemeiner Bildtheorie eingebettet. An der Wurzel aller Reflexionen über Bilder im biblischen Monotheismus steht das Gottesbilderverbot des Dekalogs. JHWH ist einzig. Von ihm kann es kein Bild geben. Wo es Götterbilder gab, waren sie „von Menschenhand gemacht“ und daher nichtig. Nun war das Wort Fleisch (caro) geworden (Joh 1,14) und das Verheißungspotenzial des Gottesnamens, das sich daraus ergibt, niemals und nirgendwo nicht da zu sein, war in dieser „Inkarnation“ für die Christen eingelöst. Schon im NT regierte ein Paradox: Christus war das „Bild des unsichtbaren Gottes“ (Kol 1,15). Wie ein roter Faden durchzieht es die Geschichte der Ikonen.

An der Frage, ob sich in einem artifiziellen Bild die in Christus zusammengeführte göttliche und menschliche Natur Jesu überhaupt darstellen ließe, entzündeten sich die Kontroversen. Den Menschen Jesus hatten seine Zeitgenossen sehen können, JHWH aber war nichts für die Augen. Johannes von Damaskus (ca. 650) gilt als der wohl wichtigste Apologet der Ikonen. Aus der Sichtbarkeit des Inkarnationsgeschehens gewannen er und andere (z.B. Basilius und Studites) die Lizenz für einen dritten Weg zwischen Sichtbarkeit und einer bewussten Vorenthaltung des Heiligen. Er wurde zu einem Geburtshelfer des Ikonenparadigmas, das sich vor allem im Zweiten Konzil von Nikaia 787 durchsetzen sollte. Luge-Winter zeigt, dass die paradoxe Frage nach der Sichtbarkeit des Unsichtbaren eng mit den vom (Neo)-Platonismus geprägten christologischen Debatten verbunden war, die im Konzil von Chalkedon (451) einen Höhepunkt und vorläufigen Abschluss fanden. In einem gründlichen Durchgang verbindet sie die klassischen Quellen mit den wichtigsten Vertretern der modernen Ikonentheorien wie z.B. Pavel Florenskij und Jean-Luc Marion. Dabei vergisst sie nicht, die Ikonen in die performative Praxis der frommen Betrachter einzubetten, die mit ihrer Proskynesis die heiligen Bilder verehren, aber nicht anbeten. Die platonische Lehre von der Teilhabe (Methexis) wahrt die Differenz zwischen dem Bild und dem, was es darstellt.

Das verbindet sie mit den Rezeptionstheorien der modernen Bildwissenschaft. „Bild und Kult. Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst“ (1990) von Hans Belting (1935-2023) gilt inzwischen als Klassiker. Mit Recht kritisiert die Autorin seine Behauptung, dass sich die Bilder gegen den Widerstand der Theologen durchgesetzt hätten. Dafür kann sie reichlich theologisches Quellenmaterial anführen, in dem die Kultbilder gerechtfertigt werden. Sie kann zeigen, dass die Ikonen und ihre quasi-sakramentale Verehrung eine genaue Entsprechung in den christologischen Aussagen des Konzils von Chalkedon (451) haben. Indem sie den Handlungsraum der Ikone und die aktive, performative Rolle, die der Betrachter in ihm einnimmt, herausarbeitet, kann sie zeigen, dass die strenge Unterscheidung zwischen Kultbildern und Kunst jedenfalls für die Gegenwart nicht sehr sinnvoll ist.

Janine Luge-Winter liefert eine gründliche und sehr informative Verschränkung von Philosophie, Theologie und Bildwissenschaft.

Ikonentheorie im bildtheoretischen Kontext
Bielefeld: transcript Verlag. 2022
227 Seiten
45,00 €
ISBN 978-3-8376-6087-6

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