Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

John von Düffel: Das Wenige und das Wesentliche

Der Einklang von Inhalt und Form, ist eine Kunst, die auch in der Literatur nicht selbstverständlich ist. Hier ist es John von Düffel gelungen, dem Titel seines Buches entsprechend, die Worte sparsam zu setzen und den Gedankengang auf der Spur des Wesentlichen zu halten. Der Text läuft wie ein Prosagedicht über die Seiten mit Absätzen zum Innehalten. Der Untertitel „Ein Stundenbuch“ hat seine Berechtigung. Der Text will nicht von der ersten bis zur letzten Seite durchgelesen werden. Er möchte immer wieder in einer ruhigen Stunde in die Hand genommen, bedacht und durchdacht werden. Die ansprechende äußere Gestaltung lädt dazu ein, das Buch an einem ruhigen Leseort zu deponieren, um immer wieder darauf zurückzugreifen. Oder man nimmt es als Begleiter auf eine längere Zugfahrt mit, um es in Ruhe zu lesen und zu bedenken und vielleicht sogar mit dem einem Sitznachbarn über einen besonders markanten Satz ins Gespräch zu kommen. Denn klare, aphoristische Sätze sind eine Stärke dieses Textes.

Wie im Titel angekündigt, geht es von Düffel um die Kunst der Reduktion auf das Wenige und das Wesentliche. Angesichts von Überkonsum und Überfluss hat sich in den vergangenen Jahren ein ganzes Genre neoasketischer Literatur entwickelt, das Bestseller hervorgebracht hat wie etwa die Organisationstipps des evangelischen Pfarrers Tiki Küstenmacher oder die Entrümpelungsratschläge der zeninspirierten japanischen Aufräumspezialistin Marie Kondo. Aber auf dieses Regalbrett würde ich den kleinen gelben Band nicht stellen. Ich platziere ihn eher in der philosophischen Ecke.

Askese ist ein altes Thema, das bereits die antiken Philosophen und Theologen beschäftigt hat. Von Düffel greift aber nicht auf diese aszetische Literatur zurück, sondern findet seine Inspirationen in den Mythen von Ödipus und Sisyphos. Allein wegen seines unkonventionellen Zugangs zu den alten Mythen hat sich die Lektüre für mich bereits gelohnt. Aus den Neuinterpretationen der alten Texte entwickelt der Autor einen lebendigen Zugang zu philosophisch-theologischen Grundbegriffen wie zum Beispiel der Wegmetapher. Eine Wanderung des Autors durch das ligurische Gebirge bildet den sparsamen Handlungsstrang über den ganzen Text. In ihn verwoben sind Reflexionen über den Reifungsweg zur eigenen Identität. Und im Nachdenken über das immer wieder neu zu bestimmende Ziel des Weges entgegnet er Allgemeinplätzen mit Sätzen wie „Der Weg ist nicht das Ziel, sondern eine Zielkorrektur“.

Mit seinen immer wieder auch irritierenden Sätzen regt von Düffel zum Mit- und Nachdenken an, unter anderem auch über unsere digitale Umwelt. Das Digitale ist für ihn eine dualistische Religion, „die säkularste Form der Transzendenz, die Entkopplung von Konsum und Körper, die reine Transzendenz des Werbens und Begehrens, der heilige Gral des Geschäftemachens.“ Während der Asket der Vergangenheit kämpfen musste, um sich über seinen Körper zu erheben, „hat der Sisyphos des Konsums mit sich zu kämpfen, wenn er in seinen Körper zurückkehrt.“ Die Verheißungen der virtuellen Welten, die im Versprechen des Transhumanismus, die Sterblichkeit des Körpers zu überwinden, gipfeln, entlarvt von Düffel als Wiederauflage einer Maßlosigkeit, für die es nie ein Genug gibt. Der legendären Wette des Ray Kurzweil: „Werde ich lange genug leben, um ewig zu leben?“ setzt von Düffel die Genügsamkeit des modernen Asketen entgegen: „Genug ist das Wenige – Wenn es wesentlich ist“. Wer seinen Frieden machen möchte „mit dem Weniger werden des Abends“, also die Ars vivendi et moriendi erlernen möchte, dem ist die Lektüre dieses Stundenbuchs sehr zu empfehlen. In unserer überfüllten und überlasteten Gegenwart bieten diese Impulse eines modernen Asketen wertvolle Unterstützung bei der Suche nach dem eigenen richtigen Leben.

Ein Stundenbuch
Köln: DuMont Verlag. (2022) ³2023
208 Seiten
23,00 Euro
ISBN 9789-3-8321-8220-5

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